784 Kilometer: Eine solche Entfernung könnte ein konventionell angetriebenes, PS-starkes Auto in acht Stunden locker schaffen – bei freier Bahn und mit einem Tankstopp. Mit einem Elektroauto dauert es noch ein wenig länger: Ohne ein, zwei Ladestopps schafft derzeit kein Stromer derartige Distanzen, wenn sie zu 80 Prozent über Autobahnen führen und der Fahrer sich nicht die ganze Strecke über im Windschatten eines Sattelzugs verstecken möchte. Achteinhalb bis neun Stunden sollte man da für die Fahrt aus dem Rheinland bis in die Syddanmark an der Westküste Dänemarks schon einkalkulieren.
Und wir? Brauchten für die Fahrt gen Norden exakt 12 Stunden und 15 Minuten. Weil wir nicht einfach nur mit einem Elektroauto fuhren, sondern auch noch einen Wohnwagen an den Haken genommen hatten. Der seinerseits 1400 Kilogramm wog. Samt Proviant, Garderobe, Küchenausstattung, E-Bike und all dem Geraffel, das es für einen Campingurlaub braucht, waren es vermutlich sogar eher 1500 Kilogramm. Zusätzlich zu den 2664 Kilogramm, die ein allradgetriebener und 283 Kilowatt starker Kia EV9 in edler Launch Edition so auf die Waage hievt.
Reichweite halbierte sich
In Summe waren also über 4,1 Tonnen über die 784-Kilometer-Strecke zu bewegen, durch das bergische Land und über die Hügel des Weserberglands, durch den Elbtunnel und die Moränenlandschaften Schleswig-Holsteins und Jütlands. Klar, dass der Normverbrauch des Kia EV9 von 22,8 kWh/100km nicht zu halten war und die Prospekt-Reichweite von 505 Kilometern auf etwa 230 bis 250 Kilometer schmolz.
Mit der Folge, dass unterwegs statt ein oder maximal zwei Ladestopps insgesamt vier Ladestopps erforderlich waren, um schließlich mit einer Restreichweite von 46 Kilometern ins Ziel zu rollen. Es wären noch etwa zehn Kilometer mehr gewesen, wenn wir auf den letzten Kilometern nicht die Abzweigung zum Campingplatz übersehen hätten.
Statt dessen rollten wir einige Minuten und Kilometer später mit Kia und dem Knaus Yaseo – dem nach Herstellerangaben „ersten Caravan für E-Mobilität“ – von der Teerpiste auf den (Auto-)Strand von Vejers, um auf sandigem Grund und vor untergehender Sonne einen U-Turn hinzulegen. Einigen Urlaubern auf dem Abendspaziergang durch die Dünen standen da Mund und Augen offen. Wir hingegen schalteten am Lenkrad unseres Allradlers einfach auf den Terrain-Modus „Sand“ um – und zogen das Gespann locker vom Strand zurück auf die Straße. Puh, noch einmal gut gegangen.
Ladeplätze für Gespanne mit Seltenheitswert
Das Fahren mit einem zwölf Meter langen Elektro-Gespann war aber nur ein Teil der Übung. Und wie sich schnell herausstellte, der leichtere Teil. Nach kurzer Eingewöhnung und Nachjustierung der Camper-Spiegel rollten wir mit dem Doppelpack über die Straße, als hätten wir die letzten 20 Jahre nichts anderes getan. Die größere Herausforderung war die Suche nach einer passenden Ladestation. Denn die meisten Ladeparks an der Autobahn hierzulande sind als „Sackbahnhöfe“ angelegt: Das Elektroauto parkt hier entweder vorwärts oder rückwärts in eine Parktasche ein, nur selten seitlich zur Schnellladesäule, als Durchfahrtslösung. E-Autos mit Anhänger kennt auf deutscher Seite bislang nur der niederländische Ladeparkbetreiber Fastned. Und EnBW punktuell. Entsprechend gering war auf deutscher Seite das Angebot an geeigneten Schnellladestationen nahe der Autobahn.
Etappe Eins führte uns vom Rhein über die A 3 und A1 zum Kamener Kreuz – und zum dort gelegenen EnBW-Schnellladepark. An insgesamt 52 Ladepunkten können Elektroautos dort Gleichstrom ziehen – an den Kopfenden auch E-Autos mit einem (kleinen) Anhänger. Kurz nach sieben Uhr rollten wir dort an einem regnerischen Sonntagmorgen an, sämtliche Ladepunkte waren noch frei. Wir stellten uns deshalb mit unserem XXL-Gespann lieber in der zweiten Reihe unter das große Solardach. Da standen wir trocken, blockierten aber auch für eine knappe halbe Stunde gleich sechs Ladepunkte. Geschenkt – noch ehe ein zweites E-Mobil auftauchte, waren wir schon wieder auf der Autobahn, unterwegs auf der zweiten Etappe.
Fastned mit einem Herz für Camper
Geplant war ursprünglich die Fortsetzung der Fahrt über die A2 Richtung Hannover. Dort, so hatte uns die Mobility plus-App von EnBW nach Setzen des Filters „barrierefreie Ladestationen“ informiert, hätte es mehrere Möglichkeiten zum Beladen eines E-Auto-Gespanns gegeben. Doch nach einem Unfall eines Lastzugs in der Nacht war die A2 zwischen Gütersloh und Bielefeld laut WDR-Verkehrsfunk „bis in den Vormittag hinein“ gesperrt. Also blieben wir notgedrungen auf der A1 und kämpften uns durch das Münsterland gen Norden vor. Schnelle Ladestationen gibt es inzwischen auch dort. Aber nur vereinzelt und fast ausschließlich in klassischer Anordnung: Um an den Strom zu kommen, hätten wir am Rasthof Dammer Berge Ost den Hänger abkoppeln müssen – oder die anderen E-Auto-Fahrer bitten müssen, die Station vorübergehend zu räumen. Aber wer macht das schon?
Aber es gibt ja noch die bereits erwähnten Holländer und die Fastned-Station in Groß Mackenstedt südlich von Bremen – exakt 207 Kilometer vom EnBW-Ladepark am Kamener Kreuz entfernt. Das sollte klappen? Das musste klappen! Und es klappte, wenngleich nur knapp: Das Münsterland ist, so stellt sich bei solchen Gelegenheiten heraus, alles andere als topfeben. Und bei Tempo 100 saugte der Kia bei „Berg“-auf- und „Berg“-ab-Passagen durch den rollenden Klotz am Haken mehr Strom aus dem Akku, als den Insassen lieb sein kann: Bisweilen stand ein Durchschnittsverbrauch von 44 kWh/100 km auf dem Computerdisplay hinterm Lenkrad – am Ende ein Schnitt von 39,8 kWh/100 km. Als wir uns dann, fehlgeleitet durch schlecht platzierte Wegweiser, kurz vor der Fastned-Ladestation auch noch beinahe auf dem vollbesetzten Parkplatz eines Fastfood-Restaurants festfuhren, war die Stimmung im Auto auf dem Tiefpunkt: Reichweitenangst war da kein abstrakter Begriff mehr.
„Clever“ laden im Kreis
Eine halbe Stunde später sah die Welt allerdings schon wieder ganz anders aus. Mit einem zu 90 Prozent gefüllten Akku – und der nächsten Gespann-freundlichen EnBW-Station im nur 130 Kilometer entfernten Dätge vor Augenn. Für Ortsunkundige: Dort gibt es nahe der A7, kurz hinter Neumünster, einen Autohof mit allem Pipapo. Und einer batterierefreien Ladestation. Inzwischen hatten wir eine gewisse Routine – mit der Ladeplanung, auch einer möglichst sinnvollen Nutzung der Ladepausen. Durch Nahrungsaufnahme, sanitäre Gänge und kurzer Sichtung des E-Mail-Verkehrs und der Weltlage. Für Letzteres bietet der luxuriöse Kia EV9 seinen bis zu sieben Insassen nicht nur ein eigenes WLAN-Netz, sondern auch ganz hervorragende Liegesitze mit Fußstütze. Da der EV9 aber Gleichstrom mit bis zu 210 kW aufnimmt und für die Befüllung des Akkus auf 80 Prozent seiner Kapazität nur wenig mehr als 20 Minuten benötigt, kamen die unterwegs immer nur für wenige Minuten zum Einsatz.
Auch Etappe Vier ging schnell vorbei. Ein Bekannter aus Kiel hatte uns auf dänischer Seite nämlich einen nagelneuen Ladepark in Aabenraa empfohlen – errichtet vom dänischen Ladenetzwerk „Clever“. Ionity sei in der Nachbarschaft zwar auch vertreten, aber nur mit Säulen in konventioneller Anordnung. Der Clever-Park hingegen sei kreisförmig angelegt, verfüge über 30 Schnellladepunkte und sei architektonisch eine Wucht – also nichts wie hin.
Tatsächlich haben sich die Dänen beim Bau der Anlage einige Gedanken gemacht, um eine Elektro-Tankstelle ansprechend zu gestalten und den Aufenthalt dort so angenehm wie möglich zu gestalten. Mit kostenloser Toilettenanlage, einer hölzernen Dachkonstruktion in Pilzform, mit Mülleimern und einer kleinen Grünanlage in der Mitte. Und mit Ladeplätzen ausreichend lang und breit auch für Gespanne, seien es nun – wie in unserem Fall – große Elektroautos mit Wohnanhänger oder ein E-Mobil mit einem Trailer für Segelflugzeuge. Letztere, zeigte sich bei unserem Besuch, hängen in Dänemark schon mal öfter an Tesla-Stromern.
Kurzer Ausflug zum Sandstrand
Wir wären hier gerne noch etwas länger als nötig geblieben. Aber weil die Rezeption auf dem Campingplatz auch so etwas wie Sonntagsruhe kennt, mussten wir uns sputen, um nicht vor geschlossenen Schranken zu landen. Zumal in Dänemark Gespanne ohne eine spezielle Abnahme des örtlichen TÜV nur maximal 80 km/h auf der Schnellstraße fahren dürfen. Daran hält man sich natürlich als gesetzestreuer Gast des Landes.
Und so sind wir denn kurz nach 18 Uhr mit den letzten Sonnenstrahlen auf unseren Stellplatz in den Dünen gerollt. Ein wenig müde von der langen Fahrt, aber auch mit dem Wissen: Wohnwagen und Elektroauto passen durchaus zusammen. Wenn man gerade nicht auf der Flucht ist und die Fahrt in den Urlaub bereits als Teil der Freizeit begreift. Und natürlich, wenn Zugmaschine und Anhänger zusammen passen.
Auto liefert Strom für Herd und Heizung
Wir hatten da die perfekte Kombi: Einen allradgetriebenen E-SUV mit Bärenkräften, großem Akku und einer maximalen Anhängelast von bis zu 2,5 Tonnen. Und einen relativ leichten und obendrein gasfreien Wohnanhänger. Der Clou hier: Nicht nur Kühlschrank und Beleuchtung, sondern auch Herd und Klimaanlage werden im Knaus Yaseo elektrisch betrieben. Den dafür nötigen Strom lieferte in der ersten Nacht in Dänemark unser Kia – per Adapter am Ladeport und „Vehicle to Load“ (V2L)-Funktion, die der Kia EV9 serienmäßig an Bord hat. Ein Wohnanhänger als Belastung? Von wegen – in dieser Kombination ist es eine beinahe perfekte Symbiose.
So und jetzt nochmal testen in den Süden 😉
Gerne 😉 Wohin soll es gehen?
Danke für den Bericht.
Eine Angabe des kompletten Durchschnitsverbrauchs wäre ganz nett oder sind es die 44 kWh/100 km. Die hören sich nämlich so an, als ob das nur temporär mal gewesen ist.
Das steht doch im Text, 39,4kWh/100km