Die Idee ist nicht neu: Schon vor über 100 Jahren wollte Thomas Alva Edison zusammen mit seinem früheren Mitarbeiter Henry Ford in New York ein Netz von Wechselstationen aufbauen. Elektro-Taxen sollten dort nach etwa 60 Kilometern ihre erschöpften Nickel-Eisen-Akku gegen frische austauschen können, wenn keine Zeit war für lange Aufenthalte an der Gleichstrom-Ladestation.
Realisiert wurde das Konzept gleichwohl nie. Zum einen, weil Henry Ford die Produktion seines benzingetriebenen Model T wichtiger wurde als die Perfektionierung des Elektroautos. Zum anderen, weil der manuelle Batterietausch sich nicht so schnell bewerkstelligen ließ wie vom Erfinder des Konzepts erhofft. Und auch, weil aufgrund der niedrigen Spritpreise und günstigen Fertigung des Model T die Elektrotraktion schnell ins Hintertreffen geriet. 1914 stellte Edison daraufhin alle Arbeiten an Elektroauto und an Batterie-Wechselstationen ein.
„Better Place“ scheiterte krachend
Die Idee blieb gleichwohl lebendig. 2007 griff sie der ehemalige SAP-Manager Shai Agassi wieder auf. Sein Unternehmen „Better Place“ sammelte weltweit 800 Millionen Dollar bei Investoren ein, um in seinem Heimatland Israel sowie in Dänemark und Australien inzwischen vollautomatisch betriebene Batterie-Wechselstationen für Elektroautos zu errichten. Mit Renault konnte Agassi immerhin einen Autohersteller für das Projekt gewinnen.
Doch nach dem Bau von 40 Stationen in Israel war auch hier die Luft raus: Die Stationen waren mit Kosten von zwei Millionen Dollar viel zu teuer. Und die Elektroautos, die Renault für das Projekt zur Verfügung stellte, lösten auch keine Begeisterungsstürme aus. Die Akkus der Fahrzeuge vom Typ Laguna und Fluence waren mit einer Speicherkapazität von 20 kWh so klein dimensioniert, dass der Fahrer spätestens nach 150 Kilometern eine der raren „Battery-Swap“-Stationen aufsuchen musste. 2013 musste Better Place Insolvenz anmelden: Nicht nur der Bau der Wechselstationen, sondern auch die Beschaffung von über 100 Tausch-Akkus zum Preis von jeweils 10.000 Dollar hatten das Unternehmen ruiniert.
William Li, 48, hat sich von all dem nicht abschrecken lassen. Der chinesische Startup-Unternehmer, der unter anderem mit dem Börsengang der E-Commerce-Plattform Bitauto, mit der Bikesharing-Plattform Mobike und allerlei IT-Beteiligungen ein Milliarden-Vermögen aufbaute, hat 2014 die Automarke NIO gegründet – die das Batterie-Wechselsystem wieder aufleben ließ. Oder genauer gesagt, die Idee, den Käufer seiner Elektroautos nicht mit den hohen Kosten des Energiespeichers zu belasten und die Batterie als einen Service (BaaS, „Battery as a Service“) anzubieten. Gegen eine monatliche Leasinggebühr und die Möglichkeit, den leeren Akku in fünf Minuten gegen einen vollen zu tauschen.
Bereits über 860 „Swap“-Stationen in China
In China kommt das Alternativ-Konzept zu den Fastchargern von Tesla gut an. Über 860 „Power-Swap“-Stationen hat das junge Unternehmen dort inzwischen eröffnet, an denen bereits 7,6 Millionen Batteriewechsel vollzogen wurden – von den Besitzern der über 182.000 Elektroautos, die NIO bis Ende Februar ausgeliefert hat, wird der Service gut angenommen. Über 80 Prozent der Fahrzeugkäufer oder Leasingnehmer buchen den Stromspeicher lieber hinzu als ihn zusammen mit dem Auto zu erwerben.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Das Auto hat stets den neuesten Batterietyp in Topzustand an Bord. Statt eine halbe Stunde am Schnelllader zu stehen – die NIO-Fahrzeuge können natürlich auch ganz konventionell geladen werden – kann man spätestens nach sechs Minuten die Fahrt fortsetzen. Und wer eine Urlaubsfahrt plant, kann künftig seinen Standard-Akku mit einer Kapazität von 100 kWh nach entsprechender Voranmeldung per App und gegen einen kleinen Aufpreis zum Beispiel auch gegen einen Akku mit einer Speicherkapazität von 150 kWh buchen. Leichter und bequemer geht es nicht.
NIO startet in Deutschland im Spätherbst
Und das nicht nur in China, sondern bald auch schon in Europa – im vierten Quartal dieses Jahres will NIO auch in Deutschland, Dänemark, Schweden und den Niederlanden an den Start gehen. In Norwegen ist das Unternehmen bereits präsent: Ende September vergangenen Jahres wurde hier der Elektro-SUV ES8 auf den Markt gebracht, Anfang Oktober die erste Wechselstation in Lier, 50 Kilometer von Oslo, in Betrieb genommen. Insgesamt 13 Akkupakete warten in der Power Station unter optimalen Bedingungen auf ihre Abnehmer, vortemperiert und staubfrei, aber auch von einer aufwändigen Elektronik überwacht. Damit sie möglichst lange „leben“, werden die leeren Energiespeicher im „Batterie-Hotel“ auch nur mit 40 kW, maximal 80 kW schonend geladen. Das hilft auch, den Energiebedarf der Station niedrig zu halten: Ein 650 kW Anschluss reicht völlig. Für einen Schnellladepark mit einem Dutzend Ladeplätzen bräuchte es hingegen schon einen Transformator mit 1,5 Megawatt Leistung.
Bis zu 162 Ladevorgänge am Tag kann die Power-Station abwickeln, erzählt Power-Manager Espen Byrjall, der die erste Anlage in Norwegen aufgebaut hat und derzeit Standorte für weitere 19 Wechselstationen sucht, die noch bis zum Jahresende in Betrieb gehen sollen. Und das, ohne dass ein Mensch eingreifen muss. Das Auto fährt mit eigener Kraft vor das Tor der Station, der Fahrer muss dann über den Touchscreen nur den Wechselwunsch bestätigen – alles andere folgt anschließend vollautomatisch. Wir haben es ausprobiert – und kamen aus dem Staunen nicht mehr raus.
Nach 5:20 Minuten kann es weitergehen
In zwei Zügen parkt der NIO ES8 selbständig rückwärts ein. Der luftgefederte Wagen wird im „Batterie Hotel“ leicht angehoben und fixiert – kurz darauf öffnet sich der Boden und die Akkuschrauber machen sich ans Werk. Erstaunlich leise, verblüffend schnell. Ehe man sich versieht, sind die zehn Schrauben, die den 500 Kilogramm schweren Akku im Fahrzeugboden halten, gelöst und wird der Energiespeicher vom Roboter aus dem Auto gehoben. Und genauso schnell ist der neue Akku drin und fixiert.
Handgestoppte fünf Minuten dauert der Wechsel, weitere 20 Sekunden braucht das System, um die Montage sowie den Akku nochmals zu überprüfen und das Fahrzeug wieder freizugeben. Der Tesla-Fahrer, der zusammen mit uns auf das Gelände abgebogen war, um an der benachbarten Ladestation Strom zu zapfen, hatte da gerade erst die ersten Kilowattstunden an Bord genommen. Und wir mussten während des gesamten Vorgangs nicht einmal das Auto verlassen und uns den eisigen Winden aussetzen, die an diesem Märztag über das Gelände hinwegfegen.
Und was kostet der Spaß? 200 Kilowattstunden Strom oder zwei Batteriewechsel im Monat, erklärt NIO-Manager Byrjall, sind im Leasingvertrag enthalten, der bei einem Nio ES8 mit 100 kWh-Akku 1999 norwegische Kronen (umgerechnet 209 Euro) kostet. Jeder weitere „Swap“ wird mit 100 norwegischen Kronen, umgerechnet 10 Euro, berechnet. Und wer mehr Strom benötigt und etwa aus einer der angeschlossenen Ladestationen zieht, löhnt 2 Kronen oder 21 Eurocent. Dafür zahlt der Kunde dann statt 679.000 Kronen (70931 Euro) für den ES8 inklusive 100 kWh-Akku nur 519.000 Kronen oder gut 54.000 Euro. Kein Wunder, dass sich in Norwegen 96 Prozent der NIO-Nutzer für das BaaS-Modell entschieden haben.
Wie die Konditionen in Deutschland aussehen werden, wenn so etwa im Oktober die erste Schiffsladung mit dem neuen NIO ET7 anlandet, mochte NIO-Europachef Hui Zhang noch nicht verraten. Immerhin konnten wir ihm entlocken, dass die ersten Batteriewechselstationen wohl in München und Berlin stehen werden. Vielleicht an Shell-Tankstellen: Mit dem Mineralöl- und Mobilitätskonzern ist NIO eine Partnerschaft eingegangen.
Hallo Franz,
ein wirklich interessantes Konzept zu fairen Konditionen.
Nicht nur das ich immer eine überprüfte, „neue“ Batterie im Auto habe und mich überhaupt nicht um Degradation oder sonstige Batteriedefekte kümmern muss, auch die „Ladezeit“ von gut 5 Minuten ist spektakulär.
Da lässt sich verschmerzen, dass man wieder wie beim Auto tanken die Zeit nicht für andere Dinge nutzen kann weil das Auto ja beaufsichtigt bzw. aus der Station herausgefahren werden muss.
Die rund 10 Euro für den Wechsel der Batterie ist auch ein fairer Preis, denn mit den 90kWh in der Batterie sollte man auch auf der deutschen Autobahn 200km bei einem Verbrauch von rund 35kWh/100km und etwas Puffer nach unten kommen. Sprich Kosten unter 5 Euro pro 100km.
Als weitere Vorteile sehe ich die Wetterunabhängigkeit, d.h. der Batteriewechsel dauert immer 5 Minuten, im Winter und im Sommer, so dass es kein „Coldgate“ aufgrund kalter Batterien gibt und das ich, wenn ich z.B. in meinem Umfeld keine Wechselstation habe, normal laden kann und ggfs. dann auf dem Weg in den Urlaub, bei Langstreckenfahrten, auf der Strecke zur Wechselstation fahre und dort einen größeren Akku einbauen lassen kann, der mir dann mehr Reichweite bringt.
Ich bin gespannt welche Konditionen Nio in Deutschland anbietet und wie der Ausbau der Wechselstationen vorangeht.
Viele Grüße
Dirk