In den USA wird es in naher Zukunft voraussichtlich erste autonom fahrende Systeme in Transport und Logistik geben. In Europa, mit der deutlich komplexeren Fahrsituation auf den Autobahnen und den Regulierungen insgesamt, ist das Thema autonome Mobilität deutlich schwieriger. Dennoch gibt es auch hier einige spannende Anwendungsfälle, schildern Marcus Willand und Jörg Saße von der internationalen Management- und IT-Beratung Mieschke Hofmann und Partner (MHP) aus Ludwigsburg. Das Unternehmen befindet sich zu über 80 Prozent im Besitz der Porsche AG und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themen Elektromobilität, Mobility as a Service sowie mit vernetzten Verkehren und dem autonomen Fahren.

Auf der Tech-Messe CES in Las Vegas wurde Anfang des Jahres viel über das autonome Fahren gesprochen, über neue Sensortechnologien und Anbieter. Mein Eindruck war: Es kommt wieder mehr Bewegung in die Entwicklung. Deckt sich das mit Ihren Eindrücken und Erkenntnissen?

Marcus Willand: Vorneweg sei gesagt, dass sich die CES natürlich sehr auf Amerika bezieht. Nichtsdestotrotz decken sich die Ergebnisse dort mit denen unserer aktuellen repräsentativen Mobilitätsstudie, in der wir sowohl die Bevölkerung in den verschiedenen Ländern als auch Experten befragt haben. Autonome Mobilität wird in naher Zukunft am ehesten in der Logistik kommen. Warum? Zum einen haben wir es mit einer technischen Komplexität auf den langen Strecken (Long Haul), also auf den Highways, zu tun. Zum anderen mit dem Fachkräftemangel. In den USA fehlen mehr als 100.000 LKW-Fahrer, dadurch gerät die Wirtschaft natürlich ins Stocken. Aktuell zielt das autonome Fahren noch darauf ab, das Berufsbild zu retten. Langfristig gesehen soll es einen deutlich höheren Anteil an Fahrern ersetzen. Damit bekommt das Thema auch eine soziale Dimension – der LKW-Fahrer ist der verbreiteste Beruf in den USA.

Dr. Jörg Saße
Der Diplom-Ingenieur ist Associated Partner der Management- und IT-Beratung MHP aus dem Porsche-Konzern. Mit dem Autonomen Fahrens beschäftigt sich der 58-Jährige seit vielen Jahren. Bei der Daimler-Tochter debis Systemhaus und auch bei der Telekom-Tochter T-Systems.

Zumal die Personalkosten einen erheblichen Anteil ja an den Logistikkosten insgesamt haben.

Ganz genau. Kosten einzusparen und dadurch Wettbewerbsvorteile zu gewinnen, ist ein großer Treiber der autonomen Mobilität. Mehr noch als der Effekt, der durch die Energieersparnis erzielt werden kann.

Jörg Saße: In Amerika sind die entsprechenden Verkehrssituationen vorhanden. Anders als in China oder in Europa. Bei uns ist die Fahrsituation auf der Autobahn deutlich komplexer als in den USA. Wenn wir uns aber mal weniger die Logistik auf den Straßen anschauen, sondern eher den Warentransport auf den Werksgeländen, also der Intralogistik, dann steckt hier unglaubliches Potenzial, das hierzulande auch schon genutzt wird. Zum Beispiel die Fahrzeuglogistik am Produktionsband-Ende. Wenn am Band-Ende ein Auto automatisiert statt per Fahrer wegfährt, entsteht ein deutlicher Kosteneffekt, und durchaus auch eine höhere Qualität. Gleiches gilt für den Verkehr auf dem Werksgelände. Dort kann man schon heute – unter Berücksichtigung aller Regularien – automatisiert fahren. So zieht der Schlepper ein Ladungsträger automatisiert über das Werksgelände und der Trucker, der mit seinem Ladungsträger an das Werk gekommen ist, kann schon den nächsten „Leeren“ nehmen und wegfahren.

Kommen wir zum privaten autonomen Fahren. Dort scheint das Thema Ihrer Studie nach weniger relevant oder gewünscht als in der Wirtschaft.

Willand: Je nachdem, welchen Vergleich man zieht, ist der Impact vom autonomen Fahren auf eine Mobilitäts- oder Verkehrswende tatsächlich gering. Betrachten wir beispielsweise autonome Premium-Fahrzeuge – dann gibt es sicherlich hier einen Markt und auch Menschen, die durchaus bereit sind, einen Mehrpreis zu bezahlen. Aber: Deren Anteil am Gesamtverkehr ist so gering, dass es weder den Emissionsausstoß noch die Verkehrsprobleme lösen wird. Was hingegen spannender als einzelne autonome Premium-Fahrzeuge sind, ist die Personen-Mobilität, also Transport-Systeme wie Shuttles. Diese kommen in bestimmten Zonen, sprich auf regulierten Strecken und separaten Fahrspuren oder Privatgeländen wie Flughäfen, schon zum Einsatz. Mit dem Ziel, viele Menschen in kurzer Zeit kostengünstig und zuverlässig von A nach B zu bringen.

„Der Impact vom autonomen Fahren auf eine Mobilitäts- oder Verkehrswende ist tatsächlich gering.“

Wer die eigene Nachbarschaft beobachtet, entdeckt so einige Testobjekte dieser Art.

Aktuell sind viele Versuchsträger unterwegs, um die Technologie zu lernen und die Möglichkeiten für die Zukunft besser zu verstehen. Hier geht es gerade in Ballungsräumen um autonome Mobilität als ein Teil der Grundversorgung. Das bedeutet aber auch, dass solche kommerziellen Use Cases zwingend so hoch profitabel sein müssen wie in der Logistik. Das erfordert wiederum entsprechende gesetzliche und bauliche Rahmenbedingungen, die schnelle Entscheidungen und die notwendige Infrastruktur ermöglichen – so wie es die Chinesen gerade vormachen. Und wir brauchen die technologischen Ideen aus Amerika. Dort rüstet Waymo in San Francisco im offenen Mischverkehr die Chrysler-Fahrzeuge technisch hoch. Wenn die Technologie für die Fahrzeuge so miniaturisiert und erschwinglich ist, dass sie für den PKW funktioniert, dann wird sie auch für ein autonomes Shuttle funktionieren.

Marcus Willand
Der Diplom-Kaufmann ist Partner bei der Porsche-Company MHP. Seine Themenschwerpunkte sind die Mobilität in Städten, Mobilität als plattformbasierte Dienstleistung sowie die Digitalisierung von Transportketten. Früher war der inzwischen 53-jährige in führenden Beratungsfunktionen bei SAP verantwortlich für den Automobilsektor. Fotos: MHP
 

Noch einmal zusammengefasst: Robo-Cars sind einigermaßen realistisch, aber nicht schnell umsetzbar. Am ehesten kommen die ersten Anwendungen im Bereich des autonomen Fahrens in der Industrie, auf Werksgeländen, in den USA im Bereich des Truck-Verkehrs. Was sehen Sie noch voraus in nächster Zeit?

Willand: Hier würde ich den Plattform-Gedanken heranziehen. Plattformen wie Uber haben in Amerika über 150 Millionen Nutzer. In China gibt es die Didi-Plattform mit über 600 Millionen Nutzern. Wenn die das Thema autonomes Fahren angehen, werden die natürlich extrem wirtschaftliche Business Cases daraus machen. Zumal die jetzt schon den Zugang zum Kunden haben. Die OEMs liefern dann die Fahrzeuge in die Flotten dieser großen digitalen Plattformen rein. Und in Europa? Da haben wir noch ein bisschen Vakuum, da unterstützen uns die föderalen Strukturen aktuell, ja. Solche großen Plattformen, die viele Angebote miteinander vereinen, gibt es in Europa so gut wie gar nicht.

Welche Rahmenbedingungen werden benötigt, damit autonome Mobilität überhaupt im privaten Sektor funktionieren kann?

Wir brauchen Lösungen, um einen adäquaten Ersatz für die motorisierte Individualmobilität und damit allgemein Teilhabe am modernen Personentransport zu schaffen. Ähnlich dem ÖPNV. Im Kern geht es darum, durch autonome Systeme den ländlichen Raum anzubinden, in erster Linie den sogenannten Speckgürtel. In dünn besiedelten Gebieten sind solche Geschäftsmodelle technisch ebenfalls möglich. Was die Kosten angeht, werden diese allerdings schnell unattraktiv.

Saße: Als positives Beispiel kann Luxemburg dienen. Dort ist der ÖPNV sogar kostenfrei, und es werden künftig Shuttles genutzt, um dem ÖPNV aus den Wohngebieten mehr Passagiere zuzuführen. Was in Deutschland möglich ist, werden erste Pilotanwendungen im gemischten und geteilten Verkehr zeigen.

„Wir brauchen Lösungen, um einen adäquaten Ersatz für die motorisierte Individualmobilität und damit allgemein Teilhabe am modernen Personentransport zu schaffen.“

Willand: Wichtig wird dabei auch, öffentliche und private Transportmittel landesweit auf eine Plattform zu bringen und digitale Schnittstellen zu schaffen. Und dass sich die größten Länder wie Deutschland, Frankreich und Spanien an einen Tisch setzen und gemeinsame Sache machen. Dann haben wir in Europa insgesamt eine Chance und jeder würde partizipieren.

Zum Abschluss die Frage: Was muss passieren, um diese Transformation in Gang zu setzen?

In Europa wird es schwierig, im Moment ganz verkürzt gesagt. Wir haben föderalistische Organisationen in ganz Europa. Das betrifft leider auch föderale Regulierung und das macht es nicht einfacher.

Aus dem OEM-Geschäft heraus sehen wir im Moment zwei Strömungen: Das Premium-Segment wird auch über 2030 hinaus ein valides Geschäftsmodell sein und weiterhin den Individualverkehr bedienen. Deutlich ernsthafter und nachhaltiger muss die Massenmobilität transformiert werden. Mobilitätsanbieter und OEM und auch die Politik sind gefragt, die Innenstädte und Wohnquartiere durch entsprechende Angebote und Restriktionen autofreier und damit anwohnerfreundlicher zu machen. Mit der richtigen Kampagne kann man die notwendigen Zustimmungswerte erreichen. Aber man muss auch sagen: Es gibt zwar Schlüssel, um unsere Mobilität nachhaltiger, umweltfreundlicher und trotzdem komfortabel zu gestalten. Schnelle Lösungen sind jedoch unrealistisch, dafür gibt es zu viele Variablen und Faktoren.

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