Nach Tesla, Audi und Porsche baut nun auch Mercedes-Benz eine eigene Ladeinfrastruktur für Elektroautos auf – die eigenen, aber auch die Modelle anderer Hersteller. In Nordamerika, in Europa sowie in China. Dort allerdings in Kooperation mit BMW. Gesteuert werden die Aktivitäten von Mercedes-Benz Mobility, an deren Spitze Franz Reiner steht. Der in den USA geborene Wirtschaftsingenieur verfolgt dabei ehrgeizige Ziele, wie er in dieser Tage bei der Eröffnung des ersten europäischen Mercedes-Benz Charging Hub in Mannheim erzählte, einer cooles Schnellladestation mit sechs High Power-Chargern unweit des Autobahnkreuzes Mannheim. Zuvor waren drei ähnliche Stationen bereits in Atlanta und in China eröffnet worden.

Herr Reiner, Mercedes-Benz zählt zu den Gründungsmitgliedern von Ionity. Warum braucht es da noch ein Netz von Charging Hubs in Europa?

Es gibt zwei Gründe dafür. Wir brauchen zum einen auch in Europa noch mehr Ladeinfrastruktur als heute schon. Ionity allein wird das Problem nicht lösen können: Wir brauchen eine deutlich höhere Dichte an Ladeplätzen. Und wir sind zutiefst überzeugt, dass wir unseren Kunden den Zugang zur Elektromobilität weiter vereinfachen müssen. Wir wollen uns da an die Speerspitze der Bewegung setzen, denn bis 2030 wird Mercedes-Benz vollelektrisch sein – wo immer es die Marktbedingungen erlauben.

Franz Reiner
Der 56-jährige Wirtschaftsingenieur ist seit 1. Juni 2019 Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Mobility AG - der früheren Daimler Financial Services AG. Finanzdienstleistungen bietet das Unternehmen immer noch an. Aber mit dem Angebot von digitalen Mobilitätslösungen und nun auch Ladedienstleistungen sind neue Aktivitäten hinzugekommen.
Franz Reiner
Der 56-jährige Wirtschaftsingenieur ist seit 1. Juni 2019 Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Mobility AG – der früheren Daimler Financial Services AG. Finanzdienstleistungen bietet das Unternehmen immer noch an. Aber mit dem Angebot von digitalen Mobilitätslösungen und nun auch Ladedienstleistungen sind neue Aktivitäten hinzugekommen. 2022 erwirtschaftete die Mercedes-Tochter einen Umsatz von 27 Milliarden Euro und einen Gewinn von über 2,4 Milliarden.

Das Geld, was Sie für den Aufbau der Charging Hubs ausgeben, hätten Sie aber auch in Ionity investieren können, damit das Netz noch schneller ausgebaut werden kann und an den Stationen mehr Ladekomfort als heute geboten werden kann.

Eine Investition in Ionity würde allein Kundinnen und Kunden in Europa zugutekommen. Wir denken aber weit über Europa hinaus. In Nordamerika wollen wir zusammen mit sechs weiteren OEMs eine gemeinsame Lösung für das Schnelladen anbieten. Da haben wir auch zusätzliches Kapital reingegeben. Und daneben stellen wir auch in den USA unsere eigenen Mercedes-Benz Charging Hubs.

In China, wurde jetzt bekannt gegeben, will Mercedes zusammen mit BMW ein gemeinsames Premium-Schnellladenetz aufbauen. Wie passt das in die Strategie?

Das angekündigte Joint Venture folgt unserer globalen Strategie, bis zum Ende dieses Jahrzehnts unser Schnellladenetz auf über 10.000 Schnellladepunkten weltweit auszubauen. Wir haben jetzt die strategische Entscheidung getroffen, unsere Kräfte in China zu bündeln, um schnelles, zuverlässiges und umweltfreundliches Laden im ganzen Land rasch auszubauen und den Wandel in puncto Elektromobilität in China weiter zu unterstützen.

„Ionity allein wird das Problem nicht lösen können: Wir brauchen eine deutlich höhere Dichte an Ladeplätzen.“

Das Investitionsprogramm ist also weltweit angelegt?

Wir sehen uns in einer globalen Gesamtverantwortung für die Entwicklung der Elektromobilität und der Antriebswende.

Das klingt mir ein wenig zu idealistisch. Steht nicht auch ein Geschäftsmodell dahin, das Ihnen neue Einnahmequellen erschließen soll? 

Das muss der Anspruch sein, damit einen zusätzlichen Beitrag zu generieren. Denn nur so kann man etwas schaffen, was einen Mehrwert für den Kunden schafft, aber auch für das Unternehmen.

Haben Sie sich da von Tesla inspirieren lassen?

Ich persönlich habe mich von vielen Dingen inspirieren lassen. Ich laufe mit offenen Augen durchs Leben und schaue mir als Fahrer von Elektroautos natürlich auch an, war andere Autohersteller machen. Das Schnellladenetz von Tesla hat da sicher auch eine Rolle gespielt. Unter anderem haben wir die Entscheidung getroffen, unseren Kunden in Nordamerika ab 2024 das Laden über den NACS-Ladestandard zu ermöglichen. Auch daran sehen Sie, dass wir uns möglichst breit aufstellen.

Sechsmal 300 Kilowatt 
Auf dem Gelände der Mercedes-Niederlassung Mannheim können unter einem Solardach gleichzeitig sechs Elektroautos Strom aufnehmen. Mercedes-Fahrer können den Ladeplatz sogar vorab reservieren.
Sechsmal 300 Kilowatt
Auf dem Gelände der Mercedes-Niederlassung Mannheim können unter einem Solardach gleichzeitig sechs Elektroautos Strom aufnehmen. Mercedes-Fahrer können den Ladeplatz sogar vorab reservieren.

Die neue Anlage in Mannheim hat sechs Ladepunkte mit jeweils 300 kW Leistung. Andere Mobility-Provider wie EnBW bauen noch größere Ladeparks mit bis zu 50 Lademöglichkeiten. So groß sollen die Mercedes-Benz Charging Hubs aber nicht werden?

Nein. Wir haben einen klaren Strategieansatz: Wir wollen da sein, wo unsere Kunden sind. Also an Verkehrsknotenpunkten in Regionen, wo wir eine hohe Dichte an Elektroautos von Mercedes haben.

Wobei die Charging Hubs erfreulicherweise auch Fremdfabrikaten offen stehen.

Richtig. Das haben wir ganz bewusst so gemacht, weil die Ladeinfrastruktur ganz entscheidend ist für die Entwicklung der Elektromobilität. Unser Ziel ist die CO2-Neutralität im Straßenverkehr. Um das zu erreichen, müssen wir die Stationen allen Autofahrern anbieten.

Sie sprachen von Mehrwert für den Kunden. Plug&Charge geht hier aber nur, wenn man ein Elektroauto von Mercedes fährt, oder?

Ja, das geht über unsere Head Unit erst mal nur für Mercedes-Kunden. Ebenso wie die Möglichkeit, einen Ladeplatz vorab zu reservieren.

„Die Ladeinfrastruktur ganz entscheidend ist für die Entwicklung der Elektromobilität.“

Bei Mercedes-Kunden ist allerdings auch Voraussetzung, dass sie einen Vertrag mit Mercedes me Charge haben. Ist daran gedacht, den Ladetarif auch anderen Automarken zu öffnen – so wie neuerdings bei Tesla?

Aus heutiger Sicht nicht. Wir wollen das Angebot und die Tarife erst einmal exklusiv unseren eigenen Kunden anbieten.

Wissen Sie schon, wo die nächsten Mercedes-Benz Charging Hubs entstehen werden?

Wir wollen bis Ende kommenden Jahres über 200 Ladestationen in Europa anbieten. Wir sind gerade dabei, die Standorte zu definieren und zu finden. Ein großer Teil davon wird in Deutschland sein. Aber auch die Nachbarländer werden welche bekommen. Aber wo und wann genau, kann ich noch nicht sagen, weil wir zum Teil noch in Verhandlungen stehen.

Mit vereinten Kräften
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Mitte) ließ es sich nicht nehmen, den neuen Charging Hub auszuprobieren. Als Assistenten wirkten der CEO von Mercedes-Benz Mobility, Franz Reiner (r.), Mercedes Finanzchef Harald Wilhelm sowie Doreen Laubsch, die Leiterin der Mercedes-Benz Vertriebsdirektion Rhein-Main.
Mit vereinten Kräften
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Mitte) ließ es sich nicht nehmen, den neuen Charging Hub auszuprobieren. Als Assistenten wirkten der CEO von Mercedes-Benz Mobility, Franz Reiner (r.), Mercedes Finanzchef Harald Wilhelm sowie Doreen Laubsch, die Leiterin der Mercedes-Benz Vertriebsdirektion Rhein-Main.

Die größeren Lücken im europäischen Ladenetz sind derzeit eher in Südeuropa als in Deutschland. Spielt das bei der Auswahl der Standorte auch eine Rolle?

Bei unserer Priorisierung steht Frankreich ganz oben, neben Italien und Spanien. Wir gehen aber auch in die skandinavischen Länder – da sehen wir ebenfalls Potenzial.

Die Kosten für den Aufbau der Station hier in Mannheim schätze ich auf über eine Million Euro. Was haben Sie denn für den Aufbau des Netzes an Charging Hubs insgesamt eingeplant?

Wir haben zu Jahresbeginn gesagt, dass wir global und bis zum Ende der Dekade selbst voraussichtlich einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag in Euro investieren wollen. Die Summe teilt sich im Wesentlichen auf drei Regionen auf, auf Europa, Nordamerika und China bzw. Asien.

E.ON haben Sie als Partner in Europa an Bord geholt. Was machen die für Mercedes-Benz Mobility?

Das ist eine strategische Partnerschaft. Wir gehen mit dem Investment in die Vorlage – E.ON wird dann die Umsetzung der Planung betreuen und uns beim Aufbau des Netzes helfen.

Wer sucht die Standorte aus?

E.ON gemeinsam mit uns.

Und den Betrieb…

Übernimmt E.ON.

Sie werden ja wie in Mannheim nicht immer eine Niederlassung in der Nähe haben mit einer Kaffeemaschine und sanitären Anlagen, um einen gewissen Ladekomfort bieten zu können.

Nein, aber wir schauen schon danach, dass unsere Kunden am Standort zusätzliche Dienstleistungen abrufen können. In einer Niederlassung wie hier oder zum Beispiel in einem angrenzenden Einkaufszentrum.

Wie lange fahren Sie selbst schon elektrisch?

Etwa neun Monate.

Und wie sahen Ihre Ladeerlebnisse bislang aus?

Ganz toll. Unsere erste Urlaubsfahrt mit dem Elektroauto – ganz bewusst einem Mercedes EQA – ging nach Frankreich. Und dank unserer Head Unit hatte ich nie ein Problem, einen freien Ladeplatz zu finden. Ich musste nirgendwo vor einer Ladesäule warten und alles funktionierte reibungslos. Und das mitten in der Hauptreisezeit.

„Wir müssen die Elektromobilität so gestalten, dass sich die Menschen damit wohl fühlen.“

Da haben Sie Glück gehabt.

Das sicher auch, aber vor allem unserem System und der Ladeplanung des Autos vertraut.

Die Station ist hier für Pkw und Vans konzipiert. Werden Sie ähnliche Charging Hubs auch für die Käufer eines e-Actros anbieten, also im Schwerlastverkehr? Die Trucker würden sich darüber sicher noch mehr freuen.

Nein. Das Nutzfahrzeuggeschäft ist ein ganz anderes. Da braucht es ein Zehnfaches an Energie, da wird das Laden auch vielfach in den Depots der Transportunternehmen stattfinden. Da gibt es auch große Flächen zum Rangieren.

Mercedes-Benz Mobility gibt es schon sehr lange, war früher mal die Daimler Financial Services AG und beschäftigte sich mit automobilbezogene Finanzdienstleistungen und Versicherungen. Mit der Elektromobilität kommt nun noch das Thema Ladedienste hinzu. Haben Sie im Zusammenhang mit der Verkehrs- und Antriebswende noch andere Ideen, um das Geschäftsmodell zu erweitern?

Mercedes Concept CLA-Class auf der IAA in München
"Wenn man perspektivisch bis zu 750 Kilometer weit mit einer Akkulandung fahren und auch extrem schnell laden kann, wird auch der Kunde, der an der Schwelle steht, sagen: Das ist, was ich brauche." Foto: Mercedes-Benz
Mercedes Concept CLA-Class auf der IAA in München
„Wenn man perspektivisch bis zu 750 Kilometer weit mit einer Akkulandung fahren und auch extrem schnell laden kann, wird auch der Kunde, der an der Schwelle steht, sagen: Das ist, was ich brauche.“ Foto: Mercedes-Benz

Wir haben verschiedene Kinder neu an Bord genommen. Zum Beispiel haben wir unsere Miet- und Abo-Angebote ausgebaut. Darüber haben wir auch schon eine große Fahrzeugflotte in den Verkehr gebracht, auf die Kundinnen und Kunden über unser EQ Abo- oder Mietangebot zugreifen können. Zudem ist mit der Elektromobilität das Thema Digitalisierung verknüpft. Wir wollen unseren Kunden zusätzliche Services über eine sichere Zahlungsstrecke anbieten. Etwa für das Laden des Elektroautos über Plug & Charge. Oder verschiedene fahrzeugnahe Dienstleistungen oder Entertainment-Funktionen, für die wir eine sichere Bezahlung via Fingerabdruck direkt aus dem Fahrzeug anbieten. Charging ist dabei unser jüngstes Kind. Alles in allem sind das Angebote rund um den Kunden herum und nicht nur um das Auto. Um unsere Kunden möglichst lange in unserem Eco-System zu halten.

Gutes Stichwort: Bei Tesla erstreckt sich das bis in den häuslichen Bereich und die Energieerzeugung über PV-Anlagen.

Unser elektrisches Konzeptauto CLA Class von der IAA hat ja schon Technik für das bidirektionale Laden an Bord. Und definitiv denken wir darüber nach, was wir dazu beitragen können.

Aktuell schwächelt aus verschiedenen Grünen die Nachfrage nach Elektroautos in Deutschland. Wie könnte die aus Ihrer Sicht überwunden werden?

Ich denke immer vom Kunden her. Und ich glaube, wir müssen die Elektromobilität so gestalten, dass sich die Menschen damit wohl fühlen. Durch einen leichteren Zugang zur Ladeinfrastruktur und durch faire Ladestrompreise. Und wenn man wie mit unserem Concept CLA Class perspektivisch bis zu 750 Kilometer weit mit einer Akkulandung fahren und auch extrem schnell laden kann, wird auch der Kunde, der an der Schwelle steht, sagen: Das ist, was ich brauche.   

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