Gut Ding will bekanntlich manchmal Weile haben – es braucht manchmal etwas Zeit, um einen hohen Reifegrad zu erreichen. Das gilt auch und erst recht im Fahrzeugbau: Nicht immer ist ein neues Modell gleich der große Wurf. Der erste Opel Grandland, die im September 2017 auf der IAA in Frankfurt Weltpremiere feierte, war ein Schnellschuss. Einen Monat zuvor erst war die deutsche Traditionsmarke von General Motors verstoßen und samt dem Europageschäft des US-Autokonzerns für 1,3 Milliarden Dollar an die französische PSA-Gruppe verhökert worden.
Mit der kooperierte Opel schon länger, um Kosten zu sparen. So nutzten die Deutschen für den Bau des kompakten Crossover nicht nur eine Peugeot-Plattform, sondern anfangs auch das Peugeot-Werk in Sochaux für die Fertigung. Erst zwei Jahre später zog die Produktion des Grandland X, wie der „Stadtgeländewagen“ anfangs hieß, in das eigens dafür umgebaute Opel Werk Eisenach um. Der Start verlief holprig, der Absatz blieb weit unter den Erwartungen. Daran änderte auch ein Facelift zum Modelljahr 2022 nicht viel.
Bei der zweiten Modellgeneration, die in diesen Tagen an den Start geht, sind die Voraussetzungen für einen Verkaufserfolg wesentlich besser. Nicht nur, weil er jetzt nicht nur als Hybrid und Plug-in Hybrid (mit einer elektrischen Reichweite von bis zu 87 Kilometern) erhältlich ist, sondern auch als Vollstromer mit beeindruckenden Fahrleistungen. Die aktuell angebotenen Akkugrößen von 73 und 82 kWh ermöglichen Reichweiten von 523 und 582 Kilometern. Im kommenden Jahr soll sogar noch eine Version mit einem 98 kWh großen Akku und Allradantrieb folgen, die rund 700 Kilometer ohne einen Ladestopp zurücklegen kann.
„Meilenstein für Opel“
„Ein Meilenstein für Opel“, so Markenchef Florian Hüttl, ist der neue Grandland aber auch, weil nun endlich Design, Ausstattung sowie Verarbeitungsqualität dem Anspruch gerecht werden, einen „Spitzen-SUV“ anzubieten. Und da Opel Ende 2022 die Produktion der Mittelklasse-Limousine Insignia beendete, ist der SUV nun sogar das neue Flaggschiff der Marke. Dafür haben sich sowohl die Designer als auch die Opel-Ingenieure mächtig ins Zeug geschmissen. Schon auf den ersten Blick macht das 4,65 Meter lange und 1,66 Meter hohe und gradlinig-modern gestylte Grandland einen guten Eindruck. Erst recht, wenn das Fahrlicht schon eingeschaltet ist und die Umgebung mit 51.200 LED-Pixel ausleuchtet.
Und bei einer ersten Ausfahrt präsentierte er sich in der Version Electric als wunderbar komfortables, äußerst laufruhiges und obendrein sparsames Reisegefährt. Trotz durchaus dynamischer Fahrweise blieb unser durchschnittlicher Stromverbrauch im „Normal“- und „Sport“-Modus unter der Marke von 20 kWh/100 – im „Eco“-Modus wären sicher Verbrauchswerte um die 16 kWh/100 km drin gewesen.
Fast schon Luxusklasse
Der neue Grandland ist über 17 Zentimeter länger als sein Vorgänger und hat fünf Zentimeter an Breite gewonnen. Das kommt sowohl den Insassen wie dem Gepäckraum zugute. Sowohl in der ersten wie in der zweiten Sitzreihe mangelt es uns trotz über 1,80 Metern Körperlänge nicht an Platz. Die im Testwagen montierten, von der Aktion Gesunder Rücken (AGR) zertifizierten „Intelli-Sitze“ verwöhnten nicht nur mit vielfältigen Verstellmöglichkeiten, sondern einem guten Seitenhalt, Massage- und Klimafunktionen. Das ist fast schon Luxusklasse.
Die mit Recycling-Stoffen bezogenen Türverkleidungen und Konsolen machen einen hochwertigen Eindruck und sorgen so ebenfalls für einen hohen Wohlfühlfaktor. Hartplastik findet nur, wer im Fußraum klopfend danach sucht. Informations- und sicherheitstechnisch ist der Opel auch dank einer reaktionsschnellen Snapdragon-Architektur des Entwicklungspartners Qualcomm mehr als nur auf der Höhe der Zeit.
Hinter dem Lenkrad liefern ein zehn Zoll großes Digitaldisplay sowie – optional – ein Head-Up-Display dem Fahrer alle Informationen, um sich auch auf unbekanntem Terrain jederzeit zurechtzufinden. Ohne ihn zu überfordern oder mit Augmented-Reality-Spielereien zu verwirren: Die Bedienerfreundlichkeit stand für Designer und Ingenieure an oberster Stelle. Auch deshalb gibt es noch klassische Taster und Knöpfe, um etwa die Temperatur im Innenraum oder die Lautstärke des Radios zu regeln.
170 km/h auf der Autobahn, 160 kW am Schnelllader
Und wie fährt sich der Grandland Electric? Völlig entspannt. Der 157 kW oder 213 PS starke Frontmotor, der seine volle Leistung und 345 Newtonmeter Drehmoment im Sportmodus zur Verfügung stellt, zieht nicht unbedingt die Wurst vom Brot. Er sichert aber dem 2,1 Tonnen schweren Stromer und seinen Insassen ein flottes Vorankommen. Der Grandland liegt dabei satt auf der Straße und filtert mit seinem adaptiven Fahrwerk und einer aufwendigen Mehrlenker-Konstruktion an der Hinterachse die gröbsten Unebenheiten im Asphalt heraus. Die Lenkung ist alles andere als schwammig, im Sportmodus sogar überaus direkt. Auch das gibt es nichts zu meckern. Die Höchstgeschwindigkeit setzt mit 170 km/h zwar keine Maßstäbe – aber wo und wann lassen sich auch auf deutschen Autobahnen noch höhere Tempi darstellen?
Fahrern von Elektroautos ist ohnehin die Ladegeschwindigkeit wichtiger als die Fahrgeschwindigkeit. Da liegen beim Grandland Electric am mit Gleichstrom betriebenen Schnelllader mit dem kleineren Akkus bis zu 160 kW an – der Fahrer einer GS-Ausführung mit 82 kWh-Akku muss sich aufgrund einer anderen Zellchemie mit 150 kW begnügen. Da hätten wir uns doch etwas mehr erhofft. Immerhin ist die Wärmepumpe serienmäßig und die Batterie wird bei der Annäherung an eine Ladestation vorkonditioniert, damit der Strom von Anfang an flott in den Speicher fließt.
Vollelektrisch ab 46.750 Euro
Und was kostet der vollelektrische Spaß? Los geht es bei 46.750 Euro für ein Exemplar in der Ausführung Edition, die es ausschließlich mit dem kleinen Akku gibt. Das sind nur 2.400 Euro mehr als für den Plug-in Hybrid in GS-Ausführung. Wer noch unter Reichweitenangst leidet und keinen Verbrenner mehr unter der Fronthaube rumpeln hören will, muss zum GS Electric greifen und dafür wenigstens 51.950 Euro aufwenden. Nur dann gibt es übrigens auch jenes famose Intelli-Lux-Licht, das Zulieferer Marelli nach den Vorgaben der Experten aus dem Stellantis-Konzern etwickelt haben. Für Opel, aber auch für die anderen Konzernmarken.