Schon längst ist die Daimler Truck AG als Hersteller von Nutzfahrzeugen seit der Trennung vom Pkw Bereich aus dessen Schatten getreten. „Als schlummernder Weltmarktführer waren wir immer hinter Pkw versteckt“, sagt Vorstand Martin Daum. Jetzt nimmt man den Nutzfahrzeughersteller und Weltmarktführer als starkes eigenständiges Unternehmen wahr.

EDISON traf sich mit dem gebürtigen Badener zu einem angeregten Austausch über die Entwicklungen bei Daimler Truck und seine Sicht der energiepolitischen Tendenzen – in Deutschland, Europa und weltweit.

Herr Daum, Seit gut zwei Jahren sind PKW und LKW bei Daimler getrennt.
Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung der Daimler Truck AG?

Ich bin sehr zufrieden. Die Trennung war ja zunächst einmal eine juristische Angelegenheit. Wir haben schon immer sehr eigenständig unter dem Dach der Daimler AG gearbeitet. Ich bin seit 2017 als Vorstand für den Nutzfahrzeugbereich zuständig. In meinem tagtäglichen operativen Geschäft hat sich durch die Aufteilung nichts verändert.

Sie fahren, anders als viele andere Hersteller, eine mutige Zwei-Säulen-Strategie, setzen auf Wasserstoff und Batterie, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Warum?

Die Zwei-Säulen Strategie, Brennstoffzelle und Batterie, sind genau betrachtet nur eineinhalb Säulen, weil beides ist ein elektrischer LKW. Hinter der Brennstoffzelle und hinter der Batterie sind beide Fahrzeuge relativ identisch.

Warum machen wir das? Weil wir der Überzeugung sind, dass die Gesellschaft beides braucht. Vor allem wegen des Themas Infrastruktur. Sie ist für mich die deutlich größere Herausforderung, als gute Batterie- oder Brennstoffzellenfahrzeuge zu entwickeln. Es ist auch das deutlich höhere Investment. 

1000 Kilometer mit einer Tankfüllung
Der mit Wasserstoff betankte Daimler GenH2-Truck zeigte kürzlich seine Eignung für den Güterfernverkehr

Warum ist das so?

Es ist schlicht das mathematische Phänomen, dass der erste batterieelektrische Lkw relativ einfach aufladbar ist; hundert Lkw sind schwierig, tausend sehr teuer. Und für 15.000 ist es fast unmöglich, den elektrischen Strom an einer Strecke zur Verfügung zu stellen. In punkto Skalierung ist der Verlauf der Investitionskosten für den Strombedarf exponentiell. Bei der Brennstoffzelle dagegen ist es gerade umgekehrt. Für ein Fahrzeug eine Wasserstoffinfrastruktur aufzustellen, ist unmöglich. Für hundert Fahrzeuge ist es extrem teuer, für tausend okay. Ab zehntausend wird es richtig interessant. Da wir aber hunderttausende Fahrzeuge in punkto Antrieb umstellen müssen, brauchen wir beides.

Ich sage immer, wenn es in die Stadt reingeht, wenn es Depot Charging ist, das Fahrzeug also über Nacht und mit viel Zeit laden kann – so wie wir unsere E-Pkw zuhause laden, dann ist es eher der batterieelektrische Lkw. Wenn ich aber flexibel auf der Langstrecke unterwegs bin oder große Baustellen mit viel Lkw Verkehr habe, dann bietet der Wasserstoff viele Vorteile. 

„Für 15.000 Lastzüge ist es fast unmöglich, den elektrischen Strom an einer Strecke zur Verfügung zu stellen.“

Daum über die Herausforderungen von BEVs im Güterverkehr

Ist eine halbe Säule dann vielleicht der Diesel mit synthetischen Kraftstoffen?

Nein. Für den Lkw ist es meines Erachtens der Wasserstoff-Verbrenner. Die synthetischen Kraftstoffe reservieren wir lieber für die Altbestandsfahrzeuge. Hinzu kommt ja auch, dass wir als Hersteller verantwortlich sind für die CO2-Freiheit der Fahrzeuge im Moment der Auslieferung. 

Die CO2 Werte sollen bis zum Jahr 2030 europaweit auf minus 45 Prozent und bis 2040 gar auf minus 90 Prozent reduziert werden. 

Bisher hatten wir ja minus 30 Prozent. Ob 30 oder 45 Prozent Reduzierung ist nicht die entscheidende Frage – es geht vor allem um Grundsätzliches. Das mache ich an der schönen magischen Formel bei Nutzfahrzeugen fest: Produkt mal Kosten mal Infrastruktur. Ist eine Null im Spiel, ist das Ergebnis null. Die Produkte, die CO2-freien Fahrzeuge, werden da sein. Infrastruktur und Kostenparität werden das Problem sein. Zweitens: Wir werden Lkw verkaufen. Denn ohne Lkw funktioniert unsere Volkswirtschaft nicht. Es sind Nutzfahrzeuge, die gebraucht werden. Die Formel ist einfach: Wenn die Kostenparität nicht da ist, wird keiner einen emissionsfreien Lkw kaufen. Ist sie da, wird jeder kaufen wollen. Bleibt die große Frage der Infrastruktur. Ist die Infrastruktur nicht da, wird trotzdem keiner kaufen. Daher muss sich der Gesetzgeber genau überlegen, was er macht.

Mercedes e-Actros
Jetzt fehlen nur noch die Megawatt Charger
Der neue Mercedes eActros soll noch in diesem Jahr in Produktion gehen. Fotos: Daimler Truck

Es liegt also weder am Hersteller noch am Kunden…

Richtig. Deshalb gibt es parallel eine Initiative namens AFIR (Alternative Fuels Infrastructure Regulation). Sie verpflichtet die Regierungen, gewisse Mindestleistungen in Richtung Ladeinfrastruktur zu erbringen. Es gibt keine Strafen, wenn die Leistungen nicht erbracht werden. Aber klar ist auch: Ist die Struktur nicht da, wird niemand einen batterieelektrischen oder wasserstoffangetriebenen Lkw kaufen. 

Wohin geht dann die Reise?

Die Energie wird teurer werden. Wenn das sozial für manche nicht tragbar ist, dann ist das die Aufgabe der Politik, dafür eine Lösung zu finden. Die kann aber nicht sein, die Energie billiger zu machen. Denn dann werden wir weiter Diesel fahren.

Wie stehen Sie zum Mautgesetz? Die Verdopplung ist ja so gut wie beschlossen. Der BGL beklagt dies.

„Die Formel ist einfach: Wenn die Kostenparität nicht da ist, wird keiner einen emissionsfreien Lkw kaufen.“

Daimler-Truck-CEO über die Marktpotenziale von E-Lastern

Irgendjemand muss die Energiewende am Ende bezahlen – ist es der Staat? Nein, weil der Staat, das sind wir. Sind es wir als OEM? Nein, warum denn? Sind es die Spediteure? Nein! Aber das Einfachste, was der Spediteur weitergeben kann – was er ja auch beim Anstieg der Dieselpreise machen kann – ist die Maut. Natürlich ist es dann so, dass am Ende alles transportierte Gut teurer wird. Dazu zwei Anmerkungen: Der Anteil der Transportkosten am Endpreis ist in der Regel sehr gering. Und wenn jetzt der Diesel teurer wird, dann wird natürlich die Logistik teurer und somit das Produkt. Wer zahlt also am Ende CO2 freies Fahren? Alle, die CO2 freies Fahren nutzen. Und das sind am Ende diejenigen, die das Produkt nutzen. 

Ihre Ertragsperle ist das Nordamerika-Geschäft mit den Marken Freightliner, Western Star und Thomas Built Buses – bleibt diese starke Säule stabil in den nächsten fünf Jahren?

Ein klares Ja. Seit bereits mehr als zehn Jahren gehen wir in Nordamerika von einem Erfolg zum andern. Wir haben eine extrem starke Marktposition mit über 40 Prozent Marktanteil. Und wir haben durchaus Appetit auf noch mehr. 

Wir haben letztes Jahr auch neue Produkte im Baustellen- und Offroadbereich auf den Markt gebracht, die neuen Western Star Lkw, die äußerst gut ankommen. Da sehe ich noch viel Potenzial. Wir sind momentan auch führend, wenn es um Null-Emissions Fahrzeuge geht – selbst wenn die Mengen noch homöopathisch sind. Da geht mit unserer hoch motivierten Mannschaft noch sehr viel in den USA. 

So weit, so prima?

Wir sind sehr zufrieden. Auch mit dem europäischen Geschäft sind wir bei der Ertragsentwicklung sehr zufrieden. Das war ja lange das Sorgenkind. Wir haben hier sehr gute Fahrzeuge, die auch sehr gut vom Markt aufgenommen werden. Nehmen Sie nur unseren Brennstoffzellen GenH2 Truck und dessen Rekordfahrt über mehr als 1.000 Kilometer mit einer Tankfüllung Flüssigwasserstoff. 

Die Fachpresse meldet Ihnen zurück, dass Sie die besten E-Fahrzeuge bauen, die man derzeit bekommen kann…

Mit dem eActros 600 haben wir jetzt ein weiteres Highlight für die Langstrecke gesetzt. Wir werden hier weiterhin ein Feuerwerk an Technologie haben. Wir haben eine gute Ertragskraft. Dass es immer noch besser gehen kann, ist klar.

Sie investieren viel in den USA in das autonome Fahren, hub to hub, mit der Tochterfirma TORC. Wie sehen die Ertragschancen für die nähere Zukunft aus?

Sicherlich wird dies noch einige Jahre dauern. Wir sprechen von der zweiten Hälfte des Jahrzehnts, wenn wir das autonome Fahren kommerzialisieren. Das bedeutet, lange Strecken ohne Fahrer zurücklegen zu können. Das ist ein weiter Weg. Aber wir machen sehr gute Fortschritte. Wir haben uns mit Hub to Hub auf den ‚einfachen’ Nutzungsfall beschränkt. Wir gehen nicht in die Städte rein, wir gehen nicht in belebte Straßen rein. Wir gehen von nahe einer Autobahn auf die Autobahn, um dann wieder autobahnnah zu entkoppeln und spannen dann einen Lkw mit Fahrer vor den Trailer. 

Was ist, wenn der Hub im Umfeld einer schwierigen Verkehrssituation liegt?

In dem Fall sind wir flexibel und fahren eine Autobahnausfahrt weiter, wo weniger Verkehr ist. Wir machen also „easy Hub to easy Hub“. Generell gilt aber: Autobahn ist deutlich einfacher zu beherrschen als Innenstadt mit deren Mischverkehr, mit Fußgängern und Fahrradfahrern. Aber das autonome Fahren eines Lkw ist machbar, und wir machen hier sehr gute Fortschritte mit Tests im öffentlichen Verkehr. 

Hat dieses Projekt auch in Europa Chancen?

Wenn es in den USA erfolgreich ist, wird es auch nach Europa kommen. Sie brauchen für das autonome Fahren allerdings lange Strecken. Die europäischen Strecken sind deutlich kürzer. Sie brauchen des Weiteren einen einheitlichen Rechtsraum. Auch das haben wir in Europa nicht. Landesgrenzen zu überschreiten, beinhaltet also eine weitere Schwierigkeit. 

In Asien sind Sie stark vertreten, in Indien, Indonesien und Japan. In China eher etwas weniger. Ist das in Zeiten wie diesen beunruhigend und kommt da in Zukunft noch mehr?

Nein, auf keinen Fall beunruhigend, wenn wir von Asien sprechen. Wir haben in Indien zwar keinen so hohen Marktanteil insgesamt, aber wir haben dort einen sehr hohen Marktanteil im Segment der technologisch anspruchsvollen Lkw. Dahinter steckt die klare strategische Erwartung, dass auch der indische Markt anspruchsvoller wird – was Sicherheit angeht, was Umwelt angeht und hoffentlich eines Tages auch in punkto Fahrerkomfort. Wir sind in vielen südostasiatischen Märkten stark. Wir sind stark in Japan, Indonesien, und auch in Taiwan sind wir sehr gut im Markt positioniert. 

Und China

Ich würde unsere Position in China nicht zu schlecht reden. Wir haben dort ein 50:50 Joint Venture mit Foton, welches mit der Marke Auman einer der großen chinesischen Lkw Hersteller ist. Und wir haben kürzlich das Produktportfolio in China um einen Mercedes-Benz Lkw ergänzt, den wir komplett in China bauen.

„Das autonome Fahren eines Lkw ist machbar.“

Daum über Fortschritte bei ADAS-Systemen im Straßengüterverkehr

Was muss sich in Europa und vor allem in Deutschland ändern, damit der Standort für Sie als Investor attraktiv bleibt?

Es gibt eine ganze Menge. Wir brauchen günstige grüne Energie. Die Betonung liegt auf günstiger UND CO2– freier Energie. Das ist ein schwieriges Thema, das auch dauerhaft ein problematisches Wettbewerbsthema für Deutschland werden kann. Man denke nur an unseren Nachbarn Frankreich, der mit der Kernenergie eine weitere Energiequelle hat.

Die Energiewende sehe ich als größere Herausforderung als die Transformation, die wir im Automobilbereich zu vollziehen haben. Hinzu kommt: Wenn es um Subventionen geht, können wir uns am amerikanischen IRA, Inflation Reduction Act, der die Inflation ausgleicht und Subventionen für Transformationen regelt, ein Beispiel nehmen. Dieses Gesetz, der IRA, ist höchst attraktiv. Deshalb bauen wir auch zusammen mit zwei Wettbewerbern, Accelera beziehungsweise Cummins und Paccar, eine Batteriezellenfabrik in den USA.

Deshalb gleich die Frage: Lohnt es sich im Moment noch, in Deutschland zu investieren? Sie tun dies ja in Weilheim für eine eigene Brennstoffzellenproduktion und Halberstadt mit einem Logistikzentrum.

Zunächst einmal zum europäischen Subventionsrecht. Das läuft häufig folgendermaßen: Sie müssen ein dreiviertel Jahr lang möglichst genau wissen, was Sie machen. Das reichen Sie dann ein. Dann dürfen Sie erst einmal eineinhalb Jahre lang quasi gar nichts machen. 

Das klingt absurd und aus der Zeit gefallen…

Ja, das ist völlig praxisfern und dauert zu lange. In den USA dagegen ist es ganz einfach: Wer am schnellsten und am leistungsfähigsten ist, der erhält den Zuschlag.

Wie gehen Sie damit um?

Das europäische Subventionsrecht muss grundlegend reformiert werden. Wir neigen zur Überregulierung, wollen alles behördlich vorschreiben. Mit dem Ergebnis, dass dann die Wahl einfach auf andere Standorte fällt, weil die schneller sind.

„Wir neigen zur Überregulierung, wollen alles behördlich vorschreiben.“

Daum über die EU im internationalen Wettbewerb

Dennoch investieren Sie in Deutschland…

Ja und Halberstadt ist ein gutes Beispiel. Dort hatten wir von Anfang an das positive Gefühl, dass man uns will und man freut sich über die neuen Arbeitsplätze. Wir sind ein verantwortungsvoller Arbeitgeber und ein verantwortungsvolles Unternehmen an den Standorten, an denen wir sind.

Und noch eine persönliche Frage: Sie sagten einmal, Sie hätten ein rebellisches Gen. Hat Ihnen dieses Gen in den letzten zwei Jahren als CEO der Daimler Truck AG geholfen?

Es hat mir mein ganzes Leben geholfen. Ich trotte nie in eine Richtung, nur weil alle anderen in die gleiche Richtung trotten. Ich überlege mir schon, meinen eigenen Weg zu gehen. Wenn daraus ab und zu der Mut resultiert, auch eine kontroverse Meinung zu vertreten, dann würde ich das als mein rebellisches Gen bezeichnen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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