Miami Pink statt British Racing Green, eine rosa eingefärbte Mondlandschaft als Hintergrund für die Studio-Fotos und die Publikumspremiere auf einer Kunstmesse statt einer Motorshow – Jaguar erfindet sich neu und will (wieder) zur Avantgarde unter den Automobilherstellern aufsteigen. Genau wie damals in den 1960ern, als die Welt für den E-Type den Atem angehalten und selbst Konkurrent Enzo Ferrari vom „schönsten Sportwagen aller Zeiten“ geschwärmt hat. 

Wo sich andere Hersteller in der Krise gerne auf ihre alten Werte besinnen, wirft Jaguar auf dem Weg in eine bessere und natürlich elektrische Zukunft nach Jahren des Wachkomas neben dem Verbrenner aber gleich auch noch alle Traditionen über Bord. Klar, Design und Dynamik sollen auch weiterhin die Kernmarkmale der Marke bleiben und die Idee, etwas ganz neues zu machen und mit allen Konventionen zu brechen, ihr Antrieb sein. Doch statt Good Old England gibt es künftig Cool Britannia und allen recht machen wollen sie es auch nicht mehr.

Rosarote Doppelnull 
Weil der Type 00 eher Kunstwerk sein will als Kraftfahrzeug und weil Avantgarde gerne polarisiert, dürften sich an dem mehr als fünf Meter langen Zweisitzer, den Jaguar auf der Art Miami (3. bis 8. Dezember) die Geister scheiden. Fotos: Jaguar
Rosarote Doppelnull
Weil der Type 00 eher Kunstwerk sein will als Kraftfahrzeug und weil Avantgarde gerne polarisiert, dürften sich an dem mehr als fünf Meter langen Zweisitzer, den Jaguar auf der Art Miami (3. bis 8. Dezember) die Geister scheiden. Fotos: Jaguar

Müssen sie auch nicht. Denn von der Idee des Volumenherstellers hat sich Markenchef Rawdon Glover genauso verabschiedet wie von sechsstelligen Absatzzahlen und will lieber mit Klasse als mit Masse Kasse machen. Nachdem er aktuell ohnehin kaum mehr Aufträge schreibt, weil die Produktion der gesamten Palette weitgehend eingestellt ist und nur noch ein paar Restexemplare herumstehen, kann er es sich deshalb wohl auch leisten, ein paar weitere Kunden zu verschrecken. 

Type 00 nur ein Wegweiser

Und das könnte durchaus passieren, wenn sie zum ersten Mal den Type 00 sehen, der jetzt in Miami als Markenbotschafter und Wegweiser enthüllt wurde – selbst wenn das Auto dort auch in einem britischen Hellblau zu sehen sein wird. Der erste neue Jaguar seit dem seligen E-Pace vor 2017 ist zwar nur eine Studie, und Glover macht keinen Hehl daraus, dass sie so nie in Serie gehen wird.

Kein Blick mehr zurück
Mit Konventionen will Jaguar brechen, um ein junges Publikum in Fernost zu gewinnen. Die Konzeptstudie kommt deshalb ohne Heckscheibe aus. Und nach dem traditionellen Markenzeichen muss man lange suchen, bis man es in verkleinerter Form findet.

Doch weil sie eher Kunstwerk sein will als Kraftfahrzeug und weil Avantgarde gerne polarisiert, dürften sich an dem mehr als fünf Meter langen Zweisitzer die Geister scheiden. Zumindest bei einer ersten Sneak Preview daheim im Designcenter war das Echo geteilt und – höflich formuliert – verhalten. Spontane Begeisterungsschreie wie damals bei der Premiere des E-Type auf dem Genfer Salon jedenfalls hat es nicht gegeben. 

Streifengitter statt Kühlergrill

Ja, mit Konventionen und Erwartungen brechen sie dabei ganz sicher. Denn dass heutzutage überhaupt noch jemand einen Sportwagen auf die Showbühne schiebt, ist in Zeiten der SUV-Schwemme schon ungewöhnlich genug. Und dass sich jemand in der Ära handlicher Elektromotoren eine Haube leistet, die lang genug wäre für einen Zwölf- oder gar Sechzehnzylinder, ist fast schon bewundernswert trotzig und ein Ausdruck luxuriöser Opulenz.

Auf dem Sprung 
Die Leaper genannte traditionelle Kühlerfigur von Jaguar findet sich in stilisierter Form noch auf den Zierstücken zwischen Vorderrad und Tür, hinter der sich die Rückwärtsfahrkamera  versteckt.  Als Zeichen von Performance hat die Raubkatze ausgedient.
Auf dem Sprung
Die Leaper genannte traditionelle Kühlerfigur von Jaguar findet sich in stilisierter Form noch auf den Zierstücken zwischen Vorderrad und Tür, hinter der sich die Rückwärtsfahrkamera versteckt.  Als Zeichen von Performance hat die Raubkatze ausgedient.

Doch das Gesicht des Elektro-Jaguar mit LED-schlitzen und einem kantigen Streifengitter anstelle des Grills ist mehr als gewöhnungsbedürftig, erst recht weil, man vorne kein Jaguar-Logo mehr sieht und das gleiche Element – wieder ohne „Leaper“ am scheibenlosen Heck noch einmal auftaucht. Und mindestens genauso sehr, wie zumindest die Silhouette vielleicht noch an den E-Type erinnern mag, weckt das Zierstück zwischen Vorderrad und Tür an den aktuellen Range Rover und entlarvt damit das zum Markengesetz erhobene Mantra „Copy nothing“ gleich mal als Marketing-Phrase. 

Interieur ohne digitalen Budenzauber

Aber zumindest sind sie ansonsten konsequent mit dem Bruch der Konventionen: Denn wenn die riesigen Türen, natürlich elektrisch, aufschwingen, sieht man statt Lack und Leder überall nur Wolle, Naturstein und patiniertes Messing. Und den Trend zum digitalen Budenzauber machen die Briten nicht mit: Wo sonst gerne riesige Bildschirme die Konsolen pflastern, verschwinden die Displays bei Jaguar in den Tiefen der Armaturentafel und kommen nur auf Kommando hervor. Und statt digitaler Avatare gibt es kunstvolle Handschmeichler aus Messing, Travertin und Alabaster, die in einer speziellen Konsole abgelegt werden und dann den Charakter des Wagens prägen sollen. 

Sitzkiste 
Lenkrad und Pedale sieht das Konzeptauto zwar. Ansonsten dürften sich die Insassen im Type 00 zunächst wie in einem edel ausgekleideten Käfig vorkommen. Die heute üblichen Großdisplays tauchen erst auf Knopfdruck aus den Tiefen des Raums hervor.
Sitzkiste
Lenkrad und Pedale sieht das Konzeptauto zwar. Ansonsten dürften sich die Insassen im Type 00 zunächst wie in einem edel ausgekleideten Käfig vorkommen. Die heute üblichen Großdisplays tauchen erst auf Knopfdruck aus den Tiefen des Raums hervor.

Zwar haben sie mit der Studie und zuvor schon mit der vermeintlichen Neuerfindung ihrer selbst endlich mal wieder gebührend Aufmerksamkeit erregt. Aber der Schritt ist gewagt, und alles was die Briten vor der Premiere zur neuen Markenstrategie verlauten lassen, wurde im höflichsten Fall eher belächelt als bewundert und oft genug haben die grellen Farbwelten, der neue Schriftzug und das Monogramm, das wie die Signatur eines Künstlers am Auto prangt, und der je nach Perspektive avantgardistische oder verkünstelte Ansatz Kopfschütteln ausgelöst.

Jaguar wurde zur trägen Hauskatze

Aber zumindest im Netz scheint die kontrovers diskutierte Kampagne aufzugehen. Zwar hat Elon Musk heftig darüber gelästert („Do you sell cars?“), weil in den Postings nie Autos zu sehen waren, doch zu gleich sind die Google-Suchen nach Jaguar in die Höhe geschossen: Keine andere britische Marke wurde so oft im Netz gesucht und keine anderes Rebranding der der letzten Jahre hat eine solche Welle gemacht. Selbst der Wechsel von Twitter zu „X“ habe weniger Aufmerksamkeit erregt, loben Experten. Vielleicht hat Mr. Musk deshalb so pikiert reagiert.

Umstritten oder nicht: Die Neuerfindung er ist die wahrscheinlich einzige und ganz sicher letzte Chance, die den Briten noch bleibt. Denn nachdem Jaguar mit dem i-Pace 2018 ganz vorne dabei war bei der elektrischen Revolution, hat die Raubkatze an Biss verloren und ist zum trägen Kater geworden, der kraftlos in der hintersten Ecke des Oberhauses herum lungert. Uns auch konventionelle Neuheiten wie der XF oder der F-Pace konnten ihm nicht wirklich wieder auf die Sprünge helfen. 

Erste Auslieferungen erst im Sommer 2026

Und so ganz schnell wird die Dursttrecke auch noch nicht vorbei sein. Zwar gehen rund um Gaydon jetzt die ersten Prototypen auf Testfahrt. Doch bis das erste neue Serienmodell gezeigt wird, dauert es noch bis Ende nächsten Jahres und in den Handel kommt es frühestens Mitte 2026.

Streifenanzug mit leichter Wespentaille
Gewisse Ähnlichkeiten mit dem seligen F-Type sind in der Aufsicht noch zu erkennen. Die Jaguar-Studie ist allerdings nur eine Art Design-Wegweiser: Das erste Serienmodell im neuen Stil wird ein elektrischer Gran Turismo mit vier Türen.
Streifenanzug mit leichter Wespentaille
Gewisse Ähnlichkeiten mit dem seligen F-Type sind in der Aufsicht noch zu erkennen. Die Jaguar-Studie ist allerdings nur eine Art Design-Wegweiser: Das erste Serienmodell im neuen Stil wird ein elektrischer Gran Turismo mit vier Türen.

Die Produktphilosophie ist zwar dieselbe und Jaguar will den gleichen Wow-Effekt erzielen wie weiland beim E-Type. Aber aus der spektakulären Sportwagen-Studie von Miami wird für die Produktion dann erst einmal ein viertüriger Gran Turismo. Weil Jaguar künftig eine neue Architektur mit 800 Volt-Technik verspricht und Eckdaten, die auch in 18 Monaten noch überdurchschnittlich gut sein sollen: Fast 800 Kilometer Reichweite zum Beispiel und beim Nachladen über 300 Kilometer Reichweite in 15 Minuten.

Und auch Leistung wird es „satt“ geben. Zwar nennt Glover noch keine Zahlen, stellt aber mehr Kilowatt in Aussicht als bei jedem Jaguar zuvor. „Denn Jaguar stand und steht nicht nur für ein Design von provozierender Avantgarde, sondern auch für Dynamik“, sagt der Markenchef. „Und das wird auch in Zukunft so sein: Das neue Modell wird deshalb das stärkste, das wir bis dato gebaut haben.“

Preise ab 150.000 Euro aufwärts

Die Positionierung dafür ist völlig neu: Jaguar will nicht mehr mit BMW & Konsorten konkurrieren, sondern schielt auf Bentley & Co. Statt unter 50 000 Euro wie beim E-Pace werden die Preise künftig wohl über 150.000 Euro beginnen. Und nur, weil es bis dahin bei Aston Martin, Bentley oder Maybach keinen elektrischen Reisewagen gibt, müssen wohl oder übel Autos wie der Porsche Taycan oder der Lucid Air als Referenz für den neuen Jaguar herhalten. 

Aber bei aller Exklusivität weiß auch Glover, dass ein Modell alleine ihn nicht weit bringen wird. Deshalb plant er in schneller Folge mit zwei weiteren Neuheiten. Als nächstes folgt dem Gran Turismo dann wohl – von wegen unerwartet! – das unvermeidliche SUV oder Crossover. Und danach könnte tatsächlich ein Sportwagen starten. 

Freilich nur, wenn der Avantgarde-Plan aufgeht und die Kunden mitziehen. Dann wäre den Briten tatsächlich ein Kunstgriff gelungen. Ansonsten allerdings gilt für Jaguar, was für alle Avantgarde-Installationen gilt: Wenn es keine Kunst ist, dann kann es weg. 

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