2023 werden die Karten neu gemischt. Auf dem deutschen Automarkt, wohlgemerkt. Durch die Neufassung der Richtlinie zur Förderung der Elektromobilität und die Absenkung des staatlichen Anteils am so genannten Umweltbonus, mit dem die Anschaffung von Elektroautos finanziell erleichtert werden soll. Aber auch durch die Offensive chinesischer Autohersteller, die uns im kommenden Jahr bevorsteht. Nachdem die ersten Versuche, im Westen Fuß zu fassen, vor zehn Jahren noch kläglich gescheitert waren, hat die neue China-Welle diesmal deutlich mehr Aussicht auf Erfolg. Nicht nur, weil die Chinesen im Unterschied zu manchen europäischen Fahrzeugherstellern offenbar geringere Probleme haben, sich mit Halbleitern und Antriebsbatterien zu versorgen. Sondern auch, weil die Autos inzwischen technisch auf der Höhe der Zeit sind und mit Fähigkeiten glänzen, die bei vielen europäischen Herstellern noch in der Entwicklung sind.

Die Katze kennt ihren Besitzer

Das neue Elektroauto beispielsweise, das der BMW-„Entwicklungs- und Produktionspartner“ Great Wall Motor ab Januar bei uns unter der Marke Ora und der Modellbezeichnung „Funky Cat“ anbietet, erkennt seinen Besitzer per Face ID und stellt dann automatisch die Sitze passend und die Klimatisierung nach dem individuellen Wohlfühl-Empfinden ein. Per Zuruf öffnet er zudem die Heckklappe oder das Glasdach. Und im Stau vertreibt er dem Fahrer die Wartezeit entweder mit launigen Spielen auf dem Zentraldisplay oder dem Abspielen seiner Lieblingsmusik je nach Stimmungslage, die von der Kamera im Innenraum ermittelt wurde. Wollen die Insassen sich später irgendwo stärken, gibt der Bordcomputer Restaurant-Empfehlungen, die auf auf die speziellen Vorlieben der Insassen abgestimmt sind. Denn der (oder die?) Funky Cat versteht sich als Freund der Familie, der einem das Leben einfacher und den Alltag bequemer machen möchte.

Große Klappe, nix dahinter
Die Heckklappe öffnet sich per Zuruf elektrisch, aber der Aufwand lohnt kaum: Im Heckabteil lassen sich maximal 228 Liter verstauen. Das ist MINI-Format. Eine hohe Ladekante gibt es obendrein.
Große Klappe, nix dahinter
Die Heckklappe öffnet sich per Zuruf elektrisch, aber der Aufwand lohnt kaum: Im Heckabteil lassen sich maximal 228 Liter verstauen. Das ist MINI-Format. Eine hohe Ladekante gibt es obendrein.

Ältere Semester mögen dergleichen als Kindereien abtun, aber bei der Generation Z kommt das angeblich gut an. Nicht nur in China. Zumindest bei denen, die nicht mit Lebensmitteln auf Kunstwerke werfen oder sich mit Pattex an den Asphalt kleben, um damit den Klimawandel aufzuhalten.

Die 4,25 Meter lange Elektro-Katze weiß sich aber noch durch andere Annehmlichkeiten bei ihren Besitzern einzuschmeicheln, wie wir bei einer ersten Begegnung mit einem Modell in sportlicher GT-Ausführung feststellen konnten. Mit einem gefälligen Exterieur-Design, aber auch mit einem großzügigen Platzangebot und einer gefälligen Gestaltung und Auskleidung des Innenraums. Oder, ganz praktisch, mit zwei Flächen, auf denen sich das Smartphone induktiv laden lässt und mit soliden Türgriffen.

Bis zu 420 Kilometer Reichweite

Die Kippschalter auf der Mittelkonsole erinnern nicht zufällig an die im Mini Cooper: Zwischen den Designern von BMW und Ora gibt es derzeit eine intensive Zusammenarbeit. Schließlich wird die Elektro-Version des Mini Cooper in der nächsten Generation bei Great Wall Motor in China gebaut und (Psst!) die LEMON Pure genannte Plattform des Ora Funky Cat nutzen.

Schon deshalb lohnt auch der Blick auf die technischen Daten des kompakten Fronttrieblers. Ein permanenterregter Synchronmotor mit einer Antriebsleistung von 126 kW oder 171 PS und einem maximalen Drehmoment von 250 Newtonmetern sorgen bis zur Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h für ordentlichen Vortrieb, Scheibenbremsen mit (in der GT-Version) rotlackierten Bremssätteln für ordentliche Verzögerung. Die Rekuperation kann in drei Stärken gewählt werden, den Lithium-Eisenphosphat-Akku gibt es in zwei Baugrößen mit Netto-Kapazitäten von 45,4 und 59,3 Kilowattstunden (kWh). Bei Durchschnittsverbräuchen um die 16,5 kWh/100 km sollen sich damit Reichweiten von 310 bzw. 420 Kilometer darstellen lassen, je nach Akkugröße und Schwere des rechten Fahrfußes.

Einladendes Angebot 
Der Radstand von 2,65 Metern lässt den Insassen der/des Funky Cat viel Fuß- und Knieraum. Und die Sitze sind auch bequem.
Einladendes Angebot
Der Radstand von 2,65 Metern lässt den Insassen der/des Funky Cat viel Fuß- und Knieraum. Und die Sitze sind auch bequem.

Damit sollte sich die Katze nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land wohlfühlen. Wer längere Touren unternehmen möchte und dabei auf öffentliche Schnellladestationen setzt, könnte allerdings das eine oder andere Mal fluchen. Nicht nur über die in einem Land mit Rechtsverkehr unpraktische Positionierung der Ladeklappe vorne links, sondern über die geringe Ladeleistung: Gleichstrom nimmt der Ora mit maximal 67 kW auf. Wer den Akku unterwegs weitgehend leerfährt, wird sich also auf Ladepausen von etwa einer Stunde einstellen müssen. Da sind die europäischen Anbieter inzwischen deutlich weiter, mit maximalen Ladeleistungen bei Fahrzeugen dieser Kategorie zwischen 130 und 170 kW. Immerhin: An der heimischen Wallbox fließt der Wechselstrom dreiphasig mit bis zu 11 kW in den Speicher im Fahrzeugboden.

Kleiner Kofferraum

Und wo wir gerade schon am Meckern sind: So großzügig das Platzangebot für die Passagiere ist, so mickrig ist der Kofferraum mit einem Fassungsvermögen von nur 228 Litern – und so hoch die Ladekante. Es gibt zwar einen doppelten Boden im Gepäckabteil, aber für ein Typ-2-Kabel von fünf Metern Länge ist da ebenso wenig Platz wie unter der Fronthaube: Da werkeln allein der Motor und die Systeme für das Energiemanagement. Aber Chinesen sind bekanntlich lernfähig und reaktionsschnell – vielleicht tut sich ja bei Stauraum und Ladeleistung ja noch etwas. Und ein, zwei Kleiderhaken wären auch nicht schlecht. Natürlich nicht mehr zur Markteinführung im Januar, aber bis zur ersten Modellpflege.

Neue Sachlichkeit
Das Cockpit des Ora Funky Cat ist im Stil der Zeit minimalistisch gestaltet. Die meisten Funktionen lassen sich ohnehin mit Sprachbefehlen steuern – da braucht es nicht viele Tasten. Fotos: Ora

Geordert werden kann der/die Funky Cat in sechs Farben und fünf Ausstattungsversionen ab sofort bei den 140 Ora-Händlern, die bislang von der Emil-Frey-Gruppe für die neu gegründete O! Automobile GmbH gewonnen wurden. In den kommenden Monaten soll das Vertriebs- und Servicenetz in Deutschland auf 200 Betriebe anwachsen – kurze Wege zum nächsten Ora-Partner sind also garantiert. Womit wir bei der Frage, die Ihnen alle gerade unter den Nägeln brennt: Was kostet der Spaß denn nun?

Alles andere als ein Billigheimer

In der aktuellen BAFA-Liste der förderfähigen Elektroautos ist der Ora noch nicht aufgeführt, auch von der deutschen Vertriebsorganisation gibt es noch keine Preisliste. Eine gewisse Orientierung bieten allerdings die Verkaufspreise in Großbritannien. Dort wird eine gut ausgestattete „First Edition“ der Funky Cat bereits angeboten – mit dem kleinen Akku für 31.995 Pfund Sterling, also umgerechnet 37.184 Euro. Und der Preis für die GT-Version, in der wir probesitzen durften, soll gar bei 45.000 Euro liegen. Was deutlich macht: Als Billiganbieter verstehen sich die chinesischen Autobauer längst nicht mehr. Ora soll wie etwa NIO eher im Premiumsegment angesiedelt werden. Entsprechend vorsichtig sind die Absatzziele von O! Automobile: Lediglich 6000 Autos sollen im ersten Jahr in Deutschland abgesetzt werden. Das sollte zu schaffen sein.

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