In San Francisco will die GM-Tochter Cruise schon bald wieder die Fahrten mit seinen Robo-Taxen aufnehmen, die nach zwei Unfällen mit Fußgängern von den Verkehrsbehörden gestoppt worden waren. Auch die Google-Schwesterfirma Waymo, die an dem Großversuch in Kalifornien ebenfalls mit einer Flotte von selbstfahrenden Elektroautos teilnimmt, hat mit Gegenwind zu kämpfen. Unbekannte zündeten kürzlich in Chinatown einen zum Robotaxi umgebauten Jaguar i-Pace des Unternehmens an. Daimler und Bosch haben bereits 2021 ihr Robotaxi-Projekt Athena in Kalifornien eingestellt – die Herausforderung, Robotaxis für den Stadtverkehr zu entwickeln, bekannte damals ein Bosch-Manager, sei „größer ist, als es viele gedacht hätten“.
Auch bei Privatautos ist die Entwicklung hin zum hochautomatisierten Fahren ins Stocken gekommen. Seit 2022 gibt es in Deutschland eine Rechtsverordnung, in der die Zulassung von Kraftfahrzeugen mit automatisierter und autonomer Fahrfunktion geregelt ist. Auch fördert das Bundesministerium für Digitales und Verkehr eine Reihe von Projekten zum selbstfahrenden Auto. Aber noch gibt es kein einziges Serienauto, das vollautomatisiert auf Level 4 fahren könnte. Stand der Technik sind Assistenzsysteme auf Level 2, Fahrzeuge, die automatisch den Abstand zum voranfahrenden Auto sowie die Spur halten können. Mercedes-Benz bietet für seine Spitzenmodelle einen Staupiloten an, der auf der Autobahn bis Tempo 60 das Kommando über das Fahrzeug übernimmt. Beim Ford Mustang Mach E ist das auf ausgesuchten Autobahnabschnitten schon bis Tempo 130 möglich. Doch bis Level 3 auch in der Stadt und bis zu Level 4 oder gar 5 scheint es – Stand heute – noch ein weiter Weg.
„Normale Höhen und Tiefen“
Woran liegt das, was ist da schief gelaufen? Wir sprachen darüber mit Johann Jungwirth. „JJ“, wie er gerufen wird, kennt sich mit dem Thema aus wie kaum ein anderer. Bei Daimler-Benz forschte er schon 2008 am vernetzten Auto, bei Apple arbeitete er am „iCar“, zwischen 2015 und 2017 war er Chief Technology Officer bei Volkswagen. Seit 2019 ist der 50-jährige Deutsche Vice President bei dem israelischen Unternehmen Mobileye und verantwortet dort die Sparte „Autonomes Fahren“.
Herr Jungwirth, es ist inzwischen sieben Jahre her, das wir uns das letzte Mal trafen. Sie waren damals noch Digital-Chef des Volkswagen-Konzerns und schwärmten von den Verbesserungen im Stadtverkehr, die mit vollautomatisch fahrenden Autos und Mobility-as-a-Service-Konzepten einhergehen würden – so ab 2023, spätestens 2025. Waren Sie da nicht zu optimistisch?
Vielleicht ein wenig. Aber es ist ganz normal, dass eine neue Technologie einige Höhen und Tiefen erlebt, bis sie den Durchbruch schafft. Der sogenannte Gartner-Hype-Zyklus zeigt sich auch hier: Auf überzogene Erwartungen folgen meist tiefe Enttäuschungen. Denn es braucht große Investitionen, um eine neue Technologie zu industrialisieren, um sie bezahlbar zu machen und bis die regulatorischen Bedingungen geklärt sind. Das alles kostet Zeit. Aber ich finde, das ist ein guter Prozess.
Inwiefern?
Wenn es um Sicherheit geht und hohe Standards, sollte man sich alle Zeit nehmen, die nötig ist – das zeigen ja auch aktuelle Ereignisse in der Luftfahrt. Das vollautomatisiert fahrende Auto soll ja sicherer sein als das vom Menschen gesteuerte. Wir arbeiten bei Mobileye stetig an dem Thema. Und unsere Mobileye Drive-Technologie ermöglicht technisch schon das hoch- bis vollautomatisierte Fahren auf Level 4 und 5 mit Seriensensoren, Serien-Lidar-Sensoren, mit serienmäßigen Radarsystemen, Kameras und Steuergeräten. In den kommenden zwei, zweieinhalb Jahren geht es nun nur noch darum, die Entwicklung abzuschließen und die Freigaben für das System zu bekommen.
In zweieinhalb Jahren, also spätestens im Herbst 2027, wäre zumindest das hochautomatisierte Fahren auf Level 4 darstellbar?
Ja, genau. Die Technik steht. Seit 2017 wurde vieles an Basisentwicklungen geleistet. Wir haben inzwischen die hochleistungsfähigen Computerchips, die ein solches System braucht. Wir haben hochauflösende und weitreichende Lidar-Sensoren – davon konnten wir 2017 nur träumen. Auch auf der Kostenseite hat sich viel getan, so dass man sich die Systeme inzwischen leisten kann. Mit „Mobileye SuperVision“ „Mobileye Chauffeur“ und “Mobileye Drive” – die drei Produkte, die ich verantworte – haben wir die ganze Spanne an Lösungen von Level 2plus bis zu Level 4/5 im Angebot. Mit vielen Synergien zwischen den Produktlinien.
Was eine schrittweise Erweiterung des Systems ermöglicht und die Kosten im Rahmen hält.
Richtig. Viele der Unternehmen, die sich allein auf Level 4 und 5 fokussiert haben, sind inzwischen wieder vom Markt verschwunden. Es hat in den vergangenen Jahren auf unserem Markt eine große Konsolidierungswelle stattgefunden, weil man mit den Technologien erst nach vielen Jahren Geld verdienen kann. Wir haben einen langen Atem, weil wir schon früh Lösungen für Level 2 plus anbieten konnten und uns stufenweise von einfachen zu hochkomplexen Assistenzsystemen, von hands-free und eyes-on zu hands-off-Lösungen entwickelt haben.
Also von Systemen, wo der Fahrer dem Verkehr noch Aufmerksamkeit schenken muss hin zu Systemen, bei denen die Augen und die Hände des Fahrers nicht mehr erforderlich sind, um das Auto sicher ans Ziel zu bringen.
Exakt.
Cruise hat sich also zu früh auf die Straße gewagt? Die GM-Tochter musste ihre fahrerlosen Robotaxen in San Francisco aus dem Verkehr ziehen, nachdem sie in der Stadt Staus Unfälle verursacht hatten.
Ich würde das nicht überbewerten. Probleme gab es auch, als in den Städten die ersten Autos auf Pferdekutschen trafen und diese allmählich verdrängten. Wir erleben gerade eine Disruption, ja Revolution in der Mobilität von ähnlicher Dimension. Software spielt dabei eine Rolle, Künstliche Intelligenz, die Chipentwicklung.
Und manchmal braucht es da sicher auch Mut, Dinge auszuprobieren.
Genau. Wir lernen ja aus solchen Vorfällen und aus Fehlern. Bei dem Thema ist es nicht wichtig, Erster zu sein. Wichtiger ist, Bester zu sein. Mit Technologien und auch Partnerschaften. Wir setzen bei Mobileye deshalb sehr stark auf Partnerschaften mit Automobilherstellern. Denn die können nach wie vor am besten Autos bauen. Und unsere Technologie ist nur ein Teil des Ganzen. Das Auto braucht auch in Zukunft wirkungsvolle Brems- und Lenksysteme, Redundanzen in der Spannungsversorgung. Das können die traditionellen Fahrzeughersteller perfekt, denn das haben sie zusammen mit Zulieferern in Jahrzehnten, zum Teil über ein Jahrhundert hinweg, zur Reife gebracht. Symbiosen zwischen guten Tech-Unternehmen wie uns und guten Autobauern sind deshalb ganz wichtig.
Wie viel Zeit braucht es, um die Assistenzsysteme ins Auto zu integrieren?
Unser 2++-System „SuperVision“ setzen wir mit chinesischen Autoherstellern in zwölf bis 14 Monaten um. Das heißt, 14 Monate nach Vertragsabschluss sind die Autos auf der Straße. Bei Level-4-Systemen wie Mobileye „Chauffeur“ oder „Drive“ vergehen im besten Fall 18 Monate bis 24 Monate. Inklusive Freigaben durch die Behörden kann es noch mal 12 Monate länger dauern. Aber länger als zwei bis drei Jahre dauert es nicht, solche Systeme zu implementieren.
Und von welchen Mehrkosten reden wir beim Aufstieg von Level 2 zu Level 3 oder 4?
Das ist eine gute Frage. Man muss dabei unterscheiden zwischen dem zusätzlichen Aufwand für die Software und dem Steuergerät. Wir reden da bei uns von einem Aufpreis zwischen 1500 und etwa 2000 Euro.
Im Einkauf?
Genau. Gegenüber Endkunden rechnen die Fahrzeughersteller in der Regel mit dem Faktor drei. Da wird dann auch die Arbeit für die Entwicklung und Integration reingerechnet. Bei Tesla werden für den sogenannten Autopiloten derzeit 7500 Dollar aufgerufen.
Obwohl die Sensorik bei denen noch recht überschaubar ist – Lidar-Systeme sind dort nicht enthalten.
Das stimmt. Bei einem vollständig selbstfahrenden Robotaxi auf Level 4 mit vier Lidar-Systemen und fünf Imaging-Systemen, 13 Kameras und einem Steuergerät samt Redundanz reden wir heute schon von Mehrkosten zwischen 50.000 und 70.000 Dollar.
Das ist ein stolzer Preis.
Ja, aber wir ersetzen ja auch einen professionellen Fahrer. Auch wenn der Taxifahrer in Newy York pro Jahr vielleicht nur 40.000 Dollar kostet – im Zweischicht-Betrieb sind es schon 80.000 Dollar. Über drei Jahre gerechnet sind es schon 240.000 Dollar. Da rechnet sich ein Robot-Taxi schon schnell.
Im gewerblichen Sektor, bei Taxen und Nutzfahrzeugen, werden wir also am ehesten das vollautomatisierte Fahren erleben?
Eindeutig. Dort sind 50.000 bis 70.000 Dollar für ein solches System mit Blick auf die heutigen Personalkosten ein Spottpreis.
Aber Lidar-System braucht es schon, um das hochautomatisierte Fahren sicher zu machen? Elon Musk meint ja, die Augen von Kameras würden genügen.
Zumindest in den nächsten vier bis fünf Jahren ist Lidar Kerntechnologie. Gerade im Frontsektor ist es für Level 4 und 5 ganz wichtig. Wir empfehlen sie derzeit auch für die 360-Grad-Überwachung des Fahrzeug-Umfelds. Über die Zeit hinweg muss man sehen, was nötig ist und was sich noch tut. Bei Privatwagen kann es sein, dass man sich mit Lidar-Systemen auf den Frontsektor beschränkt, für die Rundum-Sicherung aber Imaging Radar einsetzt. Sie können mit bildgebendem Radar die Umgebung inzwischen mit 1036 Kanälen darstellen. Und Radar ist eine sehr robuste Technologie, man braucht keine Reinigungslösungen, keine beweglichen Teile. Es ist von den Kosten her attraktiver. Insofern sind wir sehr bullish, was Imaging Radar anbetrifft. Mit einem großen für den Frontbereich und vier kleinen für die Seiten und das Heck kann man die Umgebung sehr gut erfassen und als Redundanz für eine Kameralösung einsetzen.
Aber nur kamerabasiert ist das vollautomatisierte Fahren nicht sicher darstellbar?
Heute nicht. Aber vielleicht in der Zukunft. Unsere Acht-Megapixel-Kameras bieten heute schon eine bessere Auflösung als die, die Tesla einsetzt. Elon hatte bei Tesla lange 1,3 Megapixel-Kameras an Bord, ist inzwischen auf 5-Megapixel-Systeme gegangen. Und die Kameratechnik entwickelt sich ja weiter, was Auflösung und Farbwiedergabe anbetrifft. Es geschieht extrem viel in dem Bereich, auch in der Bildauswertung. Aber zunächst geht es erstmal darum, Vertrauen zu schaffen, indem man Systeme schafft, mit denen das automatisierte Autofahren x-mal sicherer wird als das vom Menschen gesteuerte. Deshalb ist es gerade jetzt enorm wichtig, das Vertrauen in die Technologie nicht zu verspielen. Wir sollten deshalb jetzt lieber mehr Redundanzen schaffen als weniger, lieber die Systeme eher überdimensionieren. Reduzieren kann man sie dann später immer noch.
Um sie dann auch preiswerter zu machen und erschwinglicher auch für Privatkunden?
Ja, Wir sehen langfristig Mehrkosten zwischen 5000 und 10.000 Dollar. Das wäre eine Reduktion um den Faktor fünf.
Wann werden wir denn das erste Referenzprojekt auf Level 5 mit Mobileye-Technologie sehen?
Unsere Zusammenarbeit mit Volkswagen und die Zusammenarbeit beim ID.Buzz AD („Autonomous Driving“, Anm. d. Red.) ist unser Referenzprojekt schlechthin. Wir haben jetzt schon 30 Fahrzeuge auf der Straße, die in München, Hamburg und Austin, Texas, als Sammeltaxis eingesetzt werden. Daneben gibt es Projekte von Mobileye mit Schaeffler-VDL sowie mit Benteler Holon. Da sind wir in anderen Fahrzeugklassen, da geht es um Ride-Pooling bzw. Busbetriebe. Da reden wir von zwölfsitzigen Kleinbussen im Pendelverkehr.
Und wann kann ich, können Privatkunden vollautonom fahrende Autos nicht nur erleben, sondern selbst kaufen?
Oh, das dauert noch. Im Individualbereich geht es jetzt erst einmal darum, auf Level 3 zu kommen. Das ist schon ein großer Sprung vom heutiger Staupiloten für die Autobahn, der heute meistens nur bis 60 km/h arbeitet. Aus unserer Sicht macht das keinen Sinn, denn bei zähfließendem Verkehr mit Tempo 80 funktioniert das schon nicht mehr. Und wenn man nie im Stau steht, kann man das System nie nutzen. Da ist ein System schon sinnvoller, das bis 130 km/h arbeitet und es dem Autofahrer erlaubt, von Autobahn-Auffahrt bis Autobahn-Abfahrt die Hände vom Lenkrad zu nehmen und die Augen unterwegs auch von der Straße zu nehmen. So kriegt der Mensch wirklich Zeit zurück. Ich bin überzeugt, dass viele Autokäufer bereit sind, dafür einen Aufpreis von 10.000 oder 15.000 Euro Aufpreis zu bezahlen. 2025, 2026 wird es diese Chauffeur-Lösung in ersten Premiumautos von Porsche, Bentley oder Polestar geben. Da freue ich mich schon jetzt drauf.