VW-Designchef Klaus Bischoff hatte uns schon vor Monaten den Mund wässrig zu machen versucht: „Mit dem ID. versuchen wir, eine neue E-Familienidentität zu erzeugen. Jeder auf der Straße soll sofort sehen: Wow, das kann nur ein E-Auto sein! Und der zweite Gedanke: Wow, das kann nur ein VW sein!“ Seine Augen blitzten während er mit den Händen die Konturen des neuen Autos in die Luft zeichnete. Puristisch-klar werde das Auto gezeichnet sein, unaufdringlich und dennoch innovativ. Aber auch nicht zu sehr – eher sensibel müsse man da vorgehen. Schließlich wolle man niemanden verschrecken, vor allem nicht die Millionen von Menschen, die schon seit Jahrzehnten dem VW Golf die Treue halten. Wenn das Elektroauto aus der Nische kommen solle – und das müsse es schon mit Blick auf die strengen CO2-Grenzwerte in der EU, müsse man sowohl preislich wie auch optisch die Hemmschwelle senken. Bischoff: „Es geht um Demokratisierung. E-Mobilität für alle. Das ist unser Anspruch.“
Und dann stehe ich eines Sommertages vor dem fertigen Produkt, in einem weißgetünchten Fotostudio irgendwo auf dem weitläufigen Gelände des Volkswagen-Werks in Wolfsburg. Draußen brennt die Sonne, drinnen eine Batterie wattstarker Scheinwerfer. Ihre Strahlen richten sich auf einen ID.3 First Edition in Pure White. Weiß auf Weiß in Weiß: Da heißt es erst einmal, die Augen zusammen zu kneifen.
Aber meine Neugierde ist größer als die Sorge um das Augenlicht. Langsam hebe ich die Lider, lasse das Licht und die ersten Eindrücke vom ID.3 herein. Während die Augen über die Karosserie wandern, ruft das Gehirn Bilder vom Konzeptauto auf, das Volkswagen 2016 auf dem Pariser Autosalon mit viel Tamtam präsentiert hatte. Klaus, wir müssen reden, geht mir spontan durch den Kopf. Die Linien des Serienmodells sind zwar schärfer gezeichnet als beim Konzeptfahrzeug, aber die Leichtigkeit des ersten Entwurfs ist während der langsamen Reife zum Serienmodell doch etwas verloren gegangen. Klar, dass das Serienfahrzeug keine Portaltüren wie der BMW i3 haben würde, war schon ziemlich früh klar: Viel zu aufwändig, viel zu teuer, viel zu kompliziert. Aber auf die konventionellen Außenspiegel hätte ich schon gerne verzichtet. DEr Audi e-tron kommt doch auch ohne die großen „Ohren“ aus. Auch das schwarze „Lätzchen“ vor der Frontscheibe – die elastische Fläche, so lerne ich später, dient dem Fußgängerschutz – ist mir einen Tick zu prägnant. Das gilt auch für die schwarz abgesetzte Kühleröffnung im Stoßfänger: Statt mit schmaler Lippe atmet der Stromer nun mit geöffnetem Mund die frische Luft ein.
Schaltknauf wie beim BMW i3
Vergleichsweise konventionell gestaltet ist auch der Innenraum. Das Konzeptauto sollte damals auch einen Vorgeschmack auf das Zeitalter des vollautonomen Fahrens geben. Das Lenkrad konnte man dort komplett im Armaturenträger versenken – nun kann es lediglich ein paar Zentimeter zu sich hinziehen sowie in der Höhe verstellen. In dem Punkt ist der ID.3 nicht besser – oder schlechter – als ein Golf. Die Zukunft des vollautonomen Fahren muss offenbar noch ein wenig warten. Der Starterknopf ist schnell gefunden. Aber wo ist der Schalter für die Fahrstufen? Der Blick wandert über die Mittelkonsole, bleibt schließlich am Lenkrad hängen. Rechts davon ragt mir ein kleiner Satellit entgegen, an dessen Ende der Schaltknauf sitzt. Das kennst Du doch, denke ich. Genau: Nach einem ähnlichen Prinzip wird im BMW i3 zwischen Vorwärts- und Rückwärtsgang geschaltet. Warum auch nicht, wenn es gut funktioniert und Platz schafft.
Und Platz gibt es im ID.3 reichlich. Bei etwa gleicher Außenlänge (4,26 Meter) wie der aktuelle Golf kommt der Neue mit zwölf Zentimeter mehr Radstand (2,76 zu 2,64 Meter) daher. Das bedeutet mehr Beinfreiheit vorne wie hinten und ein luftigeres Raum- und Rundum-Wohlgefühl. Was wohl auch daran liegt, dass der Fahrer etwa zehn Zentimeter höher sitzt als im Golf – weil er auf der Batterie im Wagenboden thront. In dem Punkt kann man nicht meckern. Der Kofferraum hingegen hat nicht mehr Volumen als der Golf. Damit muss man leben – oder auf eines der Schwestermodelle warten, die in den kommenden zwei Jahren auf den Markt kommen.
Rückkehr zum Heckantrieb
Na klar, ist der ID.3 informationstechnisch auf der Höhe der Zeit, das Handy ist ruckzuck gekoppelt mit dem Bordcomputer, die Apps erscheinen Sekunden später auf dem Touchscreen in der Mittelkonsole. Und Software-Updates und -Upgrades sollen wie bei Tesla „over the Air“, also über eine Funkverbindung geladen werden können. Nichts anderes hat man erwartet. Bleibt die Frage nach den inneren Werten des E-Mobils. Und hier sind sie: Die First Edition kommt mit einem 150 Kilowatt (kW) starken Elektromotor daher, der die Hinterachse (!) mit einem Drehmoment von bis zu 310 Newtonmeter (Nm) antreibt. Motorleistung und Drehmoment liegen damit in etwa auf dem Niveau eines Golf GTi (162 kW/ 360 Nm). Dafür ist die Gewichtsverteilung besser und der Wendekreis des ID.3 angeblich deutlich kleiner – genaue Zahlen rücken sie bei VW noch nicht raus. Allerdings kommt der Stromer an der Hinterachse auch nur mit Trommelbremsen daher. Das spart einerseits Kosten. Andererseits, so erfahre ich, sinkt der Wartungsaufwand, weil Scheibenbremsen in Ländern mit feuchter Witterung wie Norwegen gerne Flugrost anziehen. Außerdem würden die Bremsen an der Hinterachse nur selten benötigt, da der ID.3 schön rekuperiere, also Bewegungsenergie zurückgewinnt, wenn man den rechten Fuß vom Fahrpedal nimmt. Auf jeden Fall ist es eine schöne Erklärung für die Sparmaßnahme.
First Edition bereits vergriffen
Nicht zu sehen ist die Lithium-Ionen-Batterie, die sich zwischen den beiden Achsen in einem Schutzkäfig versteckt. Der ID.3 kommt mit drei Batteriegrößen daher, zunächst sind allerdings nur zwei davon verfügbar: Eine mit einer nutzbaren Speicherkapazität von netto 58 Kilowattstunden (kWh), eine andere mit 45 kWh Kapazität. Ein großer Akkupack mit 77 kWh soll später nachgereicht werden. Volkswagen verspricht damit Reichweiten bei zurückhaltender Fahrweise zwischen 330 und 550 Kilometern, für die auf 30.000 Exemplare limitierte – und bereits vergriffene – First Edition mit der mittleren Batteriegröße von 420 Kilometern nach dem neuen WLTP-Verbrauchszyklus. Vorausgesetzt, wenn bewegt sich nicht allzu häufig mit der Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Geladen werden die Akkus entweder mit Wechselstrom und dann dreiphasig mit bis zu 11 Kilowatt oder an Schnellladesäulen mit Gleichstrom und einer maximalen Ladeleistung von bis zu 125 kW. Damit sollten sich während einer zehnminütigen Ladepause auf der Autobahn-Raststätte in 10 Minuten 100 Kilometer Reichweite nachladen lassen.
Lichtspiele nur in China
In vier Farben wird der im sächsischen Zwickau gebaute ID.3 in der Anfangsphase verfügbar sein, in unserem Grellweiß, in einem Makena Turqois genannten Grünmetallic, in einem fröhlichen Mausgrau (offiziell wird die Lackierung natürlich eine kunstvollere Bezeichnung haben) sowie – da tut Produktmanagerin Christine Leuderalbert ganz geheimnisvoll – in einem speziellen Blauton. LED-Scheinwerfer und -Heckleuchten gibt es serienmäßig, für die Kunden in China noch einen speziellen Gag: Ein beleuchtetes VW-Logo in der Fahrzeugfront. In Europa gelten derlei Spielereien als „Leuchtreklame“ und sind verboten. Spielverderber!
Die offizielle Preisliste ist noch nicht raus, für die First Edition ist lediglich ein „Startpreis von unter 40.000 Euro“ genannt. In dem Preis sind nicht nur 2000 Kilowattstunden kostenloser Fahrstrom enthalten, sondern auch umfangreiche Komfortfeatures wie eine Sitz- und Lenkradheizung, auch ein Empfänger für den digitalen Rundfunk DAB+ sowie ein Navigationssystem. Noch mehr Design und Raddurchmesser (19 statt 18 Zoll) bietet die Variante First Plus. Und wem das alles noch nicht langt und noch ein paar Scheine mehr investieren will, greift zur Variante First Max und bekommt dann auch noch ein großes Panoramadach und ein Head-up-Display, das wichtige Fahrinformationen in 3D in die Windschutzscheibe projiziert.
Sobald die First Edition im Werk abgearbeitet ist – so ab Jahresende 2020, soll dann die reguläre Version des Stromers folgen, nach Informationen aus dem Unternehmen zu einem Preis um die 30.000 Euro für die Basisversion.
Keine Ausflüchte mehr
„Now you can“ lautet der Claim, mit dem Volkswagen sein neues Elektroauto vermarkten will. Soll heißen: Jetzt gibt es keinen Grund mehr, beim nächsten Autokauf ein Elektromobil abzulehnen. Also könnte ich jetzt vielleicht mal eine Runde mit dem ID.3 um den Block fahren? Nichts da. Es bleibt diesmal bei der Sitzprobe. Die Serienproduktion im Werk Zwickau beginnt erst im November, das Schaustück ist eines von 400 Vorserienautos, die bislang für die Erprobung und für Crashtests gebaut wurde. Die Fahrpräsentation ist erst für Ende Mai 2020 vorgesehen – kurz darauf sollen die ersten Fahrzeuge an all jene Menschen ausgeliefert werden, die das Auto in der First Edition „blind“ bestellt haben. Ich würde sagen: Die 1000 Euro Anzahlung für die Reservierung des neuen Volks-Stromers haben sie gut angelegt.