Katzen gehen eigentlich immer. Zumindest in den sozialen Medien ist Katzen-Content sehr beliebt. Ein dicklicher Kater aus Japan musste nur ein wenig mit dem Schwanz wedeln, um auf Youtube weltweit fast zwei Millionen Zuschauer zu finden und 11.000 Likes zu generieren. „Grumpy Cat“, eine stets miesgelaunt aussehenden Katze aus den USA, hat auf X, dem früheren Twitter, sogar 1,5 Millionen Follower und ihre Besitzerin durch den Verkauf von Merchandising-Artikeln zur Millionärin gemacht.
Insofern sollte es sich Great Wall Motor (GWM) vielleicht noch einmal überlegen mit der geplanten Umbenennung der „Funky Cat“, dem Einstiegsmodell der Chinesen auf dem europäischen Markt. Nach der neuen Markenstrategie von GMW soll der kompakte Stromer hierzulande künftig unter der eher nüchternen Modellbezeichnung Ora 03 vermarktet werden. Das numerische Namenssystemsoll die Unterscheidung zwischen den Modellen von Ora (und der Schwestermarke Wey) erleichtern: Je größer die Ziffer, desto größer das Fahrzeug. Nach einem ähnlichen Prinzip haben auch Volkswagen, Tesla und BMW ihre Modellpalette strukturiert.

Mit der beige-roten Innenausstattung und dem großen Panoramadach macht der Ora Funky Cat einen fast schon luxuriösen Eindruck. Für das Platzangebot und den Kofferraum gilt das allerdings nur eingeschränkt.
Mal schauen, wie sich die Umbenennung auf die Verkaufszahlen auswirken wird: Im abgelaufenen Jahr hat es es für den Importeur, die Emil-Frey-Gruppe, eigentlich ganz gut angelassen: Mit 4202 Zulassungen zählte die „flippige Katze“ 2023 nach den Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes zu den meistverkauften Elektroautos aus China in Deutschland. Und das bei Preisen, die das Fahrzeug mit Beträgen zwischen 38.990 und 49.490 Euro nicht unbedingt in die Kategorie Sonderangebot einsortieren.
Teure Luxus-Katze
Für unser Testobjekt, einen zweifarbig lackierten und mit Kunstleder ausgekleideten Ora Funky Cat 400 Pro+ mit einer Antriebsleistung von 126 kW oder 171 PS sowie einem Lithium-Ionen-Akku mit einer Speicherkapazität von netto 59,3 kWh müssten wir heute immerhin 48.780 Euro auf den Tisch blättern – nach dem Ende des Umweltbonus immerhin 6750 Euro mehr als bei einer Zulassung im Spätherbst 2023. Für den Preis gäbe es auch ein Model Y von Tesla (44.890 Euro) oder den jüngst aufgefrischten VW ID.4 Pro (46.335 Euro) – zwei Fahrzeuge mit einem deutlich größeren Platzangebot und einer um 100 Kilometer größeren Reichweite.

Der Ora 03, wie die Funky Cat mittlerweile heißt, ist alles andere als ein Sonderangebot. Da ist der Ladepark von Mercedes-Benz in Mannheim auf dem Weg nach Süden eigentlich die perfekte Adresse, um den Akku neu zu befüllen.
Dafür punktet der Ora 03 mit einem edel ausgekleideten Innenraum, mit einem (kunst-)belederten Armaturenträger und Sitzbezügen in Kreuzstepp-Optik, es gibt serienmäßig eine Wärmepumpe und ein großes Panoramadach, das sich auch noch öffnen lässt. Nicht einfach per Knopfdruck, sondern per Zuruf.
„Hey Charly“ (auf den Namen gehorchte unsere Test-Katze) – „öffne das Dach“ – und schon kam frischer Wind in die gute Stube. Auch die Klimaanlage („Mir ist kalt“), die Sitzheizung und -ventilation, die elektrische Heckklappe („Öffne den Kofferraum!“ sowie das Radio („Umschalten auf WDR2“) lässt sich per Sprachbefehl regeln. Angeblich auch das Navigationssystem. Hier hatten wir allerdings während des Tests mit einigen Verständigungsproblemen zu kämpfen: Deutsche Städte- und Straßennamen sind dem Chinesen noch nicht so geläufig. Aber das Problem wird sich mit dem nächsten oder übernächsten Software-Update sicher legen.
Betreutes Ora-Fahren nervt
Der Ora 03, das merken wir schnell, will mehr sein als nur ein gut funktionierendes Elektroauto für den Regionalverkehr. Ähnlich wie etwa ein Mini Cooper – mit dem es sich künftig die Plattform teilt – zielt es auf eine Käufergruppe, der das gewisse Extra durchaus ein paar Euro mehr wert ist. Das fängt beim Design an, das GWM mit „Retro-Futurism“ umschreibt und auf den Spuren von Fiat Punto (Heck) und VW Käfer (Front) wandelt. Es reicht hin bis zu einer intensiven Fahrer-Fürsorge durch ein Heer von Assistenz- und Überwachungssystemen.
Die Katze mit ihren Kulleraugen hat Frauchen und Herrchen per Kamera ständig im Blick und warnt sie nachdrücklich und mit gouvernantenhaftem Ton („Seien Sie nicht geistesabwesend“), sobald sich irgendwelche Risiken bei Leib und Leben abzeichnen. Sei es, dass das Auto zwei km/h schneller fährt als erlaubt („Sie überschreiten das Tempolimit“) oder der Blick des Fahrers statt auf die Fahrbahn für eine Weile auf das Zentraldisplay gerichtet ist – um hier in Untermenüs die verschiedenen Systeme für das betreute Fahren zu deaktivieren.

Mit einer Vielzahl von Systemen sorgt der Ora für gesetzeskonformes Verhalten des Fahrers. Die Deaktivierung der Technik ist möglich. Sie braucht Zeit – und sollte deshalb nur erfolgen, wenn das Auto steht.
Ora spricht von neuen Selbst- und Fahrerfahrungen, preist seine Katze als „Car-panion“ an, als automobilen Verbündeten, Gefährten, Freund und Vertrauten für ein vornehmlich jüngeres Publikum – was man halt so macht, wenn man als Newcomer versuchen muss, eine Marktnische zu finden.
Maximal 85 kW am Schnelllader sind ein Witz
Statt dessen hätten sich die Entwickler aber besser mal mehr Zeit und Geld darauf verwendet, die Fahrzeugtechnik an verschiedenen Stellen zu verfeinern. Die elektrische Servolenkung ist alles andere als zackig – das kriegen die Kollegen beim neuen Mini hoffentlich besser hin. Und die Abstimmung des Fahrwerks erfolgte wohl überwiegend auf der Autobahn oder frisch asphaltierten Pisten. Denn sobald es holprig wird, ist es im Innenraum mit dem gemütlichen Dahingleiten dahin.
Hinzu kommt: Das Kofferraumvolumen ist für ein Auto von 4,23 Metern Länge ausgesprochen mickrig: Gerade einmal 228 Liter passen ins Gepäckabteil bei voller Bestuhlung. In den gleich langen ID.3 von Volkswagen passen 160 Liter mehr! Und der Stromer verfügt auch über keinen Heckwischer – den haben sich die Chinesen erspart.

Eine Stunde dauerte die Ladepause im Schneetreiben, weil kaum mehr als 50 kW flossen. So macht stromern keinen Spaß.
Wünschen würde man sich aber vor allem eine höhere Ladegeschwindigkeit. Nicht beim Beladen des Kofferraums, sondern beim Laden des Antriebsakkus. Eine Ladeleistung von 11 kW an der Wallbox ist ganz ok. Aber maximal 67 Kilowatt an einer mit Gleichstrom betriebenen Schnellladesäule sind bei einem Elektroauto mit einem brutto 63,1 kWh großen Stromspeicher definitiv zu wenig. Zumal bei winterlichen Temperaturen der Strom meist noch langsamer läuft: Im Schnitt flossen bei unseren Ladepausen nur etwa 35 kW mit kurzen Ausreißern Richtung 50 kW.
„Funky Cat“ mit hohem Energieverbrauch
Wer auf der abendlichen Heimfahrt im Schneetreiben eine Stunde an einem Schnelllader verweilen muss, um genügend Energie für die zweite Etappe aufzunehmen, verflucht seinen Car-panion so heftig, dass „Charly“ Mühe hat, die richtigen Worte zu finden. Und das kann auf längeren Strecken durchaus häufiger passieren. Denn trotz seiner windschlüpfigen Gestalt ist der Ora kein Stromsparmodell: Verbräuche unter 22 kWh/100 km sind im Alltagsverkehr nur schwerlich zu erreichen, wenn um die Autobahn nicht ein großer Bogen gemacht wird oder dort der Windschatten eines Lastzugs gesucht wird. Reichweiten von bis zu 420 Kilometern, die im Verkaufsprospekt genannt werden, bleiben ansonsten illusorisch.

Das Colour & Trim-Team versteht sein Handwerk. Die Oberflächen im Innenraum des Ora 03 machen einen hochwertigen Eindruck. Auch ist die Verarbeitungsqualität auf einem hohen Niveau. Das alles schmeichelt dem Auge des Betrachters.
Alles in allem hinterlässt das zweiwöchige Gastspiel des Ora 03 einen eher zwiespältigen Eindruck. Optik und Haptik, also die äußeren Werte, sorgen für Wohlgefallen. Aber die inneren Werte sind noch nicht da, wo man sie bei einem Elektroauto dieser Preisklasse heute erwarten kann. Mit einem Wort: Die flippige Katze braucht von ihren Züchtern noch einiges an Streicheleinheiten und Fellpflege, damit auch der Besitzer wohlig schnurren kann. Mit einem neuen Namen ist es nicht getan.