Über Lucid schwebt vermeintlich ein Damoklesschwert. Nämlich das der Finanzen, da der kalifornische Autobauer nach wie vor ein sattes Minus einfährt: Trotz eines Absatzplus von 40 Prozent auf knapp 2000 Elektroautos im ersten Quartal fuhr das Unternehmen im ersten Quartal nochmals einen Verlust von 681 Millionen Dollar ein – nach 654 Millionen Dollar im gesamten Geschäftsjahr 2023.

Für die meisten anderen Autobauer wären die konstant tiefroten Zahlen gleichbedeutend mit dem Exodus. Aber die Mannschaft aus dem Silicon Valley ist vergleichsweise entspannt. Der Grund für diese ungewöhnliche Zuversicht trägt den Titel Public Investment Fund (PIF) und steht für den saudischen Staatsfond und der zugrundeliegenden Strategie „Vision 2030“. Diese sieht vor, dass der arabische Staat langfristig seine Abhängigkeit von Erdöl beenden oder zumindest massiv reduzieren will. Und Lucid wurde als lohnendes Investitionsobjekt auserkoren worden. Deswegen bauen die Araber auch in der King Abdullah Economic City (KAEC) am Roten Meer eine neue Lucid-Fabrik mit einer Produktionskapazität von 150.000 Fahrzeugen pro Jahr.

Eine Frage der Power
Der Unterschied zwischen Premium und Luxus besteht in der Leistung: Während die Nobel-Airs mit Allradantrieb und mindestens 611 kW an den Start rollen, sind es beim Pure nur 325 kW und Hinterradantrieb. Bilder: Lucid
Eine Frage der Power
Der Unterschied zwischen Premium und Luxus besteht in der Leistung: Während die Nobel-Airs mit Allradantrieb und mindestens 611 kW an den Start rollen, sind es beim Pure nur 325 kW und Hinterradantrieb. Bilder: Lucid

Die Manager des US-Autobauers betonen, dass das Investment langfristig ausgelegt sei. Und solange die Petrodollars fließen, sind die Kalifornier auf der sicheren Seite und schmieden ambitionierte Pläne. Im nächsten Jahr soll der Gravity erscheinen, ein SUV, das endlich für satte Umsätze sorgen soll.

„Der Gravity wird eine Weiterentwicklung des Air“, sagt Techniker Jürgen Fuchs. 2027 folgt dann ein erschwingliches Mid-Size-SUV, das rund 50,000 Euro kosten soll. Die Produktplanung steht – jetzt geht es an die Expansion. Lucid will nach den USA nun auch Märkten in Europa wie den Niederlanden, Norwegen und Deutschland Fuß fassen. Dabei stellt Deutschland die Nagelprobe für den Eroberungszug auf dem alten Kontinent dar. „Hier in Europa geht es gegen alle. Wenn man mit den Besten mithalten will, muss man in Deutschland gewinnen“, erklärt Lucid-Europachef Alexander Lutz.

325 kW Leistung und Heckantrieb

Da aber hierzulande das Geld nicht ganz so locker sitzt wie im reichen Westen der USA, hat Lucid mit dem heckgetriebenen Air Pure ein Einstiegsmodell im Gepäck, das mit einem Basispreis von 85.000 Euro in der Modellpalette als Premium gilt, während die Air-Varianten GT (ab 129.000 Euro) oder die 920 kW starke Rakete Sapphire (250.000 Euro) als Luxus eingestuft werden. Der Unterschied zwischen Premium und Luxus besteht nicht nur in Ausstattungsdetails wie dem Glasdach, sondern auch in der Leistung. Während die Nobel-Airs mit Allradantrieb und mindestens 611 kW an den Start rollen, sind es beim Pure vergleichsweise gewöhnliche 325 kW, ein Drehmoment von 550 Newtonmetern – und Hinterradantrieb.

Alles im Griff 
"Nur von erfahrenen Fahrern" sollte der Sprint-Modus aktiviert werden, warnt der Bordcomputer. Unser Autor brachte die Voraussetzungen dafür mit - und hatte seinen Spaß daran.
Alles im Griff
„Nur von erfahrenen Fahrern“ sollte der Sprint-Modus aktiviert werden, warnt der Bordcomputer. Unser Autor brachte die Voraussetzungen dafür mit – und hatte seinen Spaß daran.

Um es gleich vorwegzunehmen. Diese Power reicht auch auf deutschen Autobahnen völlig aus, um auf der linken Spur ganz weit vorne dabei zu sein. Beim Sprint von null auf 100 km/h ohnehin, da der in 4,7 Sekunden absolviert wird.

747 Kilometer mit einer Akkuladung

Wo liegt dann der Unterschied zu den Powermodellen? Zum einen in der Höchstgeschwindigkeit. Die beträgt beim Pure RWD 200 km/h und liegt beim GT bei 270 km/h. Zum anderen machen Batteriekapazität und Ladegeschwindigkeit den Unterschied aus. In den Top-Modellen sind Samsung-Energiezellen verbaut und die Akkus haben eine Kapazität bis 118 Kilowattstunden, die mit 900 Volt-Technik und bis zu 300 Kilowatt laden. Dagegen ist beim Air Pure RWD eine 88-kWh-Batterie an Bord, die mit Panasonic-Zellen bestückt ist und mit 650-Volt-Technik arbeitet. Mehr als eine Ladeleistung von 210 kW ist da nicht drin. Dennoch fließt laut Lucid Strom für 400 km in 20 Minuten in den Energiespeicher des Air Pure.

Er läuft und läuft und läuft 
Bis zu 747 Kilometer kommt der Lucid Air mit dem Inhalt seines 118 kWh großen Akkus. In den Bergen aber eher nicht.
Er läuft und läuft und läuft
Bis zu 747 Kilometer kommt der Lucid Air mit dem Inhalt seines 118 kWh großen Akkus. In den Bergen aber eher nicht.

Die Reichweite des Pure ist mit maximal 747 Kilometern (WLTP-Zyklus) angesichts der Batteriegröße top. Schließlich rühmt sich Lucid, ein Antriebskonzept ersonnen zu haben, das sich durch extrem sparsamen Stromverbrauch auszeichnet und die Version mit Hinterradantrieb zur angeblich effizientesten E-Limousine der Welt macht. Lucid gibt den Durchschnittsverbrauch 13,0 kWh/100 km an. Wir kamen auf unserer Testfahrt auf einen Schnitt von 18,7 kWh/100 km, waren aber auch kurzzeitig mit mehr als 150 km/h unterwegs.

Europäische Fahrwerksabstimmung

„Wir glauben an weniger Umdrehungen und an eine längere Übersetzung“, erklärt Entwickler den geringen Energiedurst des windschnittigen Stromers. Ein weiterer positiver Effekt: Dem Lucid Air geht auch bei höheren Geschwindigkeiten nicht die Luft aus.

Auf der Straße unterscheidet sich der Pure nicht großartig von den Luxus-Brüdern. Auch ohne Luftfederung, die keines der Modelle hat, ist das Lucid-Fahrwerk mit den adaptiven Dämpfern komfortabel trotz der montierten 20-Zoll-Räder abgestimmt, was auf langen Strecken angenehm ist. Ein spezielles Set-up für Deutschland wird es nicht geben.

Nicht so spartanisch wie bei Tesla
Die Mixtur aus analogen Eingabemöglichkeiten und über den Touchscreen hilft dem Fahrer, sich schnell zurechtzufinden
Nicht so spartanisch wie bei Tesla
Die Mixtur aus analogen Eingabemöglichkeiten und über den Touchscreen hilft dem Fahrer, sich schnell zurechtzufinden.

„Das Auto ist ohnehin schon sehr europäisch abgestimmt“, findet Fuchs und verweist auf die vielen Testrunden, die mit dem Lucid Pure auf der Nordschleife des Nürburgrings zurückgelegt wurden. Allerdings könnte das ESP nach unserem Geschmack etwas sanfter eingreifen. Die sollte ein zukünftiges Software-Update, das auch drahtlos erfolgen kann, leicht anpassen.

Von Smooth zu Sprint in drei Schritten

Drei Fahrmodi stehen zur Verfügung: Smooth (sanft), Swift (flink) und Sprint. Dass man beim Letzteren erst noch den Hinweis erhält, dass diese Einstellung nur von erfahreneren Fahrern aktiviert werden sollte, zeigt, dass der Lucid in den USA zu Hause ist. Eine individualisierbare Einstellung gibt es nicht. Bei der Rekuperation stehen zwei Modi zur Auswahl – Standard und High, wo der Eingriff schon spürbar und auch ein One-Pedal-Fahren möglich ist. Leider fehlt ein Segelmodus. Deswegen haben wir uns aufgrund der reduzierten Eingriffsstärke für Standard entschieden.

Das Cockpit des Lucid Air konzentriert sich auf das Wesentliche, ist aber nicht ganz so reduziert, wie das bei Tesla der Fall ist. Die Mixtur aus analogen Eingabemöglichkeiten und über den Touchscreen hilft dem Fahrer. Dass die Klimaanlage bei automatischer Einstellung sehr stark bläst, mag in den USA gefallen, hier muss man die Luftzufuhr manuell nachregeln. Aber auch das sollte sich leicht mit einem Software-Update ausbessern lassen.

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1 Kommentar

  1. TomGrober

    Ganz ehrlich: ein verdammt gutes Auto! Recht hat er auch, Deutschland ist die Nummer eins. Wenigstens versteht man die Seriosität des hiesigen Geschäftes. Ich hoffe das klappt.

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