Mercedes-Benz war im Jahre 1996 noch eine andere Nummer in der Autoszene. Auch wenn BMW längst auf Augenhöhe agierte und Audi mit einer Luxuslimousine wie dem A8 aufbegehrte, fuhren die Schwaben als selbsternannte Technologieführer in einer eigenen Liga. Das ist fast drei Jahrzehnte her. Seinem technologischen Anspruch verlieh der Autobauer aus Stuttgart mit einer Zukunftsstudie Nachdruck, der auf dem Pariser Salon des Jahres 1996 enthüllt wurde. Wie weit das Konzeptauto seinerzeit in die Zukunft blickte, zeigt sich erst heute, drei Jahrzehnte später.
Das Design des Mercedes F 200, der unter Leitung des damaligen Forschungs- und Technologievorstands Klaus-Dieter Vöhringer entwickelt worden war und den vielsagenden Namenszusatz „Imagination“ trug, war von einer schlichten Eleganz geprägt, die seinerzeit allemal Zeichen setzte. Doch die eigentliche Show des Luxuscoupés war die Ausstattung, denn im F 200 wurde mit Blick auf die Zukunft verbaut, was technologisch seinerzeit möglich erschien.

Widescreen-Displays, intuitive Touchbedienung und Sprachsteuerung mit „Hey Mercedes“: Was heute in Mercedes EQE und EQS Realität ist, war 1996 in dem Konzeptfahrzeug bereits angedacht. Ebenso wie die digitalen Innen- und Außenspiegel.
Bestwerte in Aerodynamik und mehrere Elemente der kommenden S-Klasse mit der internen Bezeichnung W 220 waren das eine. Doch spektakulär war die Konzeptstudie, die heute im Mercedes-Museum zu bestaunen ist, vor allem deshalb, weil sie auf so elementare Ausstattungsdetails wie ein Lenkrad oder Außenspiegel verzichtete. Gesteuert wurde das Fahrzeug über einen zentralen Controller auf der Mittelkonsole, wobei Fahrer und Beifahrer gleichberechtigt waren: Beide hatten Zugriff auf den sogenannten Sidestick und konnten das vermeintliche Zukunftsmodell so ohne Pedalerie nach Belieben im Straßenverkehr steuern. Auf Wunsch konnte der Innovationsträger auch über Sidesticks in den Türtafeln lenken. Eine weiterentwickelte Joystick-Steuerung präsentiert Mercedes zwei Jahre später in einem Versuchsträger auf Basis eines SL der Baureihe 129.
Steuern per Joystick statt mit Lenkrad und Pedalen
Vor dem Controller auf der Mittelkonsole gab es eine große Bedieninsel für Komfort- und Sicherheitsfunktionen wie Licht, Fensterheber, Gangwahl oder Klimatisierung. Der Sidestick-Controller sorgte nicht nur für die rechte Gaspedalstellung, sondern zeigte eindrucksvoll, was mit einem Steer-by-Wire-System ohne feste Verbindung von Lenkrad und Vorderachse möglich sein würde. Erst knapp drei Jahrzehnte wieder ziehen nunmehr die ersten Steer-by-Wire-Systeme in die Serienfahrzeuge ein. Bald im Hause Mercedes, aber auch bei Modellen von Nio, Tesla oder Toyota.

Das Bedienkonzept des Mercedes F200 war der Zeit weit voraus. Lenkrad und Fußpedale waren hier durch einen Joystick-ähnlichen Hebel auf dem Mitteltunnel ersetzt. Alle anderen Funktionen waren in der Mittelkonsole zusammengefasst.
Und der Mercedes F 200 Imagination verzichtete nicht allein auf Lenkrad und Pedale, sondern auch auf Innen- wie Außenspiegel. Das Bild einer Heckkamera wurde schon damals auf einen Bildschirm zwischen den Sonnenblenden gespiegelt. Und links und rechts in der Armaturentafel zeigten zwei Displays die Aufnahmen der Außenkameras vom nachfolgenden Verkehr. Bemerkenswert auch: Die Instrumententafel zog sich ohne Unterbrechung von der linken bis zur rechten A-Säule. In diesem Jahr kommt das damalige Cockpitdesign mit dem neuen Mercedes CLA erstmals in Serie – 29 Jahre nach dem F 200.
Internet-Verbindung war bereits angedacht
Seinerzeit bereits fest in Planung: eine Verkehrszeichenerkennung durch die am Fahrzeug verbauten Digitalkameras. Ein Navigationsbildschirm war damals bereits keine Zukunftsmusik mehr, nachdem BMW diesen mit der 7er-Baureihe und dem „Carin“ (Car Information)-System von Philips eingeführt hatte. Im F 200 war die Musik von Radio oder CD nicht allein über die Boxen zu hören, sondern wurde – sofern gewünscht – per drahtlosem Kopfhörer zum Beifahrer übertragen.

Die spektakuläre Zukunftsvision Mercedes F200 Imagination von 1996 ist heute zusammen mit anderen Konzeptautos des Konzerns im Mercedes-Museum in Stuttgart zu besichtigen. Bilder: Mercedes-Benz
Der Zeit weit voraus war auch die geplante Verbindung des Mercedes F200 mit dem Internet. Darüber sollten Geldgeschäfte getätigt werden oder Hotelreservierungen vorgenommen werden kann. In dem Zukunftsmodell F 200 waren zudem Xenonscheinwerfer mit variabler Lichtverteilung verbaut, Windowbags, die dynamische Fahrwerkregelung Active Body Control. Es gab eine Spracherkennung für das Mobiltelefon, ein Glasdach, dessen Transparenz sich elektrisch steuern ließ sowie eine elektrisch betätigte Parkbremse.
Zwölfzylinder statt Elektroantrieb
Nur in einem Punkt zeigte die Glaskugel der Mercedes-Ingenieure und -Designer nicht die Zukunft: Angetrieben wurde der Technologieträger von einem Viertakt-Ottomotor mit zwölf Zylindern und sechs Liter Hubraum. Dabei hatten die Schwaben schon 1992 zehn Exemplare des Mercedes 190 in Handarbeit auf einen Elektroantrieb umgebaut und zu einem Großversuch der Bundesregierung auf der Ostseeinsel Rügen entsandt. An Bord hatten die Stromer Natrium-Nickelchlorid- sowie Natrium-Schwefel-Akkus an Bord. Die Arbeitstemperatur der Batterien betrug 300 Grad, die Reichweiten der Autos betrugen zwischen 80 und 175 Kilometer – das schien den Stuttgartern damals nicht zukunftsfähig genug, um den Antrieb auch in den Mercedes F200 zu montieren.