„Wir arbeiten weiter daran, die europäischen CO2-Flottenziele 2030 zu erfüllen – wir stehen zu den Klimaschutzabkommen“, versicherte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Hildegard Müller, dieser Tage in einem Interview. Hinterfragen müsse man allerdings eine neue Diskussion über neue, „noch höhere Belastungen im Zuge des europäischen Green Deal, obwohl wir noch nicht wissen, wie die Weltwirtschaft aus der Krise wieder herauskommt.“
Die Autoindustrie hat in diesen Tagen schwer zu kämpfen. Die wichtigsten Märkte weltweit sind infolge der globalen Corona-Seuche zusammengebrochen, fast alle Automobilwerke waren bis zu vier Werke geschlossen – zum Schutz der Mitarbeiter, aber auch, weil sich wegen der Sorge um Gesundheit, Einkommen und Zukunft kaum ein Mensch mit der Anschaffung eines neuen Autos beschäftigte. Im Gegenteil: Viele Kunden stornieren gerade ihre Bestellung und verschieben sie erst einmal auf 2021.
Der Verband der europäischen Automobilindustrie ACEA hat deshalb schon im April gewarnt, dass ein durch Fabrikschließungen und unterbrochene Lieferketten verursachter Ausfall in der Produktion, bei der Entwicklung und bei Tests „die Pläne durcheinanderbringt, die wir gemacht hatten, um uns auf die Einhaltung bestehender und künftiger EU-Gesetze und -Vorschriften innerhalb der in diesen Vorschriften festgelegten Fristen vorzubereiten“. Genannt wurden unter anderem die Zeitpläne für die Anpassung der Vorschriften für Crash-Tests.
Aber auch am Zeitplan für die neuen CO2-Flottenziele soll offenbar gerüttelt werden. Wegen der Produktionsstillstände und Lieferprobleme, so die Argumentation, könnten die für die Dekarbonisierung des Verkehrs und zur Erreichung der Ziele erforderlichen Fahrzeuge mit alternativen Antrieben bis zum Jahresende nicht mehr in der erforderlichen Stückzahl in den Verkehr gebracht werden. Die Folge könnten Strafzahlungen in Milliardenhöhe sein.
„Alte Welt nicht noch einmal aufbauen“
Beim nächsten Autogipfel im Kanzleramt, der am Dienstag (5. Mai) ansteht, soll deshalb darüber beraten werden, wie der Autoindustrie wieder auf die Beine geholfen werden kann. Etwa mit „Öko-Abwrack“-, „Innovations“- oder „Kaufprämien“ – für Elektroautos, Plug-in-Hybride und, wenn es nach der Autoindustrie geht, auch für besonders „klimafreundliche“ Dieselfahrzeuge. Hauptsache, der Motor der deutschen Wirtschaft kommt wieder in Bewegung
Gegen eine solche Förderung nach dem Gießkannenprinzip gibt es allerdings starke Bedenken – bei Umweltschützern wie auch in der EU-Kommission. „Es gibt keinen Sinn, jetzt die alte Welt wieder aufzubauen und anschließend mit unserem Grünen Deal ..noch mal anzufangen“, mahnte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in einem Interview. Soll heißen: Die Fördermaßnahmen dürften nicht Fahrzeuge mit fossilen Antrieben zugute kommen, sondern sollten die geplanten Maßnahmen der EU zum verschärften Klimaschutz unterstützen.
In das Horn stößt auch das ICCT, das International Council on Clean Transportation in Brüssel: Wenn, dass sollte das Abwracken von Fahrzeugen mit einem überdurchschnittlich hohen Kraftstoffverbrauch gefördert werden. Und die angedachten Öko-Kaufprämien sollten – wenn überhaupt – nur Autos mit Verbrennungsmotor zugute kommen, die im Alltagsverkehr maximal 110 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer emittieren: Das sei der Wert, auf den im Schnitt ab 2021 alle Neufahrzeuge kommen müssen. Noch effektiver und klimawirksamer wäre eine ausschließliche Förderung von Elektroautos, also Teilzeit- und Vollzeitstromern. Denn nach dem jüngsten Market Monitor des ICCT müssen sich in den kommenden Monaten einige Autohersteller kräftig sputen, um die CO2-Flottenziele noch zu erreichen. Im Ziel sind Stand Ende März die französisch-deutsche Koalition aus PSA und Opel mit einem Schnitt von 85 Gramm CO2/km (Zielwert 2020: 91 g/km), zudem Nissan (aktuell 89 zu 95 g/km), Toyota-Mazda (91/94) Volvo (105/108), BMW(100/102), Renault 91/92) sowie – nur dank des Bündnisses mit Tesla FiatChrysler (89/92).
Daimler hinkt Zielen weit hinterher
Der VW-Konzern hingegen ist mit einem Flottenschnitt von 103 Gramm CO2/km noch sieben Punkte vom Ziel entfernt, Daimler (120/102) sogar 17 Punkte. Der Grund: Bei beiden Konzernen ist der Anteil der Elektroautos an den Verkäufen in Europa noch zu gering – und der Anteil PS-starker-Autos mit hohen Spritverbräuchen zu groß.
ICCT-Direktor Peter Mock plädiert deshalb dafür, dass sich die deutschen Autohersteller nach dem Corona-Lockdown nun stärker auf die CO2-Ziele konzentrieren und aggressiver als bisher in Richtung Dekarbonisierung der Fahrzeugflotte zu marschieren. Mit relativ kleinen Änderungen in der Modellpalette könnte selbst Daimler das Flottenziel für 2020 noch erreichen.
Mock hat allerdings starke Zweifel am Ehrgeiz der deutschen Autoindustrie, in diesem Jahr möglichst viele Elektroautos zu verkaufen und damit die Klimaziele in diesem Jahr möglicherweise sogar überzuerfüllen: „Tun sie das nämlich, hätte dies Auswirkungen auf ihre Flottenziele für 2025 und 2030“. Diese bemessen sich nach denen von 2020/2021 und würden dann umso strenger ausfallen. „Folglich wäre es strategisch für einen Hersteller am besten, in 2021 eine Punktlandung bei den CO2-Emissionen hinzulegen, also nicht mehr EVs zu verkaufen, als absolut nötig.“
Nach Ansicht des ICCT-Direktors erklärt das auch die „recht moderate“ Absatzplanung von Volkswagen für das Elektroauto ID.3. Trotz der mehrwöchigen Produktionsunterbrechung im Werk Zwickau, so seine Prognose, werde VW bis zum Jahresende noch locker die geplanten 30.000 Exemplare des Autos produzieren und ausgeliefern. „Nicht weniger, aber auch nicht mehr als ursprünglich geplant.“
Bonus-Malus-System statt Abwrackprämie
Weitergehende Fördermaßnahmen wären auch insofern überflüssig. Von Abwrack- oder Öko-Prämien hält das ICCT-Umweltinstitut ohnehin nicht viel. „Schließlich unterstützt mit einer Prämie die Gesamtheit aller Steuerzahler eine relativ kleine und mutmaßlich relativ wohlhabende Bevölkerungsgruppe beim Neuwagenkauf – und dies, um eine Industrie kurzfristig zu fördern, welche auch schon vor der Corona-Krise mit Überkapazitäten und einem längerfristigen Strukturwandel zu kämpfen hatte.“
Anstatt Prämien auszuloben, schlägt Mock eine Reform der Kfz- und Dienstwagenbesteuerung vor, um die Wende hin zu klimafreundlichen Antrieben im Fuhrpark zu befördern. Nach dem Vorbild von Frankreich und Schweden bekämen Fahrzeuge mit hohen Emissionen auch hierzulande dauerhaft einen Malus auferlegt, der emissionsarmen Fahrzeugen als Bonus zugute käme. „Wir bekämen so eine Gegenfinanzierung hin ohne die Staatskasse und damit den Steuerzahler zu belasten.“
Mal sehen, für welchen Weg sich die Bundesregierung entscheidet.