Ein paar Kilometer auf der Autobahn fahren die meisten Autos inzwischen teilautomatisiert, ein paar Sekunden kann der Fahrer hier schon einmal die Hände vom Lenkrad und die Füße vom Fahrpedal nehmen. Abstandsradar, Spurhaltesysteme und andere fortgeschrittene Fahrerassistenzsysteme (ADAS) machen das autonome Cruisen auf Level 2 möglich. Zumindest für kurze Zeit und auch nur bis zu einer Geschwindigkeit von 130 km/h.

In den USA ist man schon einen kleinen Schritt weiter, sind bereits Systeme auf dem Level 2plus erlaubt. Entsprechend ausgerüstete Autos dürfen dann praktisch stundenlang über mehrspurige Highways und andere Schnellstraßen rollen, ohne dass der Fahrer seine Hände am Lenkrad haben muss. Auch Überholvoränge laufen hier automatisiert ab – der Fahrer muss dazu lediglich den Fahrtrichtungsanzeiger betätigen. Den Rest übernimmt der Bordcomputer. Auf einer zehntägigen Reise mit dem vollelektrischen Mustang Mach E durch den Osten der USA und durch Kanada konnten wir im Herbst vergangenen Jahres diesen Komfort bereits erleben.

Blaue Stunde
Sobald das BlueCruise-System aktiv und das Display auf die blaue Anzeige wechselt, kann der Fahrer auf der Autobahn die Hände vom Lenkrad und den Fuß vom Fahrpedal nehmen - bei entsprechender Streckenführung stundenlang.
Blaue Stunde
Sobald das BlueCruise-System aktiv und das Display auf die blaue Anzeige wechselt, kann der Fahrer auf der Autobahn die Hände vom Lenkrad und den Fuß vom Fahrpedal nehmen – bei entsprechender Streckenführung stundenlang.

Nun hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg dem „Blue Cruise“ genannten Aisstenzsystem von Ford auch eine Freigabe für deutsche Autobahnen erteilt. Auf bestimmten, „Blue Zones“ genannten Abschnitten vieler Schnellstraßen in der Republik können Fahrer eines „Mach-E“ ab Herbst den Stromer einfach laufen lassen und sich bei Geschwindigkeiten von bis zu 130 km/h entspannt zurücklehnen. Frontkameras, Radar- und Ultraschallsysteme sorgen dafür, dass das Auto weder die Fahrbahn verlässt noch mit anderen Verkehrsteilnehmern kollidiert. Zumindest solange es geradeaus geht. In Streckenabschnitten mit engen Kurven wird wegen der höheren Rückstellkräfte der Lenkung aus der blauen wieder eine graue Zone, in der die Hand des Fahrers gefordert ist.

Virtueller Schutzschirm um das Auto

Lediglich das automatisierte Überholen ist hierzulande (noch) nicht möglich. „Nötig wäre dafür lediglich die BlueCruise-Software-Version 1.3 – und die Freigabe durch die Behörden“ erläutert Entwicklungsingenieur Manuel Strauch bei einer kleinen Testfahrt mit einem Ford Mustang des Modeljahres 2024, bei dem die Technik bereits freigeschaltet war. Im Kölner Westen fahren wir auf die Autobahn, sortieren uns auf dem rechten Fahrstreifen hinter einem anderen Pkw ein und drücken dann eine kleine Taste am Lenkrad. Im Display dahinter sehen wir daraufhin erst einmal nur drei blaue Balken. Sie signalisieren, dass das System bereit ist und das Abstandsradar bereits arbeitet. Kurze Zeit darauf wird zunächst grafisch ein virtueller Schutzschirm um das Auto-Piktogramm gezogen und dann die Anzeige in blaues Licht getaucht – „BlueCruise“ ist nun in Aktion.

Ford Mustang Mach-E 
Optisch tut sich wenig am Elektroauto zum Modelljahr 2024. Beim assistierten Fahren macht der Stromer aus Mexiko einen Sprung naxch vorn. Fotos: Ford
Ford Mustang Mach-E
Optisch tut sich wenig am Elektroauto zum Modelljahr 2024. Beim assistierten Fahren macht der Stromer aus Mexiko einen Sprung naxch vorn. Fotos: Ford

Eigentlich wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um das Smartphone aus der Tasche zu ziehen und den jüngsten Maileingang zu checken. Denkste. Schon als ich den Kopf zu Entwicklungsingenieur Strauch auf dem Beifahrersitz drehe, meldet sich der Bordcomputer mit der Aufforderung, den Blick wieder auf die Fahrbahn zu richten. Big brother is watching me: Eine kleine Infrarotkamera hinter dem Lenkrad hat den Fahrer genau im Blick und verfolgt dessen Augenbewegungen. Abkleben oder zudecken hilft nicht – das System schaltet sich dann sofort aus. Auf diese Weise soll ein Missbrauch verhindert werden. Zahlreiche Unfälle mit dem ähnlichen, irreführend aber „Autopilot“ genannten Assistenzsystem von Tesla gemahnen zur Vorsicht.

2100 Dollar Aufpreis in den USA

Beim automatisierten Fahren auf Level 2+ bleibt die Verantwortung für das Fahrzeug noch beim Fahrer. Erst beim hochautomaitiserten Fahren auf Level 3 geht sie auf den Systemanbieter über. Das macht die Technik noch aufwändiger, die Software noch komplexer und das System deutlich teurer: Im Mercedes EQS kostet der sogenannte „Drive Pilot“ 7430 Euro Aufpreis. Kostenlos ist das BlueCruise-System allerdings auch nicht. In den USA und Kanada, wo damit in den zurückliegenden zwei Jahren bereits 194.000 Autos ausgerüstet und über 175 Millionen Kilometer zurückgelegt wurden, wird es als Teil eines 2100 Dollar teuren Technik-Pakets angeboten. Und die Nutzung der Software ist nur 90 Tage lang kostenlos – danach werden inzwischen 800 Dollar im Jahr oder 75 Dollar im Monat an Abo-Gebühren aufgerufen.

Monatsgebühren in Deutschland noch offen

Wie teuer es in Deutschland wird, mochte Hans Bandilla, der für Elektroautos zuständige Produktmanager von Ford, noch nicht verraten. Aber wie er andeutete, wird es sich wohl – ähnlich wie in Großbritannien – um einen Monatsbeitrag zwischen 15 und 20 Euro handeln, „ähnlich wie für Netflix und andere Streaming-Dienste“.

Verfügbar ist die BlueCruise-Technologie übrigens nicht nur für Mustang Mach-E’s des Modelljahres 2024, sondern auch für ältere Fahrzeuge – sofern die nötige Sensorik bereits an Bord ist. Nötig ist dann nur ein Software-Update. „Over the air“, versteht sich.

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert