Etwas mehr als 50 Jahre nach den großen Zweirad-Erfolgen kehrt Can-Am Anfang kommenden Jahres in die Motorradbranche zurück – und zwar elektrisch. Mit technisch sehr interessanten Highlights wie flüssigkeitsgekühlter Batterie und aktiver Rekuperation. Sonst eher durch vierrädrige Quads und ATV´s bekannt (All-Terrain-Vehicles), bringt Can-Am das technische Know-How nun auch wieder auf zwei Rädern auf die Straße oder in den Sand. Wir durften noch vor der Markteinführung in Deutschland bei den ersten Testfahrten in Texas dabei sein und können verraten:  Mit einem Onroad-Modell, der „Pulse“, und einem Offroad-Modell, der „Origin“, gelingt dem kanadischen Hersteller ein doppelt spannender Aufschlag!

Eines muss man Can-Am lassen: Mutig sind sie. Die neuen Elektro-Motorräder, die in Mexiko produziert werden, lassen sie in Texas bei 44 Grad Hitze testen. Und innovativ sind sie auch. Bei den Maschinen ist eine flüssigkeitsgekühlte Batterie das tragende Element. Zudem gibt es eine „active regeneration“, zu Deutsch: eine aktive Rekuperation, für die man den Gasgriff nach vorne dreht. Und obendrein läuft die Kette in einem geschlossenen Ölbad.

Ab ins Gelände 
Die Can-Am Origin ist mit einem Gewicht von 187 Kilogramm zwar kein Leichtgewicht, dank des hohen Drehmoments des Elektromotors aber durchaus spritzig auch auf den sandigen Pisten von Texas zu bewegen. Fotos: Can-Am
Ab ins Gelände
Die E-Enduro Origin ist mit einem Gewicht von 187 Kilogramm zwar kein Leichtgewicht, dank des hohen Drehmoments des Elektromotors aber durchaus spritzig auch auf den sandigen Pisten von Texas zu bewegen. Fotos: Can-Am

Aber auch die restlichen, allgemein üblichen Eckdaten passen erstmal: 177 Kilogramm wiegt die 17.499 Euro teure „Pulse“, das Naked Bike für die Straße. Bei der 16.899 Euro teuren Offroad-Version „Origin“ beträgt das Gewicht 187 Kilogramm. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 130 km/h (Pulse) beziehungsweise 129 km/h bei der Origin. Na ja, mehr braucht man offroad auch selten bis nie.

„Origin“ schießt los wie eine Rakete

In der Praxis sind Elektro-Motorräder ohnehin Geschosse, die es gefühlvoll zu dosieren gilt. Auf der Straße bei unseren Testfahrten in Texas war das überhaupt kein Problem. Selbst als die Temperaturen auf 44 Grad steigen, liefert die Batterie weiterhin beeindruckend zuverlässig ihre Leistung dank Flüssigkeitskühlung. Dass der Antrieb auch bei Minusgraden funktioniert, ist selbstverständlich, stammt der ROTAX-Motor doch aus dem Schneemobil des Mutterkonzerns BRP (Bombardier Recreational Products). Hinzu kommen beeindruckende Beschleunigung, Fahren ohne Schalten und Kuppeln – easy und sehr angenehm. Und vor allem: geräuschlos. Gut, neben all den V8-Motoren und Riesentrucks in Texas kommt diese angenehme Stille nicht wirklich deutlich zur Geltung.

Geräuschlos durch den Stadtverkehr 
Mit der "Pulse" bringt Can-Am ein elektrisches "Naked Bike" mit einer Antriebsleistung von 35 kW auf den Markt, die im Stadtverkehr mit einer Akkuladung immerhin 130 Kilometer weit kommt.
Geräuschlos durch den Stadtverkehr
Mit der „Pulse“ bringt Can-Am ein elektrisches „Naked Bike“ mit einer Antriebsleistung von 35 kW auf den Markt, die im Stadtverkehr mit einer Akkuladung immerhin 130 Kilometer weit kommt.

Aber als wir mit der Origin ins Offroad-Gelände wechseln, macht das schon einen deutlichen Unterschied. Gerade im Gelände bietet so ein Elektro-Motorrad eine komplett andere Charakteristik: Kein untertouriges Einknicken, jede noch so enge Kurve kann gefühlvoll und auch sehr langsam durchrollt werden – die Elektro-Traktion zieht einen zuverlässig aus jedem Tiefsand in der Kurve heraus. Doch Vorsicht bei der Dosierung der Antriebskraft: Ein Elektro-Motorrad schießt los wie eine Rakete. Mit „Eco“, „Normal“, „Rain“, „Offroad“ und „Offroad Plus“ stehen hier Fahrprogramme für unterschiedlichste Einsatzzwecke zur Verfügung, für Anfänger wie für Profis.

Laden von 20 auf 80 Prozent in 50 Minuten

Doch wirklich interessant ist vor allem die innovative Technik, die uns Vincent Varaldi, Director Research & Development Can-Am Onroad, erklärt: „Die als tragendes Element konzipierte Batterie ist flüssigkeitsgekühlt, was nicht nur die Performance verbessert, sondern auch die Lebensdauer verlängert und schnelleres Laden ermöglicht.“ Wobei 50 Minuten für die Ladung von 20 auf 80 Prozent natürlich noch nicht beeindruckend sind, aber durchaus akzeptabel. Hier musste natürlich ein Kompromiss gefunden werden zwischen dem relativ niedrigen Gewicht von 177 Kilogramm und der Batteriepower bzw. Ladedauer. Can-Am nutzt für die Batterien mit einer Speicherkapazität von 8,9 Kilowattstunden übrigens zylindrische Zellen des Typs 2170, wie sie Tesla auch in den Modellen 3 und Y verwendet.

Mach mal Pause
Dank eines Ladegeräts mit 6,6 Kilowatt Leistung kann der 8,9 kWh große Akku an einer öffentliche Ladestation und mit einem sogenannten Typ-2-Ladekabel mit Mennkes-Stecker in 50 Minuten von 20 auf 80 Prozent seiner Kapazität gefüllt werden.
Mach mal Pause
Dank eines Ladegeräts mit 6,6 Kilowatt Leistung kann der 8,9 kWh große Akku an einer öffentliche Ladestation und mit einem sogenannten Typ-2-Ladekabel mit Mennkes-Stecker in 50 Minuten von 20 auf 80 Prozent seiner Kapazität gefüllt werden.

Weiteres technisches Highlight: Die Kette läuft leise, geschmiert und geschützt in einem geschlossenen Ölbad, was extrem wartungsarm für den Kunden ist: Die erste Ketteninspektion ist erst nach 25.000 Kilometern fällig.

Aktive Rekuperation stärker als Vorderbremse

Was sich im Fahrtest als erfreulichste Innovation erwies (neben der trotz Hitze zuverlässigen Batterie), war aber vor allem die aktive Rekuperation, die wirksam verzögert. Sie ist sogar stärker als die Vorderradbremse und bringt keine Instabilität ins Fahrwerk.

Die Leistung der Maschinen beträgt 35 kW oder 48 PS (Dauer-Nennleistung allerdings nur 20 kW) in der A2-Ausführung. Alternativ gibt es sie für Inhaber des Führerscheins A1 auch in einer auf 11 kW gedrosselten Version. Aber selbst in dieser Version ist die Beschleunigung mit 72 Nm Drehmoment subjektiv empfunden absolut spritzig.

Voll vernetzt 
Der 10,25 Zoll-Touchscreen am Lenker kann mit Apple CarPlay auf dem Smartphone verbunden werden, um beispielsweise eine Wegweisung zum Fahrtziel anzuzeigen. Updates für das Betriebssystem werden Over-The-Air via WiFi aufgespielt.
Voll vernetzt
Der 10,25 Zoll-Touchscreen am Lenker kann mit Apple CarPlay auf dem Smartphone verbunden werden, um beispielsweise eine Wegweisung zum Fahrtziel anzuzeigen. Updates für das Betriebssystem werden Over-The-Air via WiFi aufgespielt.

Last but not least der Aspekt Connectivity: Der 10,25 Zoll-Touchscreen kann mit Apple CarPlay verlinked werden, Updates werden Over-The-Air via WiFi aufgespielt. Und per BRP Go!-App können der Ladezustand des Fahrzeugs und weitere Daten von außen eingesehen, der Ladezustand vorkonditioniert werden. Echt clever.

Bis zu 160 Kilometer Reichweite

Doch natürlich müssen sich auch zukunftsweisende Innovationen an heutigen Standards und dem aktuellen Wettbewerb messen lassen: Ja, 160 Kilometer Reichweite (in der City mit der „Pulse“, kombiniert 130 km) und 145 km bei der „Origin“ (im Stadtverkehr, kombiniert 115 km) sind natürlich nicht die Welt. Wettbewerber wie Zero haben da nicht nur eine größere Angebotspalette, sondern auch bei der Reichweite aktuell (noch) die Nase vorn.

Aus einem Guss 
Mit einem niedrigen Schwerpunkt und einer niedrigen Sitzhöhe bietet die Can-Am Pulse ein komfortables Fahrerlebnis. 
Aus einem Guss
Mit einem niedrigen Schwerpunkt und einer niedrigen Sitzhöhe bietet die Can-Am Pulse ein komfortables Fahrerlebnis. 

„Aber wie sieht denn die reale Nutzung eines Elektro-Motorrads in der Praxis aus?“ fragt Alain Massicotte, Direktor Design & Innovation bei Can-Am Motorcycles. Er erklärt uns das Fahrzeugkonzept durchaus schlüssig: Als Commuter („Pendler“) nutzt man die Maschinen für die Fahrt zur Arbeit oder mal eben in die City. Und Offroad lege man ohnehin nicht viele Kilometer zurück. Könnte funktionieren, das Konzept. Vielleicht ist es aber auch nur ein erster Schritt – die Entwicklung der Elektromobilität auf zwei Rädern hat gerade erst begonnen.

Dabei ist Massicotte sehr wohl bewusst, dass die Antriebswende wie im Pkw-Geschäft auch auf dem Motorradmarkt erst noch ein Tal durchschreiten muss. Dennoch sieht er hierin eine große Chance: „Der Markt für EV-Motorräder ist noch so klein, dass wir die Geschichte schreiben können!“ Wir drücken die Daumen.

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