Bis zu 410.000 Arbeitsplätze könnten bis zum Jahr 2030 in der Autoindustrie wegfallen. Weil die Zahl der Elektroautos in den kommenden Jahren allein in Deutschland auf zehn Millionen steigen könnte. Weil Elektroautos aus weniger Teilen bestehen als Autos mit Verbrennungsmotoren. Allein in der Motorenfertigung sind deshalb bis zu 88.000 Jobs bedroht.
Dies alles haben Experten der Nationalen Plattform Mobilität (NPM) herausgefunden und kurz vor dem nächsten „Autogipfel“ im Kanzleramt zu einem düsteren Szenario verdichtet. Vor allem bei der IG Metall schrillen nun die Alarmglocken: Wenn Hunderttausende Jobs in der Autoindustrie wegfallen, sinkt die Zahl der Metaller, schrumpft die Gewerkschaft zur Bedeutungslosigkeit.
Weniger Teile, mehr Roboter
Ob die Verkehrs- und Mobilitätswende tatsächlich so viele Arbeitsplätze hinwegraffen wird, sei hier mal dahingestellt: Andere Studien gehen von deutlich niedrigeren Zahlen aus. Aber richtig ist: Die Umstellung auf die neue Antriebstechnik, auch auf das veränderte Mobilitätsverhalten wird ihre Spuren in der Autoindustrie und auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Nicht allein, weil ein Elektromotor mit 200 Bauteilen auskommt, während ein Diesel samt Abgasreinigung aus bis zu 1200 Elementen zusammensetzt. Nein auch, weil die Fertigung eines Elektroautos weitgehend automatisiert werden kann: Im VW-Werk Zwickau, wo der neue VW-Stromer ID.3 montiert wird, werkeln 1700 Roboter im 90-Sekunden-Takt. Bis 2030 soll hier der Automatisierungsgrad von derzeit 17 auf bis zu 35 Prozent steigen. Facharbeiter werden in der Autofabrik der Zukunft nur noch zur Kontrolle der Roboter, zur Wartung der Maschinen und vielleicht noch zum Herstellen besonders kniffliger Steckerverbindungen benötigt. Das mag aus Sicht eines Gewerkschaftler eine traurige Entwicklung sein, ist aber bittere Realität. Wo heute wie in Zwickau noch 8000 Menschen arbeiten, werden nach Auslaufen der Beschäftigungsgarantie 2029 dort wahrscheinlich nicht mal mehr halb so viele benötigt.
Viele Unternehmen noch ohne Plan
Die Veränderungen kann man beklagen, kann sie mit Beschäftigungsgarantien hinauszögern. Doch aufhalten lassen sie sich nicht. Wirklich erschreckend sind vielmehr andere Zahlen. Wie die IG Metall bei einer Umfrage unter seinen Vertrauensleuten in der Industrie herausgefunden hat, gibt es in den 432 Betrieben, die heute noch zu 75 bis 100 Prozent vom Verbrennungsmotor abhängen, noch keinerlei Plan, wie man auf die Transformation der Industrie reagieren soll. „Da liegt die wahre Brisanz“, erkennt IG Metall-Chef Jörg Hofmann im SPIEGEL-Interview: “Wie können wir Druck erzeugen, dass sich diese Arbeitgeber auf den Weg in Richtung neuer Wertschöpfung machen?“
Umschulung mit Hindernissen
Ähnlich brisant waren kürzlich Aussagen von Uwe Fritsch, Vorsitzender des Betriebsrats im VW-Werk Braunschweig, auf einer Tagung von Autozulieferern aus dem Bergischen Land in Wuppertal. Er beklagte sich darüber, dass man viele seiner Kollegen erst motivieren müsse, sich neues Wissen anzueignen. Und andere seien zum Erlernen neuer Inhalte nicht einmal mehr in der Lage: Bevor man mit der Weiterbildung und der Neuqualifikation beginnen könne, müsse man zunächst aufwändige Lerntrainings veranstalten.
All dies wirft kein gutes Licht auf die Zukunftsfähigkeit der deutschen Autoindustrie und ihre Beschäftigten, die jetzt mit Blick auf den bevorstehenden Transformationsprozess nach staatlichen Hilfen rufen: Erst verschläft man wichtige Entwicklungen, dann möchte man auch noch zum Jagen getragen werden.
Neue Trends wurden verschlafen
Ja, um die Zukunft des Industriestandorts Deutschland und den Wohlstand in diesem Land muss man sich ernsthaft Sorgen machen. Aber nicht wegen des Elektroauto und der Mobilitätswende, sondern weil vielen Unternehmenslenkern offenbar die Fähigkeit abhanden gekommen ist, technologische wie gesellschaftliche Trends zu erkennen und darauf mit innovativen Lösungen zu reagieren. Statt dessen wartet man ab – und ruft dann nach einer Stütze durch Staat und Steuerzahler.
Armes Deutschland. Arme deutsche Autoindustrie.