Sic transit gloria mundi! So vergeht der Ruhm der Welt! Dieses lateinische Sprichwort gilt auch für Audi in China. Noch vor zehn, 15 Jahren galt der Audi A8 dort als das Statussymbol schlechthin. Selbst wenn man zu schnell unterwegs war, salutierten die Ordnungshüter, statt einen Strafzettel auszustellen. Denn nicht selten saß eine hochrangige Persönlichkeit hinter den verdunkelten Scheiben auf dem Rücksitz. Jetzt sind die vier Ringe verblasst. Audi hat sich deshalb mit dem Staatskonzern SAIC zusammengetan und will mit einer neuen Marke verlorenes Terrain zurückgewinnen. Denn jung und hip müssen die Autos sein, um im Reich der Mitte erfolgreich zu sein.
Das erste Produkt dieser Kooperation ist der Elektro-Sportback E5. Ein 4,88 Meter langes viertüriges Fließheckmodell. „Der E5 Sportback bietet die besten Qualitäten von Audi, neu interpretiert und zugeschnitten auf die Kunden in China“, erklärt Audi-Chef Gernot Döllner im geschliffenen CEO-Sprech. Die Daten lesen sich vielversprechend: Der E5 kommt dank der Batterie mit einer Kapazität von 100 Kilowattstunden bis zu 750 Kilometer Reichweite, hat bis zu 579 kW / 787 PS Leistung und sprintet von null auf 100 km/h in 3,4 Sekunden. Auch das Laden geht dank der 800-Volt-Architektur flott über die Bühne: In zehn Minuten fließt Strom für 382 Kilometer in die Energiespeicher.

Der zusammen mit dem chinesischen Autobauer SAIC entwickelte Audi E5 Sportback könnte auch von NIO oder BYD stammen. Die pinkfarbene Lackierung des Showcars macht die Sache nicht besser. Fotos: Audi
Tatsächlich steckt in dem E5, der im Herbst in Fernost auf den Markt kommt, einiges an chinesischem Know-how. Vor allem bei der Entwicklungsgeschwindigkeit und beim Infotainment gibt SAIC den Ton an. Die Rollen sind vertauscht: Aus dem Meister Audi ist der Schüler geworden. Die chinesischen Autofahrer wollen die neueste Technik und das sofort. Genau das kann SAIC liefern.
SAIC macht dem Betriebssystem Beine
Zentrales Element des Unterhaltungsprogramms ist ein 27-Zoll-Display, das sich quer über das Armaturenbrett erstreckt. Die Bedienoberfläche lässt sich nach den Wünschen des Fahrers konfigurieren, und ein Qualcomm Snapdragon 8295-Chip macht dem Betriebssystem Beine. Der Name: Audi OS. Aber genauso gut könnte es SAIC OS heißen. Natürlich spielt auch Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle: Ein Avatar merkt sich die Vorlieben des Fahrers und unterhält sich mit ihm. Bis zu Nios Nomi ist es da nur noch ein kleiner Schritt. In der Mittelkonsole befindet sich ein weiterer Touchscreen, der sich dem Hauptbildschirm anpasst.

Die Technologie für den E5, der im Herbst auf den Markt kommt, stammt von der Advanced Digitized Platform (ADP), ein Gemeinschaftsprojekt von Audi und SAIC. Die Adaption ist deswegen so einfach möglich, weil SAIC mit IM Motors seinerseits eine Premiummarke ins Leben gerufen hat. Die Architektur ermöglicht es, alle Systeme des Autos per drahtlosem Update auf den neuesten Stand zu bringen. So, wie man es im Reich der Mitte erwartet, Weitere Fahrzeuge werden folgen. Vermutlich wird Audi nach dem Muster des IM LS7 in China auch ein vollelektrisches Luxus-SUV auf den Markt bringen. Audi steuert auch hier das Ingenieurskönnen und als Kernkompetenz das Matrix-Licht bei, Saic die Plattform samt Antrieb. Vorsprung durch Technik? War einmal.
Vier Buchstaben statt vier Ringe
Vielleicht auch deshalb prangt statt der vier Ringe – die seit 1932 für die historische Auto Union aus Audi, Horch, DKW und Wanderer stehen – der Schriftzug „AUDI“ in Großbuchstaben auf der Karosserie, Lenkrad und Nabendeckeln. Das ist wie bei einer Modemarke, die extra große Logos auf die Kleidungsstücke packt. Wer wirklich cool ist, muss allerdings nicht wie eine Litfaßsäule durch die Gegend laufen. Und ohne die vier Ringe, die in China immer noch für westliche Qualität stehen, ist dieses Elektroauto aber auf den ersten Blick nur eines unter vielen.
Schließlich nimmt die Anzahl der schnittig gestylten Elektromobile im Reich der Mitte zu. Die vier historischen Ringe sollten den Autos der Marke eigentlich ein Gesicht in der Menge geben. In Ingolstadt ist man aufgrund der schlechten China-Geschäfte im vergangenen Jahr allerdings in den Panikmodus verfallen. Die Marketingstrategen sind offenbar der Ansicht, dass das traditionelle Markenemblem zu angestaubt ist und eine untergehende Ära steht. Firmengründer August Horch wird sich im Grab umdrehen.