Prestige? Fährt man mit einem Citroën Berlingo eher nicht ein. Statt auf der Auffahrt zum Luxushotel sieht man den kleinen Kastenwagen aus Frankreich eher am Lieferanteneingang. Für Glanz und Glamour ist selbst die Langversion XL in der Topausstattung „Shine“ mit XTR-Paket nicht geeignet, die immerhin mit einem Panoramadach und Head-up-Display, mit zwei Schiebetüren, Leichtmetallrädern und orangefarbenen „Airbumpern“ aufwartet.

Die große Stunde des Hochdachkombis schlägt jedoch, wenn es gilt, fünf, sechs Kinder zur Schule zu transportieren, wenn ein Umzug ansteht oder der Transport eines Surfbretts zum Strand. Und es gibt viele Situationen, in denen ein Auto dieses Typs zum Helden im Alltag wird. Nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land. Insofern ist es sicher eine schlaue Idee des Stellantis-Konzerns, den Pragmatiker zum 25. Geburtstag nun auch in einer elektrischen Variante anzubieten – als kompakten Freizeit-Van für die Familie und als Kastenwagen für gewerbliche Nutzungen und Nutzlasten von bis zu 800 Kilogramm. Ein Elektroauto ohne allzu viel Chichi, dafür mit hoher Funktionalität, einem großzügigen Platzangebot und ab 36.950 Euro zu, na ja, dank Umweltbonus zu noch gerade so erschwinglichen Neuwagenpreisen.

Gleiche Technik – unterschiedliche Werte

So etwas hat auf dem Markt definitiv noch gefehlt. Darum stellt Stellantis dem Citroën ë-Berlingo auch gleich noch den baugleichen Combo-e der Schwestermarke Opel sowie den Peugeot e-Rifter an die Seite. Der technische Aufwand dafür dürfte überschaubar gewesen sein: Alle drei Fahrzeuge nutzen die gleiche Plattform und den gleichen Antriebsstrang. Kleine Unterschiede gibt es nur in der Optik, bei Farben und Sitzbezügen – und bei den Preisen. 37.590 Euro kostet der Stromer bei Peugeot, 38.100 sind es beim Opel Combo-e Life.

Und trotz identischer Elektromotoren mit 100 kW (136 PS) Leistung und identischer Akkugrößen (von jeweils 50 kWh Speicherkapazität) springen ganz unterschiedliche Stromverbräuche und Reichweiten auf dem Rollenprüfstand heraus: Citroën gibt die Reichweite des ë-Berlingo mit 285 Kilometer an, während der Opel mit einer Akkuladung nur bis zu 249 Kilometer weit kommt. Der Peugeot liegt mit 273 bis 280 Kilometer irgendwo dazwischen.

Aber das sind alles Laborwerte – die Realität sind etwas anders aus, wie wir bei einer Testfahrt mit dem Citroën feststellten. Denn bei einer Außentemperatur von 13 Grad nahm sich der Berlingo doch mehr Energie aus dem Akku als werksseitig versprochen. Nach rund 70 Kilometern – vorwiegend über Landstraßen und im Stadtverkehr, nur wenige Kilometer über die Autobahn – wies der Bordcomputer einen Durchschnittsverbrauch von 26,1 kWh pro 100 Kilometer aus und eine Restreichweite von 90 Kilometern aus. Und dabei wurde auf der Autobahn Tempo 120 nicht überschritten. Und auch in vielen Kleinstädten rings um Paris herrscht inzwischen Tempo 30 – der Antrieb wurde also nicht besonders gefordert.

Volle Kraft nur im „Sport“-Modus

Allerdings, so viel muss zur Verteidigung der Technik gesagt werden, wurde der Elektro-Berlingo auch überwiegend im Sport-Modus bewegt. Denn nur dann liegt das volle Drehmoment von 260 Newtonmetern (Nm) an und die volle Antriebskraft von 100 kW zur Verfügung. Im Normal-Modus sind es nur 210 Nm und 80 kW. Und im Eco-Modus? Verliert man wie bei fast allem, was Öko ist, die Lust – in dem Fall am Fahren.

Ganz blöd
Die Ladeklappe befindet sich – wie bei vielen Plug-in Hybriden hinten links. Das erfordert Rangierkünste – oder ein langes Kabel.

Und das Stromern im ë-Berlingo kann durchaus Spaß machen – mehr als man beim Einsteigen und beim ersten Blick auf die Hartplastik-Landschaft, die sich vor dem Fahrer aufbaut, vermuten könnte. Eine technische Einweisung kann man sich sparen – alles ist da und funktioniert so, wie man es erwarten kann und aus der Verbrenner-Zeit kennt. Na klar – den Berlingo wird es auch noch eine ganze Weile mit Benzinern und Dieselmotor geben: Obwohl das Klimaschutzabkommen in Paris geschlossen wurde, kriegen unsere Nachbarn beim Gedanken an die Erderwärmung nicht gleich Schnappatmung. 2025 erwarten sie bei Citroën lediglich einen Anteil von 30 Prozent Elektroautos – Plug-in-Hybride inklusive – am Gesamtabsatz. Und 2030 sollen zwar 70 Prozent der Flotte elektrifiziert sein. Das gilt aber nur für die Fahrzeuge auf dem europäischen Markt. In Afrika und Lateinamerika dürften dann noch immer die Verbrenner überwiegen. Und den Markt wollen die Franzosen nicht links liegen lassen.

30 Ablagen im Innenraum – aber kein Platz fürs Ladekabel

Demzufolge ist auch die dritte Generation des Berlingo immer noch in erster Linie ein Verbrenner-Modell – zu der nun eine elektrische Line-Extension hinzukommt. Das zeigt sich auch, wenn man nach einer Ladeklappe sucht: Die sitzt hinten links. Besser wäre sie hinten rechts aufgehoben. Aber da sitzt bei den Autos alter Schule immer noch der Tankstutzen. Also muss man den Stromer entgegen der Fahrtrichtung parken, um die Ladebuchse auf kürzestem Wege mit der Ladesäule zu verbinden. Oder man muss das Kabel um das Fahrzeugheck herumführen – und kommt dann unter Umständen in Stolpern, wenn man die Ladepause nutzen will, um aus dem Gepäckraum etwa den Picknickkorb hervorzukramen.

Dass der E-Berlingo eine Kompromisslösung ist, zeigt sich auch daran, dass bei der Konzeption des Fahrzeugs zwar an 30 Ablagen im Innern gedacht wurde – aber nicht an einen Platz, an dem das Ladekabel sicher verstaut werden kann: Eine Tasche muss genügen, die bei flotter Fahrt im Kofferraum herumpurzelt. Die Sitze im Fond lassen sich wunderbar zusammenfalten, das Kabel aber nicht im Boden versenken. Vorne im weitgehend entleerten Motorraum böte sich eine Ablage an – vielleicht wird später ja noch ein richtiger „Frunk“ daraus.

Ganz einfach
Die Bedienung des E-Berlingo gibt keine Rätsel auf: Alles ist da, wo man es erwartet. Einfach ist aber auch die Qualität der eingesetzten Materialien. Hartplastik lässt sich immerhin leicht reinigen. Bei einem Familienauto kann das ein großer Vorteil sein.

Aber genug gemeckert: Wir sprachen von der Freude am Fahren. Und die bietet der Berlingo tatsächlich. Das Fahrwerk ist komfortabel abgestimmt, ohne weich zu sein, die Lenkung reagiert schnell, wenngleich etwas gefühllos, die Bremsen packen ordentlich zu – wenn man sich erst einmal an das etwas teigige Pedal-Gefühl gewöhnt hat. Unser Testwagen war wie gesagt top ausgestattet mit allem, was dem Fahrer heutzutage Überlandfahrten erleichtern soll: Spurhalte-Assistent, Totwinkelwarner, Head-up Display. Aber weil man im Berlingo aufrecht sitzt und die Karosserie ganz gut zu übersehen kann, könnte man sich derlei Helferlein auch sparen. In einen Temporausch kann man sich ohnehin nicht steigern: Mehr als 135 km/h sind nicht drin.

Ladeleistung wichtiger als Speicherkapazität

Bei der Rückkehr von der Testfahrt steht plötzlich Citroën-Chef Vincent Cobée vor uns. Der Ingenieur und Absolvent der Harvard Business School will natürlich wissen, wie wir den neuen ë-Berlingo. Daraus entwickelt sich dann schnell eine Diskussion über die optimale Reichweite von Elektroautos: Sind 280 Kilometer genug – und wären nicht eigentlich 400 Kilometer besser? Auch für ein Auto, das sicher überwiegend im Kurzstreckenverkehr bewegt wird. Mehr Reichweite bedeutet mehr Gewicht, mehr Kosten – und eine geringere Praktikabilität im Alltag: Eine große Batterie koste nicht nur Ressourcen, sondern auch Bauraum. Warum also darin investieren?

Ganz praktisch
Die Heckscheibe lässt sich auf Knopfdruck separat öffnen, etwa um eine Jacke in einem Fach unterm Dach zu verstauen.

Für die Fahrt in den Urlaub nach Südfrankreich, argumentiert Cobée, könne der Berlingo-Käufer für einige Wochen bei Citroën auch ein konventionell angetriebenes Auto leihen – „das kommt billiger als der Kauf eines Elektroautos mit 600 oder 700 Kilometer Reichweite.“ Dafür würden wenigstens 50.000 Euro fällig – etwa doppelt so viel, wie heute der durchschnittliche Autokäufer für seinen Neuwagen ausgibt. „Glauben Sie allen Ernstes, dass wir die Menschen dazu bringen können, so viel mehr fürs Auto auszugeben bloß weil der elektrisch fährt?“

Nein, wichtiger und hilfreicher als eine Erhöhung der Akkukapazität sei eine hohe Ladegeschwindigkeit. Der aktuelle Citroën ë-Berlingo lädt den Strom am Gleichstrom-Lader mit 100 kW. Aber da sei noch nicht das letzte Wort gesprochen, verspricht Cobée: „Da geht noch was.“

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