Die Fahrt durchs Parkhaus trieb mir immer wieder den Schweiß auf die Stirn – aus Sorge um die 21 Zoll großen Leichtmetallräder. Und das rückwärts Einparken in die heimische Garage war auch Millimeterarbeit: Für solche Kolosse wie den Kia EV 9 war sie vor 30 Jahren nicht gebaut worden. Zudem hatten wir bei der Montage der Wallbox an der rechten Garagenwand unseren elektrischen Kleinwagen im Sinn, der seine Ladeklappe an der Front trägt.
Der Alltag mit dem Kia EV9, dem neuen, knapp 2,7 Tonnen schweren 5,01 Meter langen und 1,78 Meter hohen Elektro-SUV aus Südkorea, brauchte schon ein wenig Eingewöhnung. Obwohl das siebensitzige Elektroauto bis unter die Dachkante mit allerlei elektrischen und elektronischen, Helferlein vollgepackt ist, die dem Fahrer aus beinahe jeder Notlage helfen können – wenn man sich denn mit den Systemen und ihrer Bedienung erst einmal vertraut gemacht hat.
Mit Preisen überschüttet
Der Kia EV9 ist seit Sommer vergangenen Jahres auf dem Markt und hat seitdem eine Menge Aufmerksamkleit – und auch Auszeichnungen – gewonnen. Der Stromer gewann das „Goldene Lenkrad“ unserer Kollegen von AutoBild, es gab Designpreise und am Weltfrauentag wurde das Kia-Flaggschiff zum „Women’s World Car of the Year 2024“ gekürt. Und dieser Tage errang der EV9 bei der Wahl zum Weltauto des Jahres einen Doppelsieg: Für 100 Automobiljournalisten aus 29 Ländern ist der elektrische Kastenwagen nicht nur das beste Elektroauto 2024, sondern auch das beste Auto des Jahres überhaupt. Vor dem Volvo EX30 übrigens und dem BYD Seal, aber auch vor dem BMW i5.
Da muss den Koreanern also so einiges gut gelungen sein. Zu den Gründen für ihre Wahl äußerten sich die Sprecher der internationalen Jury nicht ausführlich. Die Auswertung zeigt lediglich eine hohe Punktzahl in der Disziplin „Occupant Enviroment“ – also der Bewertung des Innenraums – bei Sicherheit und Performance sowie „Emotional Appeal“. In der letztgenannten Disziplin wird das Design und die Anziehungskraft des Fahrzeugs auf Autokäufer und Umgebung bewertet.
Feste Burg auf Rädern
In der Tat sorgte der Kia EV9 auch während unseres einwöchigen Alltagstests für einige Aufmerksam. An den Ladestationen, aber auch bei einer Durchfahrt durch Stadt Blankenberg, einer mittelalterlichen Siedlung auf einer Höhe oberhalb der Sieg bei Bonn. In den verwinkelten Gassen und bei der Durchfahrt durch den 2,3 Meter breiten Bogen des Katharinentors aus dem 13. Jahrhundert wurde sehr schnell deutlich, wie sehr sich die Mobilitätsbedürfnisse, aber auch die Verkehrsmittel in den zurückliegenden 800 Jahren geändert haben. Wiewohl eine vierspännige Postkutsche mit einer Länge von 5,20 Metern und einer Spurbreite von 2,10 Metern hier seinerzeit auch seine liebe Mühe gehabt haben dürfte.
Und das Platzangebot in und auf der Kutsche war mit neun Plätzen nicht wesentlich größer als in unserem neuzeitlichen Raumgleiter in siebensitziger Ausführung. Vom Reisekomfort ganz zu schweigen: Das Raumangebot ist riesig, die Kniefreiheit zumindest in den beiden ersten Reihen enorm. Und von elektrisch verstellbaren, ventilier- und beheizbaren Sesseln konnten sie Anno Tobak nur träumen. Das Getrappel der Pferde und das Knarzen des Fahrwerks werden sie früher in der Kutsche lautstark gehört, über den Zustand des Weges bis ins Rückgrat bestens informiert gewesen sein. Dank frequenzabhängiger Gasdruckstoßdämpfer vorne und einer Fünflenkerachse mit hydraulischem Niveau-Ausgleich hinten schweben die Insassen des Kia über die Unebenheiten im historischen Pflaster weitgehend hinweg. Auch ächzt da überhaupt nichts im Gebälk: Der EV9 zeigt sich hier – passend zur Szenerie – als feste Burg.
Vollvernetzter Kraftprotz
Aber natürlich ist ein Auto dieses Kalibers in historischen Kleinstädten völlig fehl am Platz – das Revier des vollelektrischen Kia ist die Autobahn. Für Familienausflüge oder Urlaubsfahrten mit Kind und Kegel kann man sich – außer einem Minibus vielleicht – kaum etwas Besseres vorstellen. Für Unterhaltung unterwegs sorgt auf vielfältige Weise das vollvernetzte Panorama-Cockpit, das nicht nur alle mögliche Fahrinformationen auf drei Monitoren und einem Head-up-Display gestochen scharf abbildet, sondern auf Wunsch auch alle möglichen Multimedia-Inhalten wiedergibt. Was man heute angeblich so alles braucht. Nur eine Karaoke-Funktion haben wir bei der Suche in den Untermenüs leider nicht gefunden. Die wird sicherlich bald per Over-the-Air-Update nachinstalliert.
Für ein hohes Maß an Entspannung sorgt aber auch der Antriebsstrang – da hatten die Jurymitglieder durchaus recht mit ihrer Beurteilung. Mit einer Spitzenleistung von 283 kW (was 385 Pferdestärken entspricht) war unser allradgetriebenes Testobjekt der GT Line mehr als ausreichend motorisiert. Um Zwischenspurts auf der Landstraße hinzulegen oder um Überholmanöver extrem zu verkürzen, stehen in der allradgetriebenen „Launch Edition“ immerhin bis zu 700 Newtonmeter Drehmoment zur Verfügung. Und die 99,8 kWh fassende Batterie im Boden speichert so viel Strom, dass die Strecke Köln-Frankfurt und zurück (etwa 380 Kilometer) prinzipiell ohne Zwischenstopp an der Ladesäule zu bewältigen ist. Vorausgesetzt, man hält sich an die Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn und meidet als Fahrer tunlichst alle Versuche, die Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h zu erreichen.
400 Kilometer Reichweite sind realistisch
Theoretisch sollen sogar bis zu 563 Kilometer ohne Ladestopp möglich sein – im Stadtverkehr vermutlich. In der Woche, in der wir den Kia EV9 erproben konnten, kamen wir jedoch nicht über 400 Kilometer hinaus. Über die gesamte Testdauer hinweg betrug der Durchschnittsverbrauch (ohne Ladeverluste) 29,5 kWh/100km – schon rein rechnerisch reichte der Akkuinhalt also nur für 380 Kilometer. Tatsächlich steuerten wir aber schon nach 350 Kilometern einen Ladepunkt an – vorsichtshalber und bei Ladeständen zwischen zehn und 15 Prozent. Da zeigt sich: Bei einem Elektroauto dieser Gewichtsklasse und einer solch großen Stirnfläche nützen alle aerodynamische Kniffe (der cW-Wert des SUV beträgt beachtliche 0,28 und damit auf dem Niveau eines VW ID.4) letztlich nicht so viel, um die Energieverbräuche auf deutlich unter 20 kWh/100 km zu drücken. Vom besten Elektroauto der Welt würde man sich solche Werte allerdings wünschen.
Nicht meckern konnten wir hingegen über die Intelligenz des Bordcomputers: Die Planung der Ladevorgänge auf der Langstrecke ging erfreulich schnell über die Bühne. Und die Auswahl der Stationen gab auch keinen Grund zur Klage. Sogar Plug & Charge wäre bei dem Modell möglich – nach Hinterlegung der Kontodaten fließt dann der Strom nach dem Anstöpseln vollautomatisch. Da ist der Kia wirklich auf der Höhe der Zeit.
Schnelles Laden mit bis zu 212 Kilowatt
Und bei der Steuerung der Ladevorgänge lässt er dank 800-Volt-Architektur so manchen seiner Wettbewerber zurück. Gleichstrom nimmt er am Schnelllader mit bis zu 212 kW auf. Und Werte um die 200 kW hält der Stromer erfreulich lange – erst wenn der Akku zu 60 Prozent gefüllt ist, tritt der Onboard-Charger auf die Bremse und reduziert die Stromzufuhr. Ladepausen dauern so selten länger als 20 Minuten – wenn der HighPower Charger mitspielt. Dafür gibt es die volle Punktzahl.
In Summe hinterließ der EV9 also einen zwiespältigen Eindruck: Er bietet viele Annehmlichkeiten, aber die schiere Größe schreckt doch auch ein wenig. Konzeptionell steht der Kia in der Tradition der großspurigen Mercedes R-Klasse, der als „Dieter Zetsches Rohrkrepierer“ in die Automobilgeschichte einging. Auch der glänzte mit Raum im Überfluss und hohem Fahrkomfort. Aber siebenköpfige Familien zählten damals wie heute eher zu den gesellschaftlichen Ausnahmeerscheidungen. Und für Sammeltransporte von jungen Volley- oder Handballern zu den Spielstätten ist auch der EV9 eher zu teuer: Für unseren mattgrau lackierten Stromer hätten wir 83.190 Euro an Kia Deutschland überweisen müssen.
Da warten wir doch lieber auf den Kia EV3: Der „große Kleine“ erlebt am 26. April seine Europapremiere und wird ab Jahresende das Portfolio der Koreaner sozialverträglich ergänzen. Er wäre schon mal ein guter Anwärter auf den Titel des besten Elektroautos 2025.
Wieder so ein Monster, groß wie ein Lieferwagen, knapp 3t ohne Zuladung, im normalen Leben abseits der Autobahn eine Zumutung, bzgl. Handling, Parken, schmale Straßen.
Unharmonisches, zerklüftetes, hässliches Frontdesign. Wie bei fast allen modernen Autos.
Irgendwie haben viele Hersteller nicht verstanden, worum es bei der E-Mobilität geht und die Journalisten, die solche Kisten mit Preisen ausstatten, auch nicht.
Kompakt, leicht, aerodynamisch, dadurch energieeffizient. Ohne Helferlein- Firlefanz, da der Fahrer keinen Überblick mehr hat.
Leider werden solche Fahrzeuge in D belächelt, das sie nicht als Statussymbole vor dem Reihenhaus taugen.
Design ist Geschmackssache.
Diesen Faktor eingerechnet, gibt es eine einzige Disziplin, in dem der EV9 ein Model X schlägt?
In der Disziplin Ausstattung und Bedienerfreundlichkeit sicherlich. Auch bei Anhängelast (2700 zu 2250 kg gebremst) ist der Kia vorne. Vom HUD können Tesla-Fahrer nur träumen. Und was kostet ein Modell X mit Allradantrieb noch einmal?
Der EV 9 gewinnt meiner Meinung nach keinen Schönheitswettbewerb, doch 30 kW auf 100 km sind maximal 4 Liter Diesel. Ich kenne keinen Verbrenner in dieser Grösse und Gwichtsklasse, der auch nur annähernd mit 5 Liter Diesel auskommt. Somit macht doch der Elektroantrieb mit schnellem Laden Sinn, denn B einem bestimmten Alter fahren nur noch wenige mehr als 4-500 km am Stück.
Bin seit 3 Jahren im EV-Club. Habe als Hiker für Sixt, Europcar und exklusive Luxusvermieter gearbeitet. Tesla kann nur mit Luftfederung gefahren werden. Fahrwerk einfach schlecht, bin bis auf den Pickup alle gefahren. Tesla kann Software, Ladestation usw. Die Autos sind als Fahrzeug schlechter als alles, was Korea oder BYD auf dem Markt hat. Ab 2021 hat die Qualität unglaublich nachgelassen, beim Tesla S von 2017 klapperte noch nach 320.000 Kilometern nix. Aktuelles Model ist inzwischen bei 70.000 und knarzt wegen zu viel Spiel im Fahrwerk. Plastik löst sich, Wasser gelangt in den Innenraum. Nach 4 Jahren und 80.000 km sind aktuell alle Tesla-Fahrer (16 Besitzer) sicher, sich nicht wieder einen zu kaufen. Jetzt wo wir BYD- und NIO-Fahrer in unserer Gruppe haben. Ich fahre einen voll ausgestatteten Ioniq 5 und war geschockt, wie beschissen sich das Model Y fährt. Strompedal ist zu nah an der Mittelkonsole und am Bremspedal. Bei Schuhgröße 46 wird das zum Problem. Alfa Romeo und Maserati haben genauso ein straffes Fahrwerk, aber da rollt der Wagen gut ab. Beim Tesla ruckelt der Gulli noch einen Meter nachdem du drüber gefahren bist. Leichtes Vibrieren beim Verzögern durch den Elektromotor. Model 3 hält die Spur nicht besonders gut. Fährt sich ein wenig wie die erste Audi TT-Version mit Frontantrieb. Was das Verzögern angeht, speziell beim Bremsen und gleichzeitigen Einlenken.
Dass so eine „rollende Burg“ auch noch als ‚Woman’s world car‘ ausgezeichnet wird, ist eine Schande. Hört dieser Irrsinn denn wirklich erst auf, wenn man gesetzlich da einen Riegel verschiebt? Solche aufgeblasenen Ego-Trip-Autos gehören nicht auf unsere Straßen und schon gar nicht in unsere Innenstädte. Frankreich hat da gerade eine gute Antwort darauf gefunden. Die sollten wir uns zum Vorbild nehmen.