Das Angebot der Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen ist abgesehen von träge werkelnden Einparkassistenten überaus überschaubar. Mercedes bietet seine S-Klasse und das elektrische Gegenüber EQS mittlerweile mit einem Level-3-System an, bei dem der Fahrer erstmals nicht auf die Straße achten muss. Problem: Der knapp 6000 Euro teure „Drive Pilot“ funktioniert aktuell nur in Deutschland, nur bis Tempo 60 im Kolonnenverkehr und auch nur auf Autobahnen und Schnellstraßen. Audi und BMW hatten einst ähnliche Fahrerassistenzsysteme für den A8 und iX angekündigt. Doch angeboten werden sie für die Autos bislang nicht. Noch überraschender ist, dass auch der nagelneue BMW i7 oder der Mercedes EQE noch kneifen, auf Level 3 zu gehen.

Gleiches gilt für den neuen 5er BMW, der ab Herbst auch in der Elektroversion i5 zu bekommen ist. Auch hier hatten viele Kaufinteressenten zumindest als Option das teilautonome Fahren auf Stufe drei erwartet – und schauen nun in die Röhre. Immerhin bietet BMW bei seinem neuen Oberklassemodell mit dem Autobahnassistenten ein Trostpflaster an. Es erlaubt das teilautomatisierte Fahren immerhin auf Level 2 plus – so wie auch der Ford Mustang Mach E.

Rauf auf die Autobahn 
Der BMW i5 wird in Bälde auch mit einem Autobahn-Assistenten verfügbar sein. Dieser erlaubt das teilautomatisierte Fahren über deutsche Autobahnen mit bis zu 130 Sachen auf Level 2plus.
Rauf auf die Autobahn
Der BMW i5 wird in Bälde auch mit einem Autobahn-Assistenten verfügbar sein. Dieser erlaubt das teilautomatisierte Fahren über deutsche Autobahnen mit bis zu 130 Sachen auf Level 2plus.

Was kann ein solches System – für wen könnte sich der Aufpreis dafür rechnen? Wir haben dazu den Selbstversuch gemacht. Aktuell ist das System zwar nur in Deutschland und den USA zugelassen. Mit einem Prototypen waren wir jedoch auf portugiesischen Autobahnen unterwegs.

Däumchendrehen hinterm Steuer

Von außen sieht das Auto aus wie ein ganz normaler BMW i5 aus. Nur die großen Aufkleber auf dem Fahrzeug und der Hinweis des BMW-Ingenieurs auf dem Beifahrersitz, dass es sich um einen besonderen Prototypen mit einer Ausnahmegenehmigung handelt, weisen auf die erweiterten Fahrfunktionen hin. Na dann. Es geht hinaus aus der portugiesischen Metropole über die gigantische Tejo-Brücke Richtung Süden. Die Freigabe des Beifahrers kommt schneller als erwartet: Als das Tempolimit von 80 über 100 auf 120 km/h ansteigt, gibt er grünes Licht.

Mäusekino 
Gelbgrüne Leuchten signalisieren dem Fahrer, dass das Assistenzsystem in Funktion ist - und auf der dreispurigen Autobahn gerade ein Überholmanöver eingeleitet hat.
Mäusekino
Gelbgrüne Leuchten signalisieren dem Fahrer, dass das Assistenzsystem in Funktion ist – und auf der dreispurigen Autobahn gerade ein Überholmanöver eingeleitet hat.

Also den Knopf am Lenkrad gedrückt – und ab geht die Post. Die grünen Anzeigen in der Instrumenteneinheit belegen nur, was man im Lenkrad spüren könnte, wenn man die Hände noch am Steuer hätte: Das System ist eingeschaltet und arbeitet. Der Prototyp hält nun problemlos und sicher seine Spur – viele Kilometer lang. Derweil sind beide Hände des „Fahrers“ in den eigenen Schoß gewandert, um dort Däumchen zu drehen. Während der BMW sicher seine Bahnen zieht und die Insassen in den Fahrzeuge ringsum keine Ahnung haben, dass hier die nahe Zukunft rollt.

Automatisches Überholen

Als voraus ein weißer Renault Kangoo in der Spur auftaucht, bieten die Instrumente im Head-Up-Display eine Überholfunktion an. Ein Blick nach links in den Spiegel, danach über die Schulter aus dem Seitenfenster – und schon setzt der BMW vollautomatisch seinen Blinker. Der i5 zieht an dem Kastenwagen vorbei und schert nach kurzer Kontrolle wieder auf die alte Fahrspur ein. Beim nächsten Mal klappt das Überholmanöver ebenfalls perfekt. Nur beim dritten Mal hakt es. Den Grund vermutet der BMW-Ingenieur in einem zu nah auffahrenden Fahrzeug auf der mittleren Autobahn-Spur. Und tatsächlich: Mit dem nötigen Abstand zieht unser Auto wieder nach rechts. Das alles geschieht übrigens mit einer dunklen Sonnenbrille vor den Augen des Fahrers.

Erst mal schauen
Erst wenn sich der Fahrer per Blick in die Spiegel vergewissert hat, dass der Weg frei ist, beginnt das System auf der Autobahn das automatisierte Überholmanöver. Fotos: BMW
Erst mal schauen
Erst wenn sich der Fahrer per Blick in die Spiegel vergewissert hat, dass der Weg frei ist, beginnt das System auf der Autobahn das automatisierte Überholmanöver. Fotos: BMW

Als ein Hinweiston eine ankommende Kurznachricht auf dem Smartphone signalisiert, geht dessen Griff automatisch zur Ladeschale in der Mittelkonsole. Ein kurzer Blick auf die Nachricht – und der BMW tut seinen Ärger darüber mit einem lauten Hinweiston kund. Die Ultraschalleinheit hinter dem Lenkrad ist der Bewegung der Augen gefolgt und festgestellt, dass diese nicht mehr auf die Fahrbahn gerichtet sind. Kommt das häufiger vor, stellt der „Autopilot“ die Arbeit ein.

Fahrer bleibt verantwortlich

Genau das macht den Unterschied zwischen der Fahrerassistenzstufe 2plus und 3. Beim System 2plus wie im neuen BMW i5 ist allein der Fahrer für das Auto verantwortlich und somit Herr der Verkehrslage. Bei einem Level-3-System springt der Autohersteller nicht nur faktisch, sondern auch juristisch in die Bresche.

Möglich macht die teilautomatisierte Fahrt mit aktivem Spurwechselassistenten eine Hightech-Vernetzung. So ist die Limousine mit einem neuen Software-Stack nebst leistungsstarker Rechenplattform und einer 5G-Anbindung an die BMW Cloud ausgestattet. Den Rest erledigen Kameras, Ultraschall- und Radarsensoren der jüngsten Generation. Eine Echtzeit-Navigationskarte mit exakten Streckenverläufen sorgt nebst GPS-Ortung für eine präzise Positionsbestimmung sowie eine Überwachung des Umfelds.

Grünes Licht zum Überholen

Nach der Testfahrt sind wir von Funktionsweise des Assistenzsystems im neuen BMW durchaus angetan. Denn es funktioniert auch bei starker Sonneneinstrahlung, munterem Innenstadtverkehr und einem Fahrer mit dunkler Sonnenbrille bis zu einer Geschwindigkeit von 130 km/h wirklich ausgezeichnet. Schade nur, dass die Fahrt nicht zum Lesen von Manuskripten, zum Dösen oder dem Checken von E-Mails genutzt werden kann. Das System erlaubt es lediglich, die Hände in den Schoß zu legen. Und es macht den Blinkerhebel arbeitslos.

Das dürfte den meisten Autokäufern allerdings zu wenig sein – zumal die Fahrfunktion einen saftigen Aufpreis kosten dürfte. Wie hoch der ausfällt, mag BMW noch nicht verraten. Da wartet man vielleicht doch besser noch auf das einst so wortreich proklamierte Level-3-System. Das wird wahrscheinlich noch teurer sein. Aber immerhin muss man dann nicht mehr permanent die Augen auf die Fahrbahn richten und kann die Fahrzeit sinnvoll für andere Dinge nutzen.

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