Oliver Blume ist nicht zu beneiden. Ab September muss er sich nicht nicht nur um Porsche und den Börsengang des Sportwagenherstellers kümmern. Der 54-jährige ist obendrein auch noch als eine Art „Tatortreiniger“ gefordert: Als neuer Vorsitzender des Volkswagen-Konzerns soll er in Wolfsburg aus den Scherben, die sein Vorgänger und „Möchtegern-Musk“ (Die ZEIT) Herbert Diess hinterlassen hat, eine neue, ebenso kraftvolle wie zukunftsfähige Einheit formen. Mit neuem Teamgeist, einem verkleinerten Vorstand – und frischem Blick auf die Herausforderungen der Elektromobilität.
Technische Daten
Porsche Taycan GTS
Allradantrieb, Systemleistung 380 kW (517 PS), mit Overboost 440 kW (598 PS);
Akku-Kapazität: 88,7 kWh (Netto); maximale Ladeleistung DC: 270 kW;
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h, Reichweite 385-625 km (je nach Fahrprofil);
Leergewicht: 2295 kg, zul. Gesamtgewicht: 2.850 kg;
Listenpreis: 131.834 Euro, Testwagenpreis: 179.488 Euro
Blumes Aktivitäten in den kommenden Monaten werden aufmerksam verfolgt werden. Nicht nur von den Mitgliedern des VW-Aufsichtsrates, sondern auch von so einigen, die nach dem Chefwechsel einen Schlingerkurs bei der Antriebswende befürchten. Immerhin hat sich der Porsche-Chef für grüne, synthetische Kraftstoffe stark gemacht und Millionen in eine Pilotanlage zur Produktion von E-Fuels in Chile investiert. Obwohl längst bewiesen sei, kritisieren die Akku-Absolutisten, dass nur das batterieelektrische Auto das Weltklima retten kann und die Forschung an Alternativen etwa auf Wasserstoff-Basis „pure Zeitverschwendung“ (Diess) ist und gefälligst zu unterbleiben hat.
Gemach, gemach. Auch bei Porsche hat die Elektromobilität einen festen Platz, ist die Antriebswende unumkehrbar. Schon 2030 sollen hier über 80 Prozent aller ausgelieferten Modelle zumindest teilweise elektrifiziert sein. CO2-neutrale E-Fuels sind nur als Ergänzung vorgesehen – als Kraftstoff für die Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die längst ausgeliefert sind und in den kommenden Jahren noch ausgeliefert werden. Das Gros der Autos wird jedoch künftig eine Batterie an Bord haben. Der neue Macan sollte schon im kommenden Jahr als Stromer angeboten werden – wegen Problemen mit der bei VW entwickelten Software musste die Modelleinführung allerdings auf 2024 verschoben werden. Boxster und Cayman werden kurz darauf elektrisch, sogar die nächste Generation des SUV Cayenne.
„Mission E“ ist in vollem Gange
Der Erfolg des Taycan, der aktuellen Speerspitze der Elektrostrategie von Porsche, gibt den Strategen in Zuffenhausen – und Blume, der das Programm „Mission E“ 2018 angestoßen hatte – recht: Die Baureihe hat sich mit über 20.000 verkauften Exemplaren längst zum Bestseller entwickelt. Auch weil der fünftürige Stromer in Porsche-typischer Manier mittlerweile in einer ganzen Reihe von Varianten, mit unterschiedlichen Antriebsstarken und Karosserieformen angeboten wird, mit Allradantrieb, als Fließheck-Limousine, als Sport- und Cross Turismo, zu Basispreisen zwischen 88.400 und 191.100 Euro.
Unser kreideweißer Testwagen liegt da im oberen Mittelfeld, als 440 kW (517 PS) starker und nominell 131.834 Euro teurer Taycan GTS. Eine ganze Reihe teuer Zusatzausstattungen (Hinterachslenkung, Keramikbremsen Volllederausstattung und Assistenzpaket) hieven ihn auf einen Listenpreis von 179.487 Euro – auch das ist typisch Porsche. Für die Fahrleistungen gilt es allemal. Eine Beschleunigung von 0 auf 100 in 3,7 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h erfüllen allemal die Erwartungen an einen Sportwagen made in Zuffenhausen und entwickelt in Weissach.
Aber auch in den wichtigsten Wertungsklassen der Elektromobilität positioniert sich der Taycan im aktuellen Spitzenfeld. Die Batterie speichert 93,4 Kilowattstunden Strom, von denen 88,7 KWh für den Fahrbetrieb zur Verfügung stehen. Und mit einer maximalen Ladeleistung von 270 kW am HighPowerCharger lässt der Porsche auch ein Tesla Model S hinter sich. Und das sind nicht nur Prospektwerte, wie unsere Erfahrungen mit dem Taycan GTS im Alltagsbetrieb zeigen.
Taycan GTS glänzt mit vielen Finessen
Der Taycan GTS, man kann es nicht anders formulieren, ist ein echter Traumwagen. Mit spektakulären Fahrleistungen, einer ordentlichen Reichweite zwischen 350 und 500 Kilometern – je nachdem, wie sehr den Fahrer der Pfeffer juckt. Vor allem aber mit einer intelligenten Routenplanung, die ihresgleichen sucht. Dabei hatte unser Testwagen noch nicht einmal das jüngste Software „uPDate“ an Bord, das Porsche den Fahrzeugen des Modelljahres 2023 spendiert und dem Antrieb etwa durch die Reduzierung von Schleppverlusten und eine verbesserte Rekuperationsstrategie weitere Effizienzsteigerungen beschert. Wir kamen auch dank des „Intelligent Range Managers“ (Aufpreis: 286 Euro) im Schnitt mit einem Stromverbrauch zwischen 22 und 25 kWh/100km über die Runden, was für ein 2,3 Tonnen schweres Elektroauto dieser Leistungsklasse schon eine gute Ansage ist.
Und an den Ladesäulen standen wir nie länger als 20 Minuten, oft sogar nur knapp zehn Minuten. Denn wenn der Taycan das Ziel der Reise kennt, weiß er die Etappen sehr genau einzuteilen – in Kenntnis der Verfügbarkeit der Ladesäulen unterwegs und der maximalen Ladeleistung dort. Das Studium weiterer Lade-Apps auf dem Smartphone kann sich der Fahrer hier getrost ersparen.
Es braucht allerdings einige Zeit, um sich mit all den technischen Finessen des Autos vertraut zu machen. Klar, die wichtigsten Funktionen erklären sich von selbst. Aber in den Tiefen der Untermenüs stecken Möglichkeiten zur Individualisierung des Fahrzeugs, die erst erkundet sein wollen. Den synthetischen Motorensound haben wir auf diese Weise gleich abgeschaltet – ohne künstlichen Krawall reist es sich viel entspannter.
Porsche-typische Eigenschaften
Die Fahrwerksabstimmung ist exzellent, das Lenk- und Bremsverhalten so, wie man es von einem Porsche kennt und erwartet: Auf den Punkt, direkt und verlässlich. Der Taycan liegt wie das sprichwörtliche Brett auf der Fahrbahn und lässt sich dank Wankstabilisierung auch in schnellen Kurven nicht aus der Ruhe bringen. Schon gar nicht durch die „Launch Control“, den raketengleichen Ampelstart. Ja, den mussten wir natürlich auf Drängen des Beifahrers auch ausprobieren – und hätten uns dabei fast ein Schleudertrauma eingefangen, weil der Kopf dabei recht heftig nach hinten gegen die Kopfstütze flog.
Man spürt an allen Ecken: Dieses Elektroauto ist von Experten einer sportlichen Fortbewegung konstruiert worden. Aber auch mit viel, viel Liebe zum Detail. Das gilt auch für die Materialauswahl im Innenraum und die Verarbeitung – zumindest ein wenig davon würden wir gerne nach der bevorstehenden Modellpflege auch im ID.3 von VW sehen. Und noch mehr davon natürlich im neuen Elektro-Macan. So es denn Blume gelingt, die Software-Probleme des Konzerns zu lösen und die Produktion ans Laufen zu bringen. Der Taycan zeichnet den Weg vor – nicht nur für Porsche, sondern für alle Marken des Konzerns.
„Den synthetischen Motorensound haben wir auf diese Weise gleich abgeschaltet“, diesen Satz lese ich in so gut wie jedem Testbericht oder in ähnlicher Form auch in den meisten Kommentaren. Wann merken die Hersteller das endlich und lassen diesen Unsinn einfach weg?