Da fühlt man doch gleich willkommen. „Schön, Sie wiederzusehen“, freut sich der Bordcomputer, nachdem der Startknopf gedrückt wurde. Auch Lebensweisheiten hat der auf Lager: „Haben Sie Spaß und genießen Sie das Leben“, hören wir ein paar Tage später, als wir mit unserem himmelblauen MG4 Electric zu einer Langstreckenfahrt von Köln nach Hamburg aufbrechen. So freundlich sind wir noch nie in einem Elektroauto begrüßt worden. Das hellt nicht nur an trüben und regnerischen Tagen die Stimmung deutlich auf.

Ja, der kompakte Stromer aus dem fernen China ist eine echte Überraschung. Und zwar eine positive. China-Bashing ist in der Politik gerade groß in Mode, weil die USA um ihre Vorherrschaft im Pazifik fürchten und weil die Europäer merken, dass sich die Menschen im Reich der Mitte längst nicht mehr nur auf das Kopieren verstehen und die Unternehmen dort eine Innovationskraft- und geschwindigkeit an den Tag legen, die ihnen selbst abhanden zu kommen scheint. Die Folgen zeigen sich in aller Deutlichkeit auf dem Markt für Elektroautos und den rasant steigenden Zulassungszahlen chinesischer Anbieter nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch in Deutschland: Die Importe von Elektroautos aus China haben sich seit dem vergangenen Jahr verdreifacht. Alle Hersteller zusammen kamen Ende März bereits auf einen Marktanteil von 7,8 Prozent. Tendenz steigend.

Hingucker
Dem MG4 Electric stehen kräftig Farben gut. "Brighton Blue" wie unser Testwagen oder auch ein kräftiges "Fizzy Orange".
Hingucker
Dem MG4 Electric stehen kräftig Farben gut. „Brighton Blue“ wie unser Testwagen oder auch ein kräftiges „Fizzy Orange“.

MG Roewe, der Hersteller unseres Testwagens aus der Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC), rangiert in der deutschen Neuzulassungs-Statistik inzwischen auf Platz 25 mit einem Marktanteil von 0,6 Prozent – vor LandRover, Smart und Mitsubishi. Seit Jahresbeginn haben sich die Absatzzahlen der einstmals britischen und vorübergehend zur BMW-Gruppe zählenden Automarke mehr als verdoppelt. Dank des MG5, des ersten vollelektrischen Kombis auf dem hiesigen Markt, des Elektro-SUV MG ZV, vor allem dank des MG4 – des neuen Shooting-Stars aus China.

Preise sind eine Kampfansage

Nach den Gründen für die Popularität des kompakten Stromers muss man nicht lange suchen. Das extravagante, sportliche Design mag eine Rolle spielen, auch die gute Verarbeitungsqualität und die hochwertigen Materialien im Innenraum. Und nicht zuletzt der Preis: Die Standardversion mit einem 125 kW starken Heckmotor und einem 51 kWh großen Lithium-Eisenphosphat-Akku gab es zu Jahresanfang noch für 31.990 Euro. Nach Abzug von Umweltbonus und Innovationsprämie blieben davon 24.812 Euro übrig. Und unser Topmodell „Luxury“ mit einer 150 kW (204 PS) starken Maschine und einer 68 kWh fassenden Nickel-Kobalt-Mangan-Batterie im Fahrzeugboden kostete inklusive Wärmepumpe und zahlreicher anderer schöner Extras wie Teilledersitze und grellblauer Sonderlackierung nach Abzug aller Prämien nur 32.460 Euro. Versuchen Sie mal, einem VW-Händler zu dem Preis einen ID.3 1Pro S in vergleichbarer Ausstattung abzuschwatzen. Unter 40.000 Euro, so fürchte ich, wird da nichts zu machen sein.

Showtime 
Auch das Nachtdesign des MG4 kann sich sehen lassen. Die Designer haben sich ein paar nette Details einfallen lassen.
Showtime
Auch das Nachtdesign des MG4 kann sich sehen lassen. Die Designer haben sich ein paar nette Details einfallen lassen.

Ok, unser MG5 des Modelljahres 2022 zeigte während des zweiwöchigen Tests auch die eine oder andere Schwäche. Wir notierten mit einiger Verwunderung beispielsweise, dass auf der Rücksitzbank zwar Sitzgurte für drei Personen vorhanden waren, aber nur Kopfstützen. Und zusätzlich zum rasanten zweiteiligen Heckspoiler hätten wir uns an regnerischen Tagen auch einen Heckscheibenwischer gewünscht.

Neuerdings auch mit Ladeplaner

Aber noch während wir diese Zeilen schreiben, hat MG in den Punkten auch schon Abhilfe geschafft: Mit dem Modelljahr 2023 sind beide Features jetzt verfügbar. Und nicht nur das: Der MG4 verfügt nunmehr auch schon in der Standardausführung über eine Sitzheizung und ein beheizbares Lenkrad, in der mittleren Komfort-Ausstattung ist zudem nun auch die Wärmepumpe serienmäßig. Da kann man nicht meckern, auch wenn die Preise darüber um gut zehn Prozent gestiegen sind: Nach Abzug des Herstelleranteils am Umweltbonus kostet die Basisversion nunmehr wenigstens 32.312 Euro, ein MG 4 Luxury 37.312 Euro. Die staatliche Förderung in Höhe von 4500 Euro geht davon aber noch ab.

Touchen und tasten
Im Unterschied zu vielen anderen Elektroautos moderner Bauart verfügt der MG4 noch über eine gewisse Zahl von Direktwahl-Tasten. Die Menüeführung ist allerdings etwas gewöhnungsbedürftig und die Beschriftung arg klein geraten.
Touchen und tasten
Im Unterschied zu vielen anderen Elektroautos moderner Bauart verfügt der MG4 noch über eine gewisse Zahl von Direktwahl-Tasten. Die Menüeführung ist allerdings etwas gewöhnungsbedürftig und die Beschriftung arg klein geraten.

Die Chinesen lernen nicht nur schnell, sie reagieren auch schnell auf Kritik. So soll das Navi inzwischen bei der Planung einer Ferntour mit Blick auf Ladestand und Entfernung zum Ziel automatisch die eine oder andere Ladesäule hinzufügen. Bei unserem Testwagen mussten Ladestopps noch händisch geplant werden – der Bordcomputer gab auf der Fahrt nach Hamburg und zurück lediglich Hinweise auf niedrige Ladestände. Dem Fahrer blieb es überlassen, selbst nach einer Steckdose zu suchen. Und das Verzeichnis der im Navi angezeigten Ladesäulen war zudem äußerst dürftig – ohne zusätzliche App wären wir da aufgeschmissen gewesen.

Erstaunlich gute Lade-Performance

Eine positive Überraschung war wiederum die Geschwindigkeit, mit der der MG4 Electric am Schnelllader den Strom aufnahm. Wunderdinge darf man da bei Autos aus China (bislang) nicht erwarten. Selbst der Luxus-Stromer NIO ET7 kommt nur auf maximal 130 kW am High Power-Charger. Und beim kompakten Atto 3 von BYD sind sogar nur 88 kW drin. Insofern ist der MG 4 mit einer maximalen Ladeleistung von knapp 140 kW schon gut aufgestellt. Zumal er die, wie sich bei unserer Ausfahrt mehrfach zeigte, im Unterschied etwa zu einem Renault Megané E-Tech (maximal 130 kW) auch erstaunlich lange hält und dank Vorheizung des Akkus auch nicht lange braucht, um sie zu erreichen. Selbst als der Akku bereits zu 40 Prozent gefüllt war, lagen noch 137,8 kW an. Bei einem Audi Q4 e-tron an der Ladesäule nebenan war die Ladeleistung da schon auf deutlich unter 100 kW gesunken.

Kurzer Zwischenstopp 
Der MG4 Electric macht auch an der Ladestation von Ionity eine gute Figur. Gleichstrom nimmt das Elektroauto mit bis zu 140 kW auf. Und die Ladeleistung sinkt bis zu einem Füllstand von 60 Prozent auch nur gemächlich. Das verspricht kurze Pausen.
Kurzer Zwischenstopp
Der MG4 Electric macht auch an der Ladestation von Ionity eine gute Figur. Gleichstrom nimmt das Elektroauto mit bis zu 140 kW auf. Und die Ladeleistung sinkt bis zu einem Füllstand von 60 Prozent auch nur gemächlich. Das verspricht kurze Pausen.

Was nicht heißt, dass hier wie da auch beim MG4 noch Luft nach oben wäre. Nicht nur bei der Ladeleistung, sondern auch ergonomisch. So sollte man tunlichst nicht versuchen, über den Bordcomputer – und nur da geht das – während der Fahrt den Grad der Rekuperation von Bremsenergie zu verändern. Denn das geht nur in einem Untermenü. Und bis das gefunden ist, können einige einige Sekunden vergehen, in denen der Blick nicht auf die Fahrbahn gerichtet ist. Auch ein Head-up Display wie im VW ID.3 stünde auf unserer Wunschliste: Wer das erst einmal kennengelernt hat, mag es nicht mehr missen.

Reichweiten um die 350 Kilometer sind drin

Ansonsten lässt der freundliche Chinese spätestens seit dem jüngsten Modell-Update kaum mehr Wünsche offen. Das Fahrwerk ist zwar sportlich straff, aber der Fahrkomfort trotzdem sehr angenehm. Auch dank eines niedrigen Geräuschpegels selbst bei der Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Die sollte man allerdings nicht allzu häufig antesten. Denn dann entfernt man sich sich schnell von dem Durchschnittsverbrauch, den MG mit 16 kWh/100 Kilometer angibt. Wie man damit auf eine Reichweite von bis zu 435 Kilometer kommen soll, blieb uns allerdings schleierhaft. Wir kamen im Schnitt auf einen Verbrauch von 17,9 kWh/100km – und mussten spätestens nach 350 Kilometern einen Ladeplatz suchen. Was für einen Stromer mit einem 64 kWh-Akku an Bord aber ein durchaus guter Wert ist. Der MG4 Electric ist damit voll und ganz alltagstauglich.

Und die Chinesen haben bereits weitere Varianten des Modells angekündigt, mit größerem, 77 kWh fassenden Akku, auch mit Allradantrieb: Das Rennen hat gerade erst begonnen.

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