Es gibt so einige Mythen über Elektroautos. Ein Mythos lautet: Elektroautos sind emotionslos, machen keinen Spaß. Weil der Motor kaum zu hören ist, weil nichts lärmt und virbriert – das Auto mithin ohne Leben ist. Wer so argumentiert, hat weder schon einmal einmal einen Porsche Taycan per Launch Control aus dem Stand heraus auf Tempo 100 beschleunigt. Noch hat er die Dynamik erlebt, den selbst ein Opel Corsa Electric entwickeln kann – als Rallye-Fahrzeug. Opel hat dafür vor zwei Jahren zusammen mit dem ADAC eigens eine Rallyeserie entwickelt. Wir hatte jetzt Gelegenheit, den kleinen Stromer in seinem Element zu erleben – auf zwei Schotterpisten in Pachfurth unweit von Wien. Die Probefahrten dauerten leider keine Stunde. Aber um es vorweg zu nehmen: Es war ein großartiges, hoch emotionales Erlebnis. Trotz oder sogar wegen des Elektroantriebs.
Dabei ist der elektrische Rally-Corsa (Stückpreis: 54.900 Euro) technisch nicht weit vom Serien-Corsa: Der Synchronmotor an der Vorderachse mobilisiert bis zu 100 kW (136 PS) Leistung bei einem maximalen Drehmoment von 260 Newtonmeter. Und der Lithium-Ionen-Akku im Fahrzeugboden speichert auch nur 50 Kilowattstunden Strom wie im knapp 35.000 Euro Modell aus der Großserie.
Mit der Handbremse um die Kurve
Ok, für Rallyeeinsätze wird bei Opel das Fahrwerk ist modifiziert, auch die Bremsanlage ist an die harten Anforderungen des elektrischen Motorsports angepasst. Und Spaßbremsen wie ABS und ESP sind hier deaktiviert. Um Gewicht zu sparen, wurden zudem Rücksitzbank und die Teppichböden entfernt, dafür werden im Werk ein Überrollkäfig und ein Unterfahrschutz sowie eine Feuerlöschanlage montiert. Vor allem aber gibt es statt der elekrischen Feststellbremse wie im Serienfahrzeug eine hydraulische „Fly off“-Handbremse, in klassischer Art mit einem extra langen Hebel.
Wozu die Handbremse gut ist, demonstriert auf einer Einführungsrunde Timo Schulz. Mit vier Saisonsiegen und fünf Podestplätzen drückte der 23-jährige Saarländer 2022 der zweiten Saison des ersten elektrischen Rallye-Markenpokals seinen Stempel auf und sicherte sich mit dem vorzeitigen Titelgewinn den Aufstieg ins ADAC Opel Rally Junior Team und damit die Teilnahme an der Junior-Europameisterschaft mit einem benzingetriebenen und 212 PS starken Opel Corsa Rally4. „Auf Schotterstrecken geht es manchmal wie auf Eis dahin“, warnt er. Beim Beschleunigen müsse man da vorsichtig sein – und in engen Kurven. „Da schiebt es einen schnell über die Vorderräder in den Graben.“ Da hilft dann nur vorsichtiges Abbremsen vor der Kurve – oder ein wohldosierter Zug am Handbremshebel am Scheitelpunkt, um den Stromer herumzuwerfen.
Nach der Einführungsrunde probieren wir das gleich mal aus. Und tatsächlich lässt sich so die Geschwindigkeit auch in den Kurven deutlich besser halten – und der Fahrspaß deutlich steigern. Der kräftige Elektroantrieb schiebt den kleinen Corsa ordentlich an, läßt ihn leichtfüßig in einer riesigen Staubwolke um den Rundkurs fliegen. Mit Geschwindigkeiten um die 90 km/h, wie der kurze Blick auf den Tachometer zeigt. Entsprechend hoch fällt der Energieverbrauch aus, schrumpft die Reichweite des Elektro-Corsa: Statt für fast 400 Kilometer wie im Serien-Tritt reicht eine Akkuladung im Rally-Stromer nur für etwa 60 Kilometer.
Geladen wird mit Baustrom
Das reicht allemal, um im ADAC Electric Rally Cup alle Wertungsprüfungen zu meistern. Um auch die Streckenabschnitte dazwischen auf eigener Achse zu meistern, müssen die Fahrzeuge oft zwischendurch aufgeladen werden. Und auch das ist eine große Herausforderung, technischer wie logistischer Art. Alle 18 Rallye-Teilnehmer sollen schließlich die gleichen Bedingungen vorfinden, niemand soll durch geringere Ladeleistungen benachteiligt werden – und trotzdem sollte das regionale Stromnetz nicht in die Knie gehen, wenn alle Rallyeteilnehmer gleichzeitig laden. Bis zu zwei Megawatt können dann schon einmal durch die Leitungen rauschen.
Opel baut deshalb an jedem Veranstaltungsort mithilfe + des Ladeinfrastruktur-Spezialist eLoaded aus Neusäß bei Augsburg ein eigenes, mobiles „Charging Grad“ auf, das Baustrom und das Mittelspannungsnetz nutzt und über einen Transformator samt Zwischenspeicher Ladeleistungen von immerhin 100 kW Gleichstom bei 500 Ampere ermöglicht. Ein Rally-Corsa ist damit spätestens nach 25 Minuten fit für den nächsten Renneinsatz.
Größere Akkus, räumt Schulz ein, wären manchmal nicht schlecht. Diese würden allerdings das Fahrzeuggewicht erhöhen und damit auch die Fahrzeugkosten in die Höhe treiben. Und der Spaß für die Fahrer würde nicht wesentlich größer, dafür aber die Hemmschwelle zum Einstieg in diesen bislang einzigartigen Markenpokal-Wettbewerb. Mit einem Budget von nur etwa 60.000 Euro lässt sich hier immerhin eine gesamte Saison bestreiten. Das ist kein Vergleich zu anderen elektrischen Rennserien wie der Formel E oder der Extreme E: In der Formel E ist das Jahresbudget auf 13 Millionen Euro gedeckelt. Und die Kosten für die „Elektrische Odyssee“ rund um die Welt dürften sich in einer ähnlichen Größenordnung bewegen.
Motorgeräusch per Außenlautsprecher
Opel hingegen setzt auf Breitensport und die Begeisterung junger Fahrer für den elektrischen Motorsport, aber auch für Elektroautos insgesamt. Da wären elitäre Rennserien und hochpreisige Spezialfahrzeuge ohne einen Bezug zu den Serienprodukten eher kontraproduktiv. Gerne hätten sie deshalb in Rüsselsheim auch auf den Soundgenerator verzichtet, der über zwei kleine Außenlautsprecher drehzahlabhängige Motorengeräusche fast wie von einem Verbrenner simluliert. Auch im Stand. Aber in dem Punkt gab die Rennsportbehörde FIA die Linie vor: Schon aus Sicherheitsgründen müsse auch ein elektrischer Sportwagen akustisch von seiner Rasanz kündigen. Ganz ohne Lärm geht es offenbar doch noch nicht.
Wer die Rennserie einmal selbst erleben möchte: Die nächsten Läufe findet am 14./15. Juli im Rahmenprogramm der „Rallye Weiz“ in der Steiermark sowie am 18./19. September bei der Saarland-Pfalz Rallye in St. Wendel statt.