„Den hätte ich auch gerne!“ Die ältere Dame im Smart Fortwo, die an der Ampelanlage neben uns zum Stehen kommt, strahlt bei unserem Anblick über das ganze Gesicht. Genauer gesagt, beim Anblick des blau-weiß lackierten Microlino, mit dem wir auf der zweispurigen Landstraße unterwegs in die Großstadt sind. Mit 2,52 Metern ist der Kabinenroller noch einen Tick kleiner als ihr Zweisitzer. Er fährt dank Elektroantrieb zudem emissionsfrei, während ihr Stadtauto noch Benzin verbrennt. Vor allem aber: Er ist ein echter Sympathieträger. Wo immer er auftaucht, fliegen ihm die Herzen zu, gibt es hochgestreckte Daumen und fröhliche Gesichter.
Auch bei Fahrern von Oldtimern, die uns im Begegnungsverkehr freundlich zuwinken oder die Lichthupe betätigen. Wohl in der Annahme, bei dem Fahrzeug in Bayerisch-Blau handele es sich um eine gut erhaltene BMW Isetta aus den 1950er Jahren. „Wird die wieder gebaut?“, fragt uns auch die Smart-Fahrerin. Doch bevor wir durch das geöffnete Seitenfenster zur Antwort ansetzen können, springt die Ampel auch schon wieder auf Grün und zwingt uns zur Weiterfahrt.
Darum sei der kleine historische Exkurs hier nachgereicht. Ja, die Ähnlichkeit mit der Isetta, die BMW zwischen 1955 und 1962 mit einer Lizenz des Mailänder Kühlschrank- und Autobauers Iso Rivolta baute, ist durchaus gewollt. Merlin und Oliver Oubouter vom Klapproller-Hersteller Micro aus Zürich, die den Microlino in fast zehnjähriger Arbeit erst zur Serienreife brachten und seit Sommer 2022 von einem italienischen Partner in Turin produzieren lassen, wurden 2015 durch eine TV-Dokumentation über die BMW Isetta inspiriert.
„Rollende Einkaufstasche“
„Wir wollten das ideale Fahrzeug für tägliche Fahrten bauen, wie dem Pendeln zur Arbeit oder dem Einkaufen“, formulierten die Ouboter-Brüder seinerzeit im Gespräch mit EDISON den eigenen Anspruch. So wie seinerzeit BMW: Die Bayern priesen ihr „Motomobil“ im Verkaufsprospekt – lustigerweise ebenfalls mit Kölner Zulassung – dem sogenannten „Kleinen Mann“ der Wirtschaftswunderjahre als „rollende Einkaufstasche“ an.
Neun Kilowatt oder 12 Pferdestärken mobilisierte damals der Heckmotor der inzwischen ikonischen „Knutschkugel“ in der Basisversion. 14 Newtonmeter Drehmoment genügen, um den 370 Kilogramm schweren Kleinstwagen in Schwung zu bringen. Aber schon bei einer Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h war Schluss mit dem Temporausch.
Mit 90 km/h über die Autobahn
Mit einer Antriebsleistung von 12,5 kW und einem maximalen Drehmoment von 89 Newtonmeter ist unser zweifarbiger Testwagens schon stärker motorisieren. Allerdings hat er aufgrund der 10,5 kWh fassenden Lithium-Ionen-Batterie im Fahrzeugboden auch eine größere Masse zu bewegen: Statt knapp 400 Kilogramm wie das Vorbild wiegt der Microlino trotz Aluminium-Außenhaut 613 Kilogramm. Beim Ampelrennen mit dem Smart Fortwo unserer Zufallsbekanntschaft hat er deshalb nur kurz die Nase vorn. Immerhin: Tempo 50 ist nach fünf Sekunden erreicht. Und die Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h – die nach Drücken des „Sport“-Button am Fahrschalter so nach 15 Sekunden erreicht ist – erlaubt es immerhin, auf der rechten Spur über die Autobahn zu rollen.
Große Distanzen sollte man sich allerdings nicht vornehmen: Zwar gibt Micro die Reichweite (nach dem internationalen Motorradzyklus WMTC) mit 177 Kilometern an. Doch im Testbetrieb kamen wir über 120 Kilometer nicht hinaus. Und bei Autobahngeschwindigkeit waren es sogar nur etwa 80 Kilometer. Exakte Reichweitenanagaben macht das Fahrzeug nicht, im Display wird nur der Füllstand des Akkus angezeigt. Am Ziel der Reise sollte dann in jedem Fall ausreichend Zeit sein, den Akku wieder zu befüllen. Denn das kann dauern bis zu vier Stunden dauern. Denn Strom nimmt der Kleine nur mit maximal 3,5 kW auf. Das ist wenig mehr als eine Haushaltssteckdose liefert – die Montage einer Wallbox daheim kann man sich also getrost sparen.
Erstaunlich großer Kofferraum
Als Citymobil aber ist der Microlino zumindest im Sommer beinahe unschlagbar. Aufgrund seiner knappen Abmessungen findet man überall einen Parkplatz und der kleine Wendekreis von nur 7,4 Metern erlaubt Kehrtwendungen, die bei manchen Fußgänger, aber auch Autofahrern für offene Münder sorgen. Erstaunlich geräumig ist auch der Kofferraum, der dank der verschiebbaren Sitzbank leicht an die Transportbedürfnisse angepasst werden kann. Auch größere Wocheneinkäufe beim Discounter sind dann möglich.
Der Isetta-Klon tritt in der Leichtbauklasse L7e an. In der Klasse sind Elektro-Minis wie der Renault Twizy mit bis zu 15 kW Antriebsleistung geführt, zum Fahren braucht es im Unterschied zum Opel Rocks-E (L6e, max. 45 km/h schnell) einen Führerschein der Klasse B. Aufgrund der Gewichtsbeschränkung auf 450 Kilogramm (ohne Batterie) kann Micro Mobility Systems bei seinem Fahrzeug auf Airbags, ABS und Assistenzsysteme verzichten – der Fahrer ist mit sich und seinen Fähigkeiten allein gelassen. Einen Tempolimit-Warner braucht es ohnehin nicht. Und der Schwerpunkt liegt so niedrig, dass ein Elchtest für keine Purzel-Gefahr sorgt. Zumal die Hinterräder weiter auseinander stehen als bei der Ur-Isetta.
Einstieg will geübt sein
Geblieben ist allerdings der Fronteinstieg durch die Kühlschrank-ähnliche Klapptür. Die Prozedur ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, auch weil die Lenksäule im Unterschied zum historischen Vorbild stehen bleibt: Sollen zwei Personen mit, muss zuerst der Fahrer rein. Der steigt in den Fußraum, dreht sich um das Lenkrad – Vorsicht: Blinkerhebel! – und lässt sich dann auf die Sitzbank plumpsen. Hat der Beifahrer Platz genommen, zieht der die Tür am besten gleich hinter sich leicht zu. Den Rest übernimmt ganz sanft eine Zuziehhilfe. Der Ausstieg erfolgt in umgekehrter Reihenfolge – sobald die Insassen den hinter einer Querstange in der Tür versteckten Knopf zum Öffnen der Portaltür gefunden haben.
Auch das Starten braucht etwas Eingewöhnung. Nachdem der Zündschlüssel in klassischer Manier an der Lenksäule gedreht und das Lenkradschloss gelöst ist, fährt das Bordsystem hoch. Das dauert zwei, drei Sekunden – dann erscheinen ein fröhliches „Hey“ auf dem kleinen Display hinter dem Lenkrad und vier bunte Symbole auf einem noch kleineren Display in der Zuzieh-Stange. Minimalistischer geht es kaum.
Fahrtrichtungswechsel braucht Zeit
Der runde Fahrschalter befindet sich links vom Fahrer auf dem Radkasten. Auch der braucht ein paar Sekunden, ehe er auf den Fahrbefehl reagiert. Manchmal noch länger – wenn man nicht fest genug auf das Bremspedal gedrückt hat, um den Schaltvorgang auszulösen. Wenn man gerade rückwärts auf die Durchgangsstraße gerollt ist, und nach dem Wechsel auf „D“ möglichst schnell vor dem herannahenden Verkehr fliehen möchte, kann sich daraus eine brenzlige bis peinliche Situation entwickeln.
Die Eingewöhnungsphase dauert allerdings nicht lange. Auch mit der Geräuschkulisse hat man sich bald arrangiert: Da aus Gewichtsgründen auf jegliches Dämmmaterial verzichtet werden musste, pfeift und surrt der Antrieb deutlich vernehmbarer als man es von (vollwertigen) Elektroautos kennt. Vor allem im Sportmodus, der per Knopfdruck am Berg noch ein paar Kilowatt mehr freisetzt. Wenn dann im Sommer noch das serienmäßige Faltdach (das bei Auffahrunfällen als Notausstieg dient) und die seitlichen Schiebefenster geöffnet sind (eine Klimaanlage gibt es nicht), kann man sich das Abspielen von Musik über die Kopplung des Smartphones mit dem Bluetooth-Lautsprecher in der Ablage sparen: Man hört nur noch sich selbst.
Längsdynamik mit allen Sinnen
Wer sich an solchen Dingen stört, hat allerdings in einem solchen Kleinstwagen nichts verloren und wahrscheinlich auch längst vergessen, was die Freude am Fahren ausmacht: Die Wahrnehmung von Längs- und Querdynamik mit allen Sinnen. Davon bietet der Microlino jede Menge. Wer sich noch auf den Einsatz der klassischen Handbremse versteht, kann mit der bunten Kugel beispielsweise sogar richtig driften. Versuchen Sie das einmal mit einem Elektroauto vom Kaliber etwa eines Mercedes EQS: Der Bordcomputer und die zahllosen Assistenzsysteme würden derlei Späße schnell unterbinden.
Aber trotz aller Schwächen: Wir haben unseren Microlino schnell lieb gewonnen. Als praktisches und leichtfüßiges Transportmittel im Regionalverkehr, aber auch als Kommunikationsplattform mit Kontaktgarantie: Nie zuvor haben wir mit einem Auto in so kurzer Zeit viele neue Menschen kennengelernt, an der Ampel bei der Fahrt durch die Düsseldorfer Altstadt, an der Ladestation auf dem Parkplatz des Supermarkt. Man bleibt mit dem Kleinen selten lang allein.
„Hot Deal“ in Deutschland
Schon das könnte für den einen oder anderen ein Argument für eine Anschaffung sein. Mit einem Listenpreis von 16.900 Euro liegt die Einstiegshürde allerdings recht hoch. Für den gleichen Preis gäbe es auch schon einen viersitzigen und 125 km/h Dacia Spring – der in der Standardversion auch nicht schneller Strom lädt.
Da gilt es abzuwägen, was einem wichtiger ist: Fahrspaß oder purer Nutzwert. Wer sich allerdings mit einem vorkonfektionierten Fahrzeug anfreunden kann: Microlino Deutschland gewährt aktuell einen Nachlass von 5.979 Euro auf Bestandsfahrzeuge, um den Absatz anzukurbeln. Weniger als 11.000 Euro? Solche Summen geben manche Menschen schon für ein hochwertiges E-Bike aus. Da ist ein Microlino eindeutig das bessere Zweitfahrzeug.