Alexander Klose hängt derzeit in Frankfurt fest. Eigentlich wollte er längst zurück in China sein, wo sein Arbeitgeber Aiways nach mehrwöchiger Pause gerade die Produktion des Elektroautos U5 wieder aufgenommen hat. Mitte Januar war im nagelneuen Werk Changro die Produktion gestoppt worden, wegen des chinesischen Neujahrsfestes. Die Corona-Epidemie hatte die Werksferien dann um drei Wochen verlängert. Doch Mitte März ist die Fertigung langsam wieder angelaufen, weiß Klose aus Telefonaten und Videokonferenzen mit seinen Kollegen. Ein Flug nach Shanghai, wo das Hauptquartier und sein Forschungszentrum hat, kommt für den Automanager nicht in Frage: „Ich müsste dann für 14 Tage in Quarantäne.“
Der Ingenieur der Elektrotechnik begann seine Karriere als Berater bei Boston Consulting und BMW. Später arbeitete er unter anderem für die zum Ford-Konzern zählende Premier Automotive Group (PAG) und für Volvo in China, ehe er 2018 bei dem chinesischen Startup Aiways anheuerte.
So hat der „Executive Vice President Overseas Operations“, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von Aiways für das Auslandsgeschäft, derzeit ausreichend Muße, ein Vorserienfahrzeug vom Typ U5 auf den deutschen Autobahnen und den Straßen im Frankfurter Umland zu erproben, auch reichlich Erfahrungen mit der Ladeinfrastruktur in der Region und an der Steckdose in der eigenen Garage zu sammeln. Vor allem aber kann der gebürtige Schwabe nun den Zeitplan für die Einführung des Elektroautos in Europa und das Vertriebskonzept feinjustieren.
Neuer Elektromotor für Europa-Version
Eigentlich sollte die europäische Version des vollelektrischen Familien-SUV mit einer Reichweite von rund 400 Kilometer schon im April an erste Kunden in Deutschland und Norwegen ausgeliefert werden. Interessenten in Frankreich, Dänemark und die Niederlanden sollten kurz darauf mit Fahrzeugen bedient werden. Doch die Corona-Krise hat den Zeitplan kräftig durcheinander gewirbelt . Die Markteinführung in Europa soll nun erst „Ende August“ erfolgen, wie Klose im Telefon-Interview erzählt. „Die Verschiebung macht absolut Sinn: Wir hätten ja in den kommenden Wochen nicht einmal Probefahrten anbieten können.“ Die Produktion der Europa-Version des U5 soll im Juli beginnen, die ersten Auslieferungen sollen noch im September erfolgen.
Die Verzögerung gibt dem Hersteller allerdings Zeit noch für etwas Modellpflege. Unter anderem erhalten die Fahrzeuge für Europa nun eine neue Elektromotor-Getriebe-Einheit aus eigener Entwicklung, der gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Antriebsstrang aus der Produktion eines US-Zulieferers rund 40 Kilo leichter und obendrein sparsamer ist.
Bestellungen sind ab Ende April möglich
Immerhin soll Ende April nun auf einer speziellen Website von Euronics, der Einkaufsgenossenschaft der deutschen Elektrogeräte-Händler, der Vorbestellungs-Link freigeschaltet werden. Neben Wasch- und Kaffeemaschinen können über das Online-Portal von Euronics bereits seit geraumer Zeit auch Wallboxen geordert werden – nun kommt das passende Elektroauto dazu. Und was für eins: Eine ausgewachsene Familienkutsche zum Schnäppchenpreis, von 4,68 Metern Länge mit fünf Sitzplätzen und einem großen, bis zu 1543 Liter fassenden Kofferraum (Klose: „So etwas gab es bislang nicht“), mit einem 140 Kilowatt (190 PS) starken Motor und einer Batterie mit einer Speicherkapazität von 63 Kilowattstunden (kWh). Im Alltag kann diese an einer Wallbox mit 6.6 kW Strom geladen werden, auf der Langstrecke sind an geeigneten Stationen Ladeleistungen von bis zu 90 kW möglich.
Vor allem aber der Preis wird das Fahrzeug überaus attraktiv machen: Der Aiways U5 wird in der Standardversion – lieferbar ist vorerst nur zwei Ausstattungslinien – weniger als 40.000 Euro kosten, also so etwas wie der erste Volks-Stromer für Familien sein. „Bislang gibt es in Europa in dem Marktsegment kein vergleichbares Angebot, was zum Teil die Kaufzurückhaltung bei Elektroautos in Deutschland erklärt. Selbst ein Tesla Model 3 ist ja relativ teuer.“
2020 noch mehrere Tausend Autos für Europa
Wobei: Ein Kauf des Autos war ursprünglich gar nicht vorgesehen, wie Klose erzählt. Gedacht war in erster Linie an ein Leasing des Fahrzeugs und an ein Abomodell. Diese Varianten sollen auch weiterhin speziell für Flottenkunden angeboten werden. Aber man habe gelernt, dass von Privatkunden in Europa weiterhin das alte Kauf-Modell favorisiert wird. Die genauen Konditionen werden ebenso wie der exakte Kaufpreis in den kommenden Wochen festgelegt, ebenso wie die Höhe der Anzahlung, die bei der Bestellung des Autos fällig wird.
Klose hofft, trotz der Verzögerungen noch „mehrere Tausend Fahrzeuge“ in Europa absetzen zu können – „die genaue Verteilung auf der Märkte ist derzeit nur schwer abzuschätzen.“ Das Interesse an dem Fahrzeug sei groß, möglicherweise größer als die Zahl der Fahrzeuge, die in diesem Jahr noch aus China nach Europa kommen. Genauere Zahlen mag Klose allerdings nicht nennen: „Zu viel hängt davon ab, wie und wie schnell wir aus Corona-Krise herauskommen.“ In der ersten Phase werde man kurzfristig entscheiden, wie viele Autos nach Deutschland und wie viele nach Norwegen gelangen.
Euronics ist in Deutschland vorerst exklusiver Vertriebspartner und wird es wahrscheinlich auch in der Schweiz. In Norwegen wird Aiways die Autos nach dem Vorbild von Tesla direkt über das Internet verkaufen und auch ausliefern. Klose: „Dort wissen die Menschen bereits, was ein Elektroauto kann und braucht ihnen die Antriebs- oder Ladetechnik nicht mehr zu erklären.“ In Deutschland sei das oft noch erforderlich. Und Euronics habe auch Fachleute an der Hand, die in Garagen Wallboxen installieren können. „Das passt.“
Vorerst keine größere Batterie
Das gilt laut Klose im übrigen auch die Größe der Batterie, die aktuell im ausschließlich frontgetriebenen U5 verbaut ist. Eine Speicherkapazität von 63 Kilowattstunden erscheint für ein Auto dieser Größenordnung etwas unterdimensioniert – andere Wettbewerber bieten da zum Teil deutlich mehr. „Es wäre leicht möglich, auch im U5 für noch mehr Reichweite eine Batterie mit 90 oder 100 kWh unterzubringen. Aber das würde das Fahrzeuggewicht und auch den Preis deutlich erhöhen. Nein, das macht für uns keinen Sinn.“