Rund um den Bodensee, für Millionen Menschen alljährlich ein beliebtes Ferienziel und gleichzeitig industrieller Hotspot für wichtige Industrien in Deutschland, herrscht beinahe täglich reger Pendelbetrieb. Zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Fraglos muss diese Mobilität umweltverträglich werden – und zwar rasch. Auch auf dem Wasser. Zumal der Bodensee mit rund 50 Milliarden Kubikmeter Inhalt der wichtigste Trinkwasserspeicher Europas ist.

Fast hundert Prozent aller privaten Booten am Bodensee sind heute noch mit Verbrennungsmotoren und Diesel unterwegs. Wie diese Privatboote klimaneutral werden könnten, darüber gibt es heftige Diskussionen rund um den See: mit HVO, Methanol, Batterie oder Wasserstoff? Und was passiert mit der gewerblichen Schifffahrt auf dem Bodensee – wie kann die wirksam dekarbonisiert werden?

Christoph Witte 
Nach seinem Schiffbaustudium an der Universität Hamburg arbeitete der Ingenieur zunächst als Konstrukteur beim Ingenieurbüro Wanot in Hamburg und dann als Projektingenieur bei Blohm und Voss. Zwischen 2002 bis 2013 war er beim Germanischen Lloyd und betreute hier unter anderem Werften in Südkorea und China. Im September 2013 kam Witte als Geschäftsbereichsleiter Schiffs- und Hafenanlagen zu den Bodensee Schiffsbetrieben. Seit 2019 ist er Mitglied der Geschäftsführung und Prokurist, seit 2014 zudem Geschäftsführer der Katamaran-Reederei Bodensee.
Christoph Witte
Nach seinem Schiffbaustudium an der Universität Hamburg arbeitete der Ingenieur zunächst als Konstrukteur beim Ingenieurbüro Wanot in Hamburg und dann als Projektingenieur bei Blohm und Voss. Zwischen 2002 bis 2013 war er beim Germanischen Lloyd und betreute hier unter anderem Werften in Südkorea und China. Im September 2013 kam Witte als Geschäftsbereichsleiter Schiffs- und Hafenanlagen zu den Bodensee Schiffsbetrieben. Seit 2019 ist er Mitglied der Geschäftsführung und Prokurist, seit 2014 zudem Geschäftsführer der Katamaran-Reederei Bodensee.

Das wollten wir von Christoph Witte, dem Geschäftsführer der Bodensee-Schiffsbetriebe und Leiter Schiffs- und Hafentechnik in Konstanz, erfahren. Schiffbauingenieur Witte ist für die Technik für drei Reedereien auf dem Bodensee verantwortlich. Eine ist zuständig für die großen Autofähren der Stadtwerke Konstanz, die Fahrzeuge und Menschen von Meersburg nach Konstanz oder umgekehrt übersetzen. Sie dienen Berufspendlern an 365 Tagen im Jahr gewissermaßen als „schwimmende Brücke“, beinahe rund um die Uhr. Wenn hier klimaneutral gefahren werden könnte, hätte das aufgrund der Größe der eingesetzten Schiffe schon einen messbaren Effekt auf das Klima: Jeder nicht genutzte Liter Dieselkraftstoff spart immerhin 2,64 Kilogramm CO2.

Die Bodensee Schiffsbetriebe GmbH betreibt von Osterwochenende bis Oktober rein touristische Schifffahrt. Und Reederei drei betreibt Katamarane. Diese transportieren allein Menschen und pendeln zwischen Konstanz und Friedrichshafen im Stundentakt und ganzjährig hin und her pendelt. Von den zwei Katamaranen, die in der Vergangenheit etwa 950.000 Liter Dieselkraftstoff im Jahr verbrannten, wurde im Februar 2022 einer durch die MS Mainau ersetzt: einen solarelektrischen Katamaran von 33 Metern Länge, angetrieben von zwei, zusammen 150 kW starken Elektromotoren und einer Batterie mit einer Kapazität von einem Megawattstunden (MWh). Einen Teil der Energie gewinnt das 8 Knoten, umgerechnet 15 km/h schnelle Schiff (Baukosten: 3,6 Millionen Euro) unterwegs mithilfe von Solarmodulen auf dem Oberdeck.

Herr Witte, im September 2022 haben Sie mit der MS Mainau Ihr erstes vollelektrisches Passagierschiff in Betrieb genommen. Gibt es ein erstes Fazit?

Das Ergebnis nach der ersten Saison ist durchweg positiv, denn das Schiff hat sich als sehr zuverlässig bewiesen und kommt bei unseren Fahrgästen gut an. Die „MS Mainau“ ist das derzeit größte rein batterieelektrische Schiff in Deutschland. Auf dem Bodensee sind fast zu 100 Prozent Dieselantriebe im Einsatz. Die MS Mainau ist nach wie vor das einzige vollelektrische Schiff und somit nach wie vor die Ausnahme.

Ein E-Boot wird kommen
Das Schiff des Typs ASP-300 wurde unter dem Projektnamen „Artemis“ von Oktober 2021 bis Juli 2022 gebaut. Die Module entstanden an der Ostsee, in Friedrichshafen wurden sie anschließend zusammengefügt. Getauft wurde der Katamaran auf den Namen MS Lindau. Zugelassen ist es für 300 Passagiere. Fotos: Bodensee-Schiffsbetriebe Lindau
Ein E-Boot wird kommen
Das Schiff des Typs ASP-300 wurde unter dem Projektnamen „Artemis“ von Oktober 2021 bis Juli 2022 gebaut. Die Module entstanden an der Ostsee, in Friedrichshafen wurden sie anschließend zusammengefügt. Getauft wurde der Katamaran auf den Namen MS Lindau. Zugelassen ist es für 300 Passagiere. Fotos: Bodensee-Schiffsbetriebe Lindau

Was ist besonders geglückt mit der MS Mainau?

Wir sollten und wollen mit der MS Mainau einen ersten Baustein legen, um anzufangen die Weiße Flotte zu dekarbonisieren. Das ist uns geglückt.

Wie funktioniert der Einsatz des batterieelektrischen Schiffes praktisch?

Vorab muss man wissen: Die Bodenseeschifffahrt fährt seit über 100 Jahren mit Dieselkraftstoff – wie die gesamte Schifffahrt. Wir haben also unsere Maschinenanlagen daraufhin definiert und vor allen Dingen unser Schiffsdesign darauf festgelegt. Wir haben Maschinenräume, die so groß sind, dass sie eine Dieselmaschine und die Tanks aufnehmen können. Dahingehend haben wir seit vielen, vielen Jahren alles optimiert. Dieselkraftstoff ist ein Energieträger, der immer noch günstig ist und eine hohe Energiedichte aufweist, deutlich höher im Vergleich zu den alternativen Energieträgern, über die wir zur Zeit diskutieren wie z.B. Wasserstoff, Methan oder auch Methanol. Erst seit ein paar Jahren reden wir jetzt endlich von alternativen Energieträgern.

Wie wird sich Ihre Flottenzusammensetzung ändern?

Ich erwarte, dass wir zukünftig nicht nur einen Energieträger in den Flotten sehen werden, sondern mindestens zwei. Rein batterieelektrisch für die Kurzstrecke und für längere Strecken und große Schiffe Methanol mit übrigens einer halb so hohen Energiedichte wie der Dieselkraftstoff. Wir sehen schon jetzt, dass der batterieelektrische Einsatz der MS INSEL MAINAU sich rechnet. Für die Umwelt ist das Schiff schon jetzt ein klarer Gewinn, weil emissionsfrei!

„Ich erwarte, dass wir zukünftig nicht nur einen Energieträger sehen werden, sondern mindestens zwei.“

Es ist also eine Erfolgsgeschichte?

Unbedingt. Wir haben uns damals eine Strecke ausgesucht, die unserer Meinung nach für vollelektrisches Fahren sinnvoll ist. Denn wir müssen als Reederei nicht nur in Nachhaltigkeit investieren, sondern auch nachhaltig investieren. Das bedeutet explizit: Wir sollten keine Technologie aus dem Labor nutzen, die noch nicht ausentwickelt ist und zulassungsfähig ist. Wir benötigen Industrielösungen, langfristige Lösungen, zumal so ein Schiff nicht gerade wenig kostet. Die MS Mainau zum Beispiel war relativ günstig, aber es waren dennoch 3,5 Millionen Euro. Und wir fahren unsere Schiffe zwischen 40 und 50 Jahren und schreiben sie über 20 Jahre ab.

Wie also steht es mit dem Return on Investment?

Die MS Mainau war eine gute Investition. Dieses Schiffskonzept funktioniert, und wir möchten es gerne für weitere Strecken ausbauen. Als Reeder braucht man ein langfristiges Denken. Wir überlegen also sehr genau, was wir tun. Und vergessen Sie bitte nicht: Wir haben hier vor Ort Generationen von Schiffsführern und Maschinisten ausgebildet. Wir haben Schiffsführer, die schon ihr ganzes Leben bei uns fahren. Die kennen nur die Dieselmaschinen. Und jetzt kommst du mit einer ganz anderen neuen Technik um die Ecke. Da hatte ich schon Sorge, dass dieser Paradigmenwechsel nicht funktionieren würde. Die Erfahrung von der Insel Mainau ist aber: es hat extrem gut funktioniert!

Wie kommt das?

Die Technik ist etwas einfacher. Sie ist sehr zuverlässig, und auf einem Elektroschiff kann man sofort sehen, wie hoch der Verbrauch ist. Das System funktioniert dank Gamification, weckt halt den Spieltrieb im Menschen. Das geht ja auch jedem Fahrer eines Elektroautos so. Ich habe noch nie erlebt, dass Leute bei uns freiwillig Glasflächen putzen. Hier aber gehen sie raus, um das Solardach zu putzen, weil sie auf ihrer Anzeige sehen, dass Möwenkot und sonstiges draufliegt und somit nicht so viel Energie produziert wird.

Wie schnell können Sie mit der MS Mainau übersetzen?

Das Schiff fährt in der Kursgeschwindigkeit mit 15km/h. Für die  Strecke Uhldingen-Meersburg benötigen wir so circa 15 Minuten. Für unsere großen Schiffe, die lange Strecken fahren und die auch schneller fahren müssen, brauchen wir eine andere Lösung. Der Fahrgast würde es niemals tolerieren, scheinbar endlos lange auf dem Schiff zu sein. Wir reden hier von Strecken, die teilweise über 80 Kilometer lang sind. Zwar wäre eine Batterie in punkto Wirkungsgrad das Beste, weil die Energieverluste gering sind. Das Problem ist bloß: Die Energiedichte der Akkus ist sehr gering im Vergleich zum Dieselkraftstoff. Zudem sind sie sehr schwer und groß. Somit funktioniert das Ganze nur auf kurzen Strecken und nach Möglichkeit bei geringer Geschwindigkeit. Die batterieelektrische Energie, die ich in einem Schiff brauche, ist Geschwindigkeit hoch drei. Wenn ich also 2 km/h langsamer fahre, spare ich, zwei hoch drei, also das Achtfache an Energie und so weiter. Beim Auto kann ich auch Energie durch langsameres Fahren sparen, aber das Verhältnis ist quadratisch (hoch 2). Bei 2 km/h langsamer ist das der Faktor vier.

Wie sieht es mit Wasserstoff aus, der für Nutzfahrzeuge schon hoch im Kurs steht?

Die Energiedichte, sowohl gravimetrisch als auch volumetrisch, ist entscheidend. Beim Wasserstoff hängt die Reichweite sehr stark davon ab, mit wieviel bar Druck man ihn fährt. Wenn er sehr stark komprimiert ist, sogar bis er flüssig ist, dann wird es interessant. Dafür fehlt aber noch die Tanktechnik. Klar, wir haben unendlich viel grünen Strom – den können wir aber nicht immer abnehmen. Wir müssen ihn irgendwie zwischenspeichern. Da reden wir über Wasserstoff und so zu verfahren, ist absolut richtig. Nur funktioniert es bei uns aus den genannten Gründen in naher Zukunft nicht.

„Mit Methanol kann ich in der Schifffahrt etwas anfangen.“

Wie lösen Sie das Problem?

Wir wollen einen Schritt weitergehen. Seit einiger Zeit gibt es in der Seeschifffahrt das Thema Methanol. Wir nehmen für unsere Langstrecken also nicht H2, sondern gehen noch eine Synthesestufe weiter, nämlich zu CH4O und nutzen damit Methanol. Das ist flüssig. Und im Endergebnis habe ich dann eine halb so hohe Energiedichte wie beim Dieselkraftstoff. Damit kann ich in der Schifffahrt etwas anfangen. Genau auf dem Dampfer, um im Bilde zu bleiben, sind gerade alle Reedereien unterwegs. Ich rede hier von großen Reedereien wie Maersk oder MSC, also großen Logistik- und Transportdienstleistern, nicht von Binnenschifffahrt.

Also ist es doch keine Lösung für den Bodensee?

Doch. Denn als große Verbraucher werden diese Reedereien den Energiemarkt treiben und damit die Frage, wohin sich der Schiffskraftstoff der Zukunft entwickelt. Dafür sind auch schon viele große Seeschiffe bestellt, die Dual Fuel-Motoren haben. Zunächst wird Diesel eingesetzt werden, aber sukzessive wird relativ einfach auf Methanol umgerüstet werden können.

Also wie Hybridfahrzeuge, die sowohl als auch können?

Nein, das geht leider nicht. Das hatte ich auch zuerst gehofft. Aber das Ganze ist etwas komplexer.

Auf Kufen übers Wasser
Wasserung der beiden Rümpfe der späteren „MS Mainau“ im Februar 2022 im Bodensse. Hergestellt wurden sie auf der Werft Ostseestaal in Stralsund

Gibt es noch andere Möglichkeiten?

Ja. Unsere Gasautofähre kann von einem Tag auf den andern von grauem LNG auf BioLNG umgestellt werden, sobald wir das zur Verfügung haben. BioLNG wird durch die Energiemarktwende kommen. Das wird dann aus vergammelnden Lebensmitteln, Holzabschnitten von den Bäumen, oder aus der Klärgrube und ähnliches mehr gewonnen. Das ist ja alles Methan und muss nur noch komprimiert werden.

Also auch noch LNG Schiffe neben dem rein elektrischen Schiff?

Die Stadtwerke Konstanz, zu der die Reederei Bodensee Schiffsbetriebe mit der MS Mainau gehört, haben im Oktober 2023 eine erste Fähre mit LNG (Liquefied Natural Gas), also mit Methanantrieb in Form von Gas, in Betrieb genommen. Unser Fährschiff Richmond, das zwischen Konstanz und Meersburg pendelt, ist eines der ersten Binnenfahrgastschiffe in Europa, das von schnelllaufenden reinen Gasmotoren angetrieben wird. Die Fähre kann durch Befüllung mit Bio-LNG weitgehend treibhausgasneutral betrieben werden und bietet Platz für 64 Pkw und 700 Passagiere.

Rechnet sich die Richmond, oder investieren Sie gewaltig in die Zukunft?

Bereits ab einer Anzahl von zehn Kraftwagen fahren wir kostendeckend.

Was ist mit HVO, also Hydrotreated Vegetable Oil, oder hydriertes Pflanzenöl aus Abfällen?

Das funktioniert auch für die Schifffahrt, nicht nur im Flugverkehr. Aber es ist meines Erachtens eine Nische und auch nur für eine kleine Übergangszeit. Denn so viel altes Speiseöl durch den Verzehr von Fritten und Co. können wir gar nicht produzieren, damit alle fliegen können. Deshalb sollten wir das für die Schifffahrt gar nicht erst groß durchdenken.

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3 Kommentare

  1. DaHuaba

    BioLNG war auch mein erster Gedanke. Ich persönlich kenne das von Gas-Bussen, die sind sehr laufruhig und riechen nicht nach verfaulten Eiern. Jetzt müssen halt endlich konsequent die Reststoffe genutzt werden – Vorbild Dänemark! – und auch über Algen/Seegras muss nachgedacht werden. Das E-Schiff finde ich cool, zyklusfeste LFP-Akkus wie im vor einiger Zeit vorgestellten chinesischen Containerschiff wären angesichts der Haltbarkeit und letztlich der Nachhaltigkeit noch eine sinnvolle Optimierung.

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  2. Alex

    … und einer Batterie mit einer Kapazität von einem Megawatt …

    So etwas ist in einer Publikation wie Edison peinlich, die sich zum größten Teil mit batterieelektrischen Antriebskonzepten beschäftigt.

    Was ist so unfassbar schwer, zwischen kW und kWh zu unterscheiden. kW ist Leistung und kWh ist Energie(menge).
    Kein Mensch käme auf die Idee, die Größe seines Kraftstofftanks in PS zu messen, oder zu sagen, sein Auto habe eine Leistung von 68 Liter.

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    • Franz W. Rother

      Danke für die Belehrung, da ist der Kollegin ein Fehler unterlaufen.

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