Er sieht gut aus, ohne wirklich aufzufallen und ist dabei so selbstbewusst, seine Leistungsdaten offen zu zeigen. Polestar 2, 78 kWh / 335 kW steht auf den Türen des „Thunder“-grauen Fahrzeugs, das wir für ein paar Tage durch Kalifornien bewegen dürfen. In den USA, wo die Motorleistung leicht anders gemessen wird, entspricht das jenen 350 kW oder 476 PS, die der Polestar 2 in Europa maximal zu leisten im Stande ist. Diese Elektropower ist also mächtig für ein Mittelklassemodell, das als Benziner oder Diesel normalerweise kaum mehr als 200 PS an seine Antriebsachsen bringt. Doch der 4,61 Meter lange Polestar bekam bei der Modelleinführung vor bald vier Jahren die Aufgabe, das Tesla Model 3 anzugreifen und geizt deshalb weder mit Antriebsleistung noch mit elektrischer Reichweite. Schon gar nicht nach der jüngsten Modellpflege.

American Way 
In den USA hat man keine Scheu, seine Leistung zu zeigen. Der Aufkleber an den Türen des Polestar 2 protzt sogar damit.
American Way
In den USA hat man keine Scheu, seine Leistung zu zeigen. Der Aufkleber an den Türen des Polestar 2 protzt sogar damit.

Während viele Autohersteller bei ihren elektrischen Erstlingsmodellen auf einen SUV setzten, entschied sich die Geely-Tochter Polestar als elektrisches Volvo-Pendant für eine Limousine mit kurzem Heck. Sie sieht gut aus, die Proportionen stimmen und gerade für den Hauptmarkt USA war das sicher eine gute Wahl. Das mag auch der Grund dafür sein, dass man beim Nachladen des Akkus an den Ladestationen überraschend häufig auf das Auto angesprochen wird. Egal ob in der Tiefgarage der Universität von Kalifornien, in Downtown Pasadena oder in Costa Mesa – das Elektromodell scheint nicht nur die eigenen Türen zu öffnen. Viele Menschen hier im amerikanischen Saubermann-Staat Kalifornien kennen Polestar, einige sogar das entsprechende Modell und fragen unverblümt, ob der denn nun aus China käme? China-Bashing ist auch hier gerade groß in Mode.

Schweden-Chic mit China-Power

Ja und nein lautet die differenzierte Antwort, denn der Schwedenchic des Viertürers ist innen wie außen obligatorisch, doch es ist der chinesische Geely-Konzern, der hinter der Marke Polestar steht. Somit bekommt der Kunde das scheinbar Beste aus zwei Welten: Design, Chic und Wertigkeit aus Schweden mit einem besonderen Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit, während bei Antrieb und Vernetzung die chinesischen Kompetenzen und Vorlieben große Vorteile bringen.

Mehr als 150 kW sind selten drin 
Das Ladenetz für Elektroautos ist in Kalifornien ganz ordentlich, die Ladeleistung und der Ladeservice von EVgo weniger.
Mehr als 150 kW sind selten drin
Das Ladenetz für Elektroautos ist in Kalifornien ganz ordentlich, die Ladeleistung und der Ladeservice von EVgo weniger.

Denn der Polestar 2 mit Performance-Paket fährt gut. Bei so viel Drehmoment und letztlich auch Motorleistung ist die Allradversion – egal, ob mit 310 kW oder 350 Kilowatt nach europäischer Rechenart – eine gute, aber nicht einzige Wahl. Denn für viele der Kunden ist die sogenannte Long-Range-Version mit 220 kW oder 299 PS und immer noch stattlichen 490 Newtonmetern Drehmoment besser geeignet. Auch der elektrische Hecktriebler ist immerhin 205 km/h schnell und beschleunigt in dynamischen 6,2 Sekunden von 0 auf Tempo 100. Und er ist – nicht zu vergessen – deutlich günstiger: In USA gibt es ihn schon für 49.900 Dollar, nach aktuellem Umrechnungskurs wären das etwa 45.500 Euro. Zum Vergleich: In Deutschland werden für das gleiche Modell 52.690 Euro aufgerufen. Da spielt wohl der Umweltbonus eine Rolle, der allerdings zum Jahresende auslaufen dürfte.

Bei Vollgas Jetgefühle

Der Allradler kostet in Kalifornien über 5000 Dollar mehr (54.300$), mit Performance-Pack wenigstens 63.400 Dollar (57.800 Euro). Die maximale Reichweite schrumpft dabei stufenweise von 320 über 276 auf 247 Meilen, also von rund 650 auf knapp 400 Kilometer. Die Ladegeschwindigkeit setzt keine Bestmarken, ist mit maximal 205 Kilowatt aber allemal ordentlich. Die Schnellladesäulen an der kalifornischen Küste liefern oftmals ohnehin nur 150 oder 175 kW, sodass hier das höhere Ladetempo eines Tesla Model 3 (von bis zu 250 kW kaum ins Gewicht fallen würde. Der Normverbrauch von knapp 16 kWh pro 100 Kilometern blieb allerdings bei unser Tour selbst trotz überschaubarer Geschwindigkeiten auf den Highways und auf kleineren Landstraßen in weiter Ferne: Der Elektro-Allradler genehmigte sich im Schnitt etwas mehr als 20 kWh Strom auf 100 Kilometer Fahrstrecke.

Mit neuer Front 
Seit der jüngsten Modellpflege trägt der in China produzierte Schwede ein geglättete Front. Das Facelift hat ihm gut getan.
Mit neuer Front
Seit der jüngsten Modellpflege trägt der in China produzierte Schwede ein geglättete Front. Das Facelift hat ihm gut getan.

Was die stärkste Serienversion mit den europäischen 350 kW / 476 PS und immensen 740 Nm maximalen Drehmoment allerdings bietet, ist ein gewaltiger Schub aus allen Tempi heraus. Das sind bei Vollgas fast schon Jetgefühle. Gut, wenn man da das Lenkrad fest in Händen hält und die bequemen Ledersitze einem nicht nur wohligen Langstreckenkomfort, sondern auch die nötige Kontur bei flotter Gangart geben.

Android Auto arbeitet tadellos

Das Platzangebot geht vorne wie hinten in Ordnung. Auch wenn es nicht opulent ist, ist man zu viert vernünftig unterwegs. Für eine fünfte Person wäre im Polestar 2 kein Platz. Zum ambitionierten Tatendrang des hierzulande mindestens 61.705 Euro teuren Polestar 2 Dual Motor Performance passt die sehr stramme Fahrwerksabstimmung mit direkter Lenkung und einem fraglos für schlechte Straßen zu harten Gesamtpaket.

Eine Klasse für sich in dem China-Schweden ist die Vernetzung und das Bedienkonzept, denn das hat Volvo nicht zuletzt mit Blick auf gewaltige Kosten und die Schlagzahl der IT-Branche gerne aus der Hand gegeben. Das Google-System Android Auto funktioniert in den USA dabei genauso gut wie in Europa. Apps, Musikstreaming, Filme und Smartphone-Integration – so einfach kann man es sich machen, wenn der Autohersteller die Kundendaten nicht unbedingt für sich behalten möchte.

Alles auf einen Blick 
Das Display des Polestar 2 liefert beim Ladevorgang alle Infos, die der Fahrer braucht, um die nächste Etappe zu planen.
Alles auf einen Blick
Das Display des Polestar 2 liefert beim Ladevorgang alle Infos, die der Fahrer braucht, um die nächste Etappe zu planen.

Doch bei allem Glanz von Bildschirmen und Sprachbedienung erlaubt sich der Polestar 2 zwei Bedienschwächen. Zum einen gibt es kein Head-Up-Display für das Modell. Zum anderen sind die Digitalinstrumente hinter dem Steuer in Größe und Übersichtlichkeit allenfalls Mittelklasse. Das können andere moderner, besser und einfacher.

Was unserem Viertürer zudem fehlte, war eine Möglichkeit, das große Panoramadach zu verschatten. Auch wenn die UV-Strahlen angeblich immer draußen bleiben, lugt die Sonne schon einmal an der Sonnenbrille vorbei. Und bei Regen will auch niemand den Himmel beobachten. Ansonsten jedoch bietet der Polestar auf unserer Fahrt durch Kalifornien einen wirklich starken Auftritt. Dazu reichten auch die 405 Liter Laderaum hinter der elektrischen Heckklappe, die sich im Unterschied zum Model 3 bis hoch unters Dach öffnet. Beim Tesla ist die Kofferraumklappe nur eine kleine Luke.

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