Irgendwann wird sich kein Mensch mehr privat ein Auto kaufen, weil er es viel zu selten nutzt und jede Menge Robocabs durch die Stadt wuseln und für eine geringe Summe angemietet werden können. Irgendwann werden Menschen auch keinen Führerschein mehr benötigen, weil alle Elektroautos vollautonom und unfallfrei ihr Ziel ansteuern – Fahrer gibt es nicht mehr, nur mehr Passagiere.

Nur wann beginnt das neue Zeitalter? In San Francisco sind 250 Taxen von Waymo schon eine Weile ganz ohne Fahrer unterwegs, die Amazon-Tochter Zoox will schon bald mit einem eigenen Shuttledienst dazustoßen. Und Tesla-Chef Elon Musk hat unlängst angekündigt, 2026 die ersten Exemplare seines zweitürigen Robocab auf die Straße zu bringen – im deutschen Tesla-Werk Grünheide bei Berlin haben nach Informationen von EDISON erste Vorbereitungen für eine Serienproduktion bereits begonnen.

25.000 Kilometer unfallfrei

Bei Nissan wollen sie sich noch nicht festlegen, wann das erste Serienfahrzeug der Marke vollautonom auf Level 4 oder 5 fahren kann. Zur Einordnung: Ein Auto, das über ein Assistenzsystem auf Stufe 4 verfügt, fährt nur unter gewissen Umständen vollautomatisiert, auf Stufe 5 jederzeit und überall. Der aktuelle Nissan Ariya hingegen beherrscht gerade mal das teilautomatisierte Fahren auf Stufe 2: Nur einige Sekunden kann der Fahrer hier die Hände vom Lenkrad nehmen.

Was nicht heißt, dass sie die Techniken für das hochautomatisierte und vollautonome Fahren bei Nissan nicht beherrschen. Ganz im Gegenteil: In Großbritannien hat der japanische Autobauer in den vergangenen acht Jahren im Rahmen eines großangelegten Forschungsprojekts mit mehreren umgebauten Exemplaren des Nissan Leaf rund 25.000 Kilometer vollautonom zurückgelegt. Im Straßengewühl der City of London, auf den kurven- und buckelreichen Landstraßen rund um das Nissan-Forschungszentrum in Cranfield, Bedfordshire sowie auf den Schnellstraßen dazwischen. Und das völlig unfallfrei, wie Shoji Kawaguchi stolz berichtet – der Japaner ist einer von 75 Ingenieuren, die das Projekt seit 2017 begleitet und die Fahrzeuge in 8750 Arbeitstunden nach und nach perfektioniert haben.

Härtetest im Land der Kreisverkehre

Und wie eine Mitfahrt in einem der Testfahrzeuge demonstrierte, funktioniert die Technik bereits ganz ausgezeichnet. Und das nicht nur im Schritttempo und auf gerader Strecke, sondern auch bei Tempo 100 und dort, wo von allen Seiten andere Autos in einen der zahllosen Kreisverkehre stoßen. Brenzlig wurde es keinen Augenblick. Nur zweimal musste der Ingenieur, der aus Sicherheitsgründen hinter dem (immer noch vorhandenen) Lenkrad eingreifen. In dem einen Fall war ein vorausfahrendes Auto plötzlich stehen geblieben. In dem anderen Fall blockiert ein entgegen der Fahrtrichtung parkendes Auto den Fahrsstreifen – worauf der Leaf stehen blieb: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, wie man auch in England weiß. Und das Computerprogramm war wohl der Meinung, dass ein Ausweichen auf die Gegenfahrbahn zu riskant wäre. Da ist ein Mensch schon wagemutiger.

Hände weg vom Steuer 
Zur Sicherheit sitzt während der Testfahrt mit dem Robo-Leaf ein Nissan-Ingenieur hinter dem noch vorhandenen Lenkrad.
Hände weg vom Steuer
Zur Sicherheit sitzt während der Testfahrt mit dem Robo-Leaf ein Nissan-Ingenieur hinter dem noch vorhandenen Lenkrad.

Aber beim vollautonomen Fahren im Versuchsstatium hat Sicherheit die höchste Priorität. Ein Unfall – und das ganze Projekt steht auf der Kippe. So hatte General Motors im vergangenen Jahr die Aktivitäten der Tochterfirma Cruise eingestellt, nachdem bei einem Unfall in San Fracisco eine Fußgängerin vor eines der Robotaxen des Unternehmens geschleudert und von diesem sechs Meter weit mitgeschleift worden war. Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Dollar waren damit für die Katz‘.

Sicher nur mit Kameras, Radar- und Lidar-Sensoren

Das soll Nissan nicht passieren. Weshalb die Testwagen bei ihren Fahrten im Londoner Stadtverkehr anonymisierte Daten der in den Straßen montierten Überwachungskameras nutzten. Zudem wurden die zum Robotaxi umgebauten Elektroautos technisch mächtig aufgerüstet. Mit 15 Kameras, zehn Radar- und sechs Lidar-Sensoren. Zusätzlich bekamen die Autos Bremsen und eine Lenkung, die statt hydraulisch und mechanisch per Draht gesteuert werden.

Immer mit der Ruhe
Die größte Herausforderung für vollautonom fahrende Autos ist der Stadtverkehr, mit parkenden Autos, Fußgänger-Überwegen und Temposchwellen. In England kommen noch die zahllosen Verkehrskreisel hinzu. Linksverkehr ist hingegen kein Problem. Fotos: Nissan
Immer mit der Ruhe
Die größte Herausforderung für vollautonom fahrende Autos ist der Stadtverkehr, mit parkenden Autos, Fußgänger-Überwegen und Temposchwellen. In England kommen noch die zahllosen Verkehrskreisel hinzu. Linksverkehr ist hingegen kein Problem. Fotos: Nissan

Auf diese Weise, so die Erklärung von Software-Ingenieur Nirav Shah, lassen sich die Reaktionsgeschwindigkeit beider Systeme deutlich erhöhen. Zudem erhält der Bordcomputer zusätzliche Informationen über das Verhalten des Fahrzeugs bei nassen Straßenbedingungen – mit Regen muss in England ständig gerechnet werden. Schneefälle hingegen sind während der achtjährigen Entwicklungs- und Testphase in der Region um Milton Keynes nicht vorgekommen. Wie sich der Robo-Leaf auf schneebedeckten Straßen verhält, wäre also noch zu klären.

Fortsetzung folgt – in Japan

Allerdings ist das von der britischen Regierung mit 100 Millionen Pfund geförderte Foschungsprojekt evolvAD nun erst einmal abgeschlossen – die weitere Entwicklungsarbeit bis zur Serienreife wird im Nissan Research Center in Yokohama geleistet. Mit Unterstützung von Software-Experten im Silicon Valley – und einigen der Ingenieure aus Großbritannien. Und wann werden die Arbeiten beendet sein, die ersten Robotaxen von Nissan in die freie Wildbahn entlassen?

Hightech zuhauf 
Der Nissan Leaf wurde für das vollautonome Fahren mit einer Vielzahl von Kameras, Radar- und Lidar-Systemen hochgerüstet. Zudem wurden Lenkung und Bremsen auf ein drahtgestütztes System umgestellt - und der Innenraum mit zahlreichen Monitoren versehen.
Hightech zuhauf
Der Nissan Leaf wurde für das vollautonome Fahren mit einer Vielzahl von Kameras, Radar- und Lidar-Systemen hochgerüstet. Zudem wurden Lenkung und Bremsen auf ein drahtgestütztes System umgestellt – und der Innenraum mit zahlreichen Monitoren versehen.

2027, deutet Projektleiter Robert Bateman an, könnte den nächsten großen Schritt bringen: In dem Jahr will Nissan in Japan in Zusammenarbeit mit Kommunen und Verkehrsbetrieben erste autonom fahrende Mobilitätsdienste mit Fernüberwachung anbieten. In Europa rechnet er frühestens 2030 aufgrund der aufwändigen Regulatorik mit ersten Einsätzen ähnlicher Fahrzeuge. Bis dahin müssten allerdings noch die Sensoriken verbessert und vor allem verkleinert werden, um sie besser in die Fahrzeugkarosserie integieren zu können: Die Zusatzausstatung des Robo-Leaf hat noch die Dimension eines Dachzelts.

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