Der Verbrennungsmotor hat ein über 130-jährige Geschichte, in den ersten Jahrzehnten gab es die größten Innovationssprünge. Erwarten Sie Ähnliches beim Elektroantrieb?

Wir werden in den nächsten Jahren Sprünge sehen, an die wir heute noch gar nicht denken. Ich beschäftige mich seit 15 Jahren mit dem Thema. Da hat sich schon so viel getan. Und das wird sich mit noch größerer Geschwindigkeit fortsetzen, weil es immer mehr Akteure auf dem Gebiet gibt. Wir werden bald Festkörperbatterien sehen – und das ist gut für uns, weil die auf einem höheren Temperaturniveau arbeiten werden. Nur bei der Preisentwicklung werden wir keine großen Sprünge mehr sehen. Die Preise für die Zellen sind wahnsinnig schnell runtergekommen. Das wird jetzt wegen des wachsenden Bedarfs insbesondere bei den Rohstoffen abflachen. Aber auf der Technologieseite sehe ich keine Bremse, die Technologiesprünge verhindern könnte.

Elektrobus e-Kent C von Otokar
Im Fahrzeugboden stecken Batterien von Webasto genauso wie in einem CO₂-neutralen Pendelbus des Start-ups CM Fluids, der am Münchner Flughafen verkehrt. Foto: Otokar

Wo erwarten Sie die nächsten Fortschritte?

Die Festkörperzelle wird zu starken Veränderungen bei den Sicherheitsaspekten führen, weil sie wesentlich stabiler ist. Auch dadurch werden neue Integrationskonzepte möglich – die Batterie wird damit immer mehr zum Bestandteil des Fahrzeugs.

Bei Tesla soll sie Teil der Karosseriestruktur werden.

„Die Batterie wird integraler Bestandteil des Autos“

Genau. Die Batterie wird ein integraler Bestandteil des Autos, die Module werden sich über das gesamte Fahrzeug verteilen.

Welche Reichweiten erwarten Sie?

Ein Mercedes EQS fährt heute schon über 700 Kilometer weit.

Reicht das?

Ich fahre seit zehn Jahren vollelektrisch. Mein Credo ist: Entscheidend ist nicht, wie viele Kilometer möglich sind, sondern: Wie viele Kilometer brauche ich wirklich? Der Fiat 500 meiner Frau braucht keine 500 Kilometer Reichweite. Denn es ist ein Stadtauto. Für Langstrecken nehmen wir unseren Audi e-tron, der wiederum kein Stadtfahrzeug ist. Alles über 500 Kilometer Reichweite ist eigentlich Luxus, eher für die Psyche und für den Verkäufer gut. Eine Pause brauche ich auf dem Weg von München nach Berlin ohnehin – für mich. Und manchmal ist wieder kleiner und leichter werden, auch ein Fortschritt im Sinne der Umwelt. Denn dann wiegt das Auto weniger und verbraucht auch weniger.

„Alles über 500 Kilometer Reichweite ist eigentlich Luxus, eher für die Psyche und für den Verkäufer gut.“

Hartung Wilstermann über die optimale Reichweite von Elektroautos

Und mit einer 800-Volt-Architektur und einer höheren Ladeleistungen verkürzen sich ja auch die Ladepausen dramatisch.

In der Tat. Zudem werden wir in Zukunft Elektroauto und Ladelösung als Einheit betrachten müssen: Beides gehört eigentlich symbiotisch zusammen. Und wenn immer mehr Elektroautos auf die Straße kommen, werden wir zu smarten Ladelösungen kommen müssen. Denn wir können nicht beliebig viel Kupfer im Boden verbuddeln . Dafür bieten wir neben unseren AC-Wallboxen ab 2023 auch eine DC-Wallbox an, die bidirektional laden, also sowohl nehmen wie geben kann.  Auch das bedeutet einen großen Fortschritt. Und auch bei den kleinen AC-Wallboxen ist es wichtig, dass die miteinander reden und in Systemen zu denken. Sie sollen in der Lage sein, sich abzustimmen und die Ladevorgänge nach Prioritäten zu steuern und die Stromlieferungen automatisch abzurechnen.

Ihr Wallbox-Geschäft brummt aufgrund der steuerlichen Förderung, vermute ich mal.

Die starke Nachfrage freut uns sehr. Unsere Bauteile sind jetzt nicht so exotisch, dass man keine mehr bekommt. Aber der Chipmangel trifft uns natürlich auch. Bei Batterien haben wir so gut wie keine Einbußen, das ist gut. Aber bei den Wallboxen sind die Lieferzeiten natürlich auch durch die Förderungen gewachsen.

Es geht also gut voran?

Die Elektromobilität ist ein stetig wachsender Zweig. Auch in der Corona- und Chip-Krise wachsen wir weiter. Für Webasto geht es nicht nur darum, möglichst viel möglichst schnell zu verkaufen. Das Unternehmen achtet auch darauf, dass wir nachhaltig und umweltverträglich produzieren, mit grünem Strom aus eigenen PV-Anlagen, mit Lösungen zur Zweitverwertung unserer Batterien. Das gehört zum Mindset des Unternehmen.


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