Während Europa bereits eine Strategie für die Elektrifizierung des Individualverkehrs hat, fehlt es im Bereich des Güterverkehrs noch an konkreten Plänen für die Dekarbonisierung. Das zumindest bemängelt das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (Ikem) und fordert ein europäisches Leitbild für die Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs. Dabei betont Ikem-Mobilitätsexperte Matthias Hartwig: „Selbst ein technischer Alleingang eines Mitgliedsstaats würde schon große Treibhausgasminderungen mit sich bringen.“ 25 Prozent der Gesamt-emissionen im Straßenverkehr entfallen laut Ikem auf den Gütertransport.

In einer nun veröffentlichten Studie favorisiert das Institut die Errichtung eines sogenannten Electric Road Systems (ERS). „Da alternative Kraftstoffe einen geringen Wirkungsgrad besitzen, die Verlagerung auf die Schiene nicht zeitgleich mit dem Ausbau des Personenverkehrs erfolgen kann und reine Batterielösungen im Schwerlastverkehr mit großen Batterien und Ladezeiten verbunden sind, stellen ERS eine wichtige Komponente für die Dekarbonisierung des Schwerverkehrs dar“, begründet das Institut seinen Vorschlag.

Im Zugverkehr gut erprobte Technik

Für den Aufbau elektrischer Straßensysteme kommen grundsätzlich drei Technologien in Betracht: Induktions-, Stromschienen- und Oberleitungs-systeme. Induktionsspulen seien jedoch noch mit vielen technischen Problemen konfrontiert, heißt es in der Studie. Für Stromschienensysteme wiederum müsste der Straßenbelag aufgebrochen und erneuert werden. Die Ikem-Studie präferiert daher die Etablierung eines Oberleitungs-systems. „Die Technik ist gut erprobt, sie wird schließlich weltweit im Zugverkehr eingesetzt“, betonte Studienautorin Anna Bußmann-Welsch.

Die Studie beleuchtet in drei Szenarien, wie sich ERS in Europa ausbreiten könnten. Ein Alleingang eines Mitgliedsstaates, ein europaweit interoperables System und ein europaweit kompatibles System. Dabei kommt das Institut zu dem Schluss: Bereits der Alleingang eines Staates wäre effizient und klimaschonend, hätte aber mit Blick auf die beiden anderen Szenarien ein geringeres Dekarbonisierungspotenzial. Am wenigsten Kosten verursache das interoperable System. „Der Vorteil eines
interoperablen Systems liegt darin, dass Transportunternehmen, ob für Verträge, Abwicklung des Fahrstrombezugs oder Straßengebühren, nur mit einem Unternehmen in Kontakt treten müssen“, so Bußmann-Welsch.


Anfang dieses Jahres wies eine Studie des Instituts für Energie- und
Umweltforschung Heidelberg (Ifeu) ebenfalls auf die Vorteile von
Oberleitungssystemen hin. Demnach kann ein Oberleitungsnetz von 3.200 Kilometern jährlich bis zu 9,2 Mio. Tonnen CO2 einsparen. Das entspräche knapp 20 Prozent der Gesamtemissionen des deutschen Straßengüter-verkehrs. Eine erste Teststrecke für Oberleitungs-LKW ging hierzulande auf der A5 in Hessen in Betrieb. Inzwischen sind zwei weitere Strecken in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg entstanden.

Oberleitung auch entlang der Landstraßen

Auch auf einer Online-Veranstaltung in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der Europäischen Union machten sich Politiker für den Oberleitungs-Güterverkehr stark. Um den Verkehr bis 2050 vollständig zu dekarbonisieren, gibt es aus Sicht von Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth drei Optionen: die direkte Nutzung von Strom, Wasserstoff sowie Bio- und E-Fuels – wobei erstere die effizienteste und damit beste sei. Insbesondere im Schwerlastverkehr sind der reinen E-Mobilität auf Basis einer Antriebsbatterie Grenzen gesetzt. Flasbarth sieht daher in Ober-leitungs-LKW eine vielversprechende Alternative. „Das ist nichts für überall, aber für einige Hochleistungsstrecken“, erklärte er.

Vom Bund gefördert laufen in den Ländern Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Hessen aktuell bereits entsprechende Projekte oder befinden sind noch im Aufbau. Darin wollen die Projektpartner aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zunächst grundlegende Fragen beantworten, wie etwa, ob ein O-LKW eher mit einem Dieselmotor, einer Batterie oder einer Brennstoffzelle kombiniert werden sollte. Baden-Württemberg hat im Unterschied zu den anderen Bundesländern noch den weitesten Weg zurückzulegen, denn noch rollt hier kein O-LKW. Ein weiterer Unterschied: Die Oberleitung wurde entlang einer Bundesstraße errichtet.

Scania R450 Oberleitungs-Lkw auf der A5-Teststrecke bei Frankfurt
Unterwegs auf dem e-Highway
Die schwedische Volkswagen-Tochter Scania hat für die Feldversuche in Deutschland zwei Prototypen von Elektro-Hybrid-Fernverkehrs-Lkw mit unterschiedlichen Antriebssträngen zur Verfügung gestellt: einen mit einer einzigen Batterie für eine Leistung von 15 kWh, den anderen mit mehreren Batterien und folglich mehr Leistung. Beide verfügen über ein- und ausfahrbare Stromabnehmer. Foto: Scania

„Das heißt, es ist eng, wir durchqueren Dörfer und haben auf der Strecke Ampeln“, sagte Landesverkehrsminister Winfried Her mann (Grüne). Die Infrastruktur steht aber schon, im Jahr 2021 sollen auch hier die ersten O-LKW fahren. Genauso wie andere Infrastrukturprojekte sind O-LKW-Strecken nicht frei von Widerstand. „Wir haben viel Prügel für dieses Projekt bekommen, sowohl von Bürgern, Bürgermeistern als auch der
Lokalpresse“, sagte Hermann.

Preisgünstigste Lösung im Vergleich

Ein Vorwurf: Die Oberleitungen verschandeln die Landschaft. Dabei habe die Landesregierung so viel wie noch nie für ein Infrastrukturprojekt geworben. Aus Sicht des Ministers muss das Thema Akzeptanz daher bei einem weiteren Ausbau ganz oben auf der Agenda stehen. Von der Technologie ist der Grünen-Politiker aber überzeugt. Zum einen ließen sich dadurch große Mengen CO2 einsparen. Zum anderen sei sie schneller zu verwirklichen als etwa die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und zudem kostengünstiger.

Laut Hermann belaufen sich die Kosten für den Bau von Oberleitungen über 4.000 Kilometern Autobahn auf „10 bis 15 Milliarden Euro“. Die Schiene lasse sich für das gleiche Geld dagegen nur auf 200 Kilometern ausbauen. Auch gehe der Schienenausbau vergleichsweise langsam vonstatten, während an Autobahnen beispielsweise keine neuen Planfeststellungsverfahren nötig seien.

Ähnlich äußerten sich Jens Deutschendorf, Wirtschaftsstaatssekretär des Landes Hessen, und Tobias Goldschmidt, Energiestaatssekretär des Landes Schleswig-Holstein. Beide sehen in der Technologie einen wichtigen Baustein zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors und wollen diese weiter gegen Kritiker verteidigen.

In Kooperation mit dem Branchendienst energate.

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3 Kommentare

  1. Norbert Huber

    Warum investiert man nicht dieses viele Geld in die Entwicklung von wasserstofgetriebenen LKWs und in die Wasserstoff-Infrastruktur? Ich denke, dass würde uns in diesem bereich ein richtig großes Stück weiter bringen. Die Landschaft würde nicht verschandelt werden, die Bürger bräuchten nicht mit millionenschweren Kampagnen überzeugt werden und wir hätten die Flexibiität des heutigen Güterverkehrs, um die wir so oder so nicht herumkommen! Selbiges gilt auch für den Güter-/Eisenbahnverkehr… Man kann heute schon H2-Lokomotiven kaufen, die auf noch nicht elektrifizierten Strecken fahren können.

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    • Egon Meier

      Weil Wasserstoffantriebe extrem ineffizient sind. Man benötigt ab Kraftwerk 3x soviel Strom für die gleiche Transportleistung wie beim Direktantrieb über Oberleitung oder Akku.
      Ganz einfach.
      eigentlich sollte sich das inzwischen überall herumgesprochen haben. Hinzu kommt, dass man noch eine aberwitzige Infrastruktur für die Erzeugung und die Verteilung des H2 aufbauen muss.

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  2. Kai Neumann

    „die Verlagerung auf die Schiene nicht zeitgleich mit dem Ausbau des Personenverkehrs erfolgen kann “ ….diesen Satz verstehe ich nicht – kann wer einen Hinweis geben?
    Was die Kosten der Oberleitungen auf bestehenden Trassen angeht, sollten die, die diese jetzt beziffern, nachher auch für Irrtümer gerade stehen. Der Preis beim Ausbau des Schienennetzes scheint mir der einer neuen Trasse. Ob es die überhaupt braucht oder die bestehenden und deren Steuerung nicht preiswerter modernisiert werden können, bin ich mir nicht sicher, aber die Zahlen wären dann andere und wir manifestierten nicht zwingend den Straßenverkehr, der auch im größeren Kontext fragwürdig ist.

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