Das wichtigste Elektroauto kommt nicht von Tesla und schon gar nicht aus Europa – zumindest in Amerika. Denn mit dem Ford F-150 Lightning kommt das seit mehr als 40 Jahren meistverkaufte Fahrzeug der USA im Juni als Elektroversion auf den Markt. Der Pick-Up mit dem Blitz wird den Automarkt auf den Kopf stellen – viele wissen das nur noch nicht.

Ganz anders sieht es natürlich bei Ford selbst aus. Der Autobauer aus Dearborn ist sich der Bedeutung seines F-150 Lightning überaus bewusst. Seit dem T-Modell, das Anfang des vergangenen Jahrhunderts die automobile Massenproduktion einläutete, heißt es dort, habe es wohl kein wichtigeres Auto mit dem Blue Oval gegeben. Die F-Serie von Ford und allen voran der F-150 ist seit mehr als vier Jahrzehnten das meistverkaufte Fahrzeug der USA und damit eines der meistverkauften auf der ganzen Welt – pro Jahr entscheiden sich bis zu eine Million Kunden für den sogenannten Fullsize-Pick-Up.

Bullenritt in Texas
Trotz seiner immerhin knapp drei Tonnen Leergewicht schiebt der F-150 Lightning auf dem Testparcours wie ein wild gewordener Bulle, der zum ersten Mal auf die texanische Koppel gelassen wurde. Fotos: Ford
Bullenritt in Texas
Trotz seiner immerhin knapp drei Tonnen Leergewicht schiebt der F-150 Lightning auf dem Testparcours wie ein wild gewordener Bulle, der zum ersten Mal auf die texanische Koppel gelassen wurde. Fotos: Ford

Genau der F-150 ist als erster seiner Klasse ab kommendem Monat unter dem Namen Lightning nunmehr auch als imposante Elektroversion zu bekommen. Der Autobauer aus Dearborn hat damit nicht nur den direkten Wettbewerbern Chevrolet Silverado und Dodge Ram eine schmerzhafte Nase gedreht, sondern auch Tesla ins Abseits gestellt, die ihren allzu polarisierenden Cybertruck trotz anderslautender Ankündigungen bislang noch nicht zur Marktreife gemacht haben.

Über 200.000 Vorbestellungen für den „Blitz“

Während der Tesla Cybertruck aussieht wie ein elektrisches Ufo aus einer fernen Buck-Rogers-Galaxie, so ist der 5,91 Meter lange Lightning vom gewöhnlichen Ford F-150 optisch kaum zu unterscheiden. So wundert es nicht, dass im Straßenverkehr der texanischen Millionenmetropole San Antonio kaum einer der anderen Verkehrsteilnehmer auf das Zukunftsmodell mit dem Elektroantrieb aufmerksam wird.

Der Elektro-Pick-Up ist ein Koloss, wie man ihn gerade hier in Texas an jeder Ecke sieht. Mehr als die Hälfte aller Autos in dem Flächenstaat hat eine offene Ladefläche. Und so ist Texas der Musterstaat, ob der Lightning ein Erfolg wird oder nicht. „Wir haben bei 200.000 Vorbestellungen diese erst einmal gestoppt“, sagt Chefentwicklerin Linda Zhang, „die müssen wir erst einmal abarbeiten, sonst vergraulen wir die Kunden. Wir haben aktuell gerade eine Produktionskapazität von 150.000 Fahrzeugen pro Jahr.“

Arbeitspferd
Der F-150 Lightning ist ein rollendes Kraftwerk. Der Akku liefert nicht nur Strom für den Antrieb. Über die Anschlüsse auf der Ladefläche und im "Frunk" lassen sich auch elektrische Arbeitsgeräte aller Art bedienen. Handwerker werden den Ford lieben.
Arbeitspferd
Der F-150 Lightning ist ein rollendes Kraftwerk. Der Akku liefert nicht nur Strom für den Antrieb. Über die Anschlüsse auf der Ladefläche und im „Frunk“ lassen sich auch elektrische Arbeitsgeräte aller Art bedienen. Handwerker werden den Ford lieben.

Die direkten Wettbewerber Chevrolet Silverado, Dodge Ram, Toyota Tundra und speziell der gehypte Tesla Cybertruck straucheln beim Elektroantrieb. Diesen zeitlichen Vorsprung will Ford nutzen und seine Pflöcke so tief es nur geht bei den Kunden einschlagen.

Die Preisliste startet bei unter 40.000 Dollar

„Rund 80 Prozent der Lightning-Besteller fahren bisher einen Verbrenner“, erklärt Darren Palmer, der bei Ford für die Elektrofahrzeuge verantwortlich ist. „Das ist eine einmalige Chance für uns, die vom Elektroantrieb zu begeistern.“

Die will man nutzen und daher ist nicht nur für eine entsprechende Technik gesorgt, sondern es wurde auch hart gepreist. Das sogenannte Workhorse (Arbeitstier) des F-150 Lightning Pro startet für knapp unter 40.000 US-Dollar. Dafür gibt es knapp 380 Kilometer Reichweite, 377 kW (452 PS) Leistung, Allradantrieb, einen 98-kWh-Akku sowie eine ordentliche Komfort- und Sicherheitsausstattung.

Topversion mit 131 kWh-Akku

Gerade in den ersten Produktionsmonaten werden die meisten Ford F-150 Lightning jedoch die Topversionen des Limited sein, der mindestens 90.000 US-Dollar kostet. Dafür gibt es einen 580 PS starken Antrieb, einen 131-kWh-Akku, 480 Kilometer Reichweite sowie eine Serienausstattung, die kaum Wünsche offenlässt. Zwischen Pro und Limited rangieren die wohl späteren Bestseller Lightning XLT und Lariat.

Neuer Bekannter 
Der 5,91 Meter lange Lightning vom gewöhnlichen Ford F-150 optisch kaum zu unterscheiden.
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Der 5,91 Meter lange Lightning vom gewöhnlichen Ford F-150 optisch kaum zu unterscheiden.

Trotz seiner immerhin knapp drei Tonnen Leergewicht schiebt der F-150 Lightning wie ein wild gewordener Bulle, der zum ersten Mal auf die texanische Koppel gelassen wurde. Aus dem Stand geht es in 4,5 Sekunden auf Tempo 100 und der Allradantrieb nebst 1.050 Newtonmeter Drehmoment sorgen zusammen mit dem gewaltigen Gewicht in jedem der unterschiedlichen Fahrmodi dafür, dass der Elektro-Pick-Up seine Motorleistung spektakulär auf die Fahrbahn bringt.

Rollendes Kraftwerk

Am entspanntesten ist der Elektrocowboy im Komfortmodus unterwegs, während es im Sportprogramm etwas mehr Rekuperation gibt. Wer will, kann über den mächtigen Zentralbildschirm auch in den One-Pedal-Modus wechseln. Der Schub ist aber aus jedem Tempo heraus gewaltig. Und ein paar Sekunden tritt in den Hintergrund, dass das gewaltige Akkupaket im Unterboden den Ladekoloss fast drei Tonnen schwer werden lässt.

Dabei dürfte es zumindest ein paar Kunden in den amerikanischen Flächenstaaten nerven, dass der F-150 Lightning früh bei 165 km/h abgeriegelt wird. Denn in Texas, Colorado und Wisconsin wird abseits aller Aufsicht auch schon einmal deutlich schneller als die maximal erlaubten 85 Meilen in der Stunde gefahren.

Edison Way
Wo normalerweise ein 3,5 Liter großer Sechszylinder oder Fünfliter-Achtzylinder brummt, ist im vollelektrischen F-150 Lightning jede Menge Platz für Reiseutensilien aller Art: Denn der Motorraum ist zum "Frunk" umfunktioniert.
Edison Way
Wo normalerweise ein 3,5 Liter großer Sechszylinder oder Fünfliter-Achtzylinder brummt, ist im vollelektrischen F-150 Lightning jede Menge Platz für Reiseutensilien aller Art: Denn der Motorraum ist zum „Frunk“ umfunktioniert.

Wichtiger dürfte aber vielen US-Kunden sein, dass der elektrische F-150 ein rollendes Kraftwerk ist. Wer als Handwerker reist, kann an bis zu elf Steckdosen auf der Ladefläche und im 400 Liter fassenden Laderaum unter der Frontklappe Elektrogeräte aller Art anschließen, vom Fernseher über die Bohrmaschine bis zum Klimagerät. Und wenn die heimische Stromversorgung mal wieder infolge eines Hurricans oder einer Kältewelle zusammenbricht: Der Lightning kann mit seinem Akku einen Haushalt bis zu zehn Tage lang mit Strom versorgen. So etwas zieht in den USA bei der Kundenansprache.

Am DC-Schnelllader fließt Strom mit maximal 150 kW

Das gilt auch für das Platzangebot, das dank 3,70 Metern Radstand imposant ist. Aber auch für die Ausstattung, die gerade in der edlen Limited-Version kaum Wünsche offenlässt. Die Bedienung geschieht über Sprache oder ein mächtiges 15,5-Zoll-Hochkantdisplay in der Mitte der Armaturentafel.

Die Fahrwerksabstimmung des 150ers ist dabei komfortabler als man es erwartet hätte. Zwar dürfte die Wankneigung bei schneller Kurvenfahrt geringer ausfallen. Aber die Rückmeldung der Lenkung lässt nur bei anspruchsvollen Kunden Wünsche offen. Das gilt auch für die Ladeleistung. Da Ford seinen Hoffnungsträger schneller als die Konkurrenz auf den Markt bringen wollte und dazu wie immer auf den Cent schaute, ist der Ford F-150 Lightning mit einem 400-Volt-Bordnetz unterwegs, der Schnellladungen per Gleichstrom nur bis 150 kW ermöglicht.

Tesla lässt grüßen
Auch kommunikationstechnisch ist der vollelektrische "Lightning" auf der Höhe der Zeit. Wie im Mustang Mach E und Tesla Model S werden auch im F-150 Lightning die wichtigsten Funktionen über ein iPad-ähnliches Zentraldisplay gesteuert.
Tesla lässt grüßen
Auch kommunikationstechnisch ist der vollelektrische „Lightning“ auf der Höhe der Zeit. Wie im Mustang Mach E und Tesla Model S werden auch im F-150 Lightning die wichtigsten Funktionen über ein iPad-ähnliches Zentraldisplay gesteuert.

„Die meisten unserer Kunden laden jedoch ohnehin in der heimischen Garage und allenfalls einmal zwischendurch beim Einkaufen auf dem Supermarktparkplatz“, versucht Linda Zhang über den überschaubaren Makel hinwegzutäuschen. „Ein Elektroauto darf gerade als Pick Up keinerlei Einschränkungen bieten – auch nicht bei Nutzlast oder Reichweite. Sonst steigen die Kunden nicht um.“ Wichtiger denn je sei, dass man den Markt derzeit für sich hätte. Immerhin lädt der F-150 in 40 Minuten seinen Akku an einer Schnellladesäule wieder voll.

„Elektrische Revolution“ auch mit VW-Hilfe

Der F-150 Lightning ist nach dem Mach E, der auch in Europa angeboten wird, die neue elektrische Speerspitze der Amerikaner. In den kommenden Jahren nimmt der Autobauer aus Detroit 50 Milliarden US-Dollar in die Hand, um sich fit zu machen für den Umschwung in die Elektromobilität.

„Für uns ist das eine elektrische Revolution“, legt Darren Palmer nach. Das werden mehr denn je auch die Kunden in Europa merken. Bis 2030 will Ford hier komplett elektrisch werden. Die so wichtigen Nutzfahrzeuge sollen bis spätestens 2035 folgen. Da hilft nicht nur das amerikanische Massenmodell F-150 als weltweiter Imageträger. Wichtig sind auch die neuen Modelle, die noch kommen. Unter anderem der neue Kompakt-Crossover, den Ford in Köln auf der Basis des modularen Elektrobaukasten von Volkswagen baut.

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