Das erste Auto, das Ferdinand Porsche konstruierte und auch auf die Straße brachte, war ein Elektromobil. Präsentiert wurde es im April des Jahres 1900 auf der Weltausstellung in Paris. Ein Journalist aus Berlin erkannte schnell die Besonderheit des „epochemachenden elektrischen Wagensystems“: Der von der Firma Jacob Lohner & Co aus Österreich präsentierte „transmissionslose“ Motorwagen kam ganz ohne Zahnräder, Riemen oder Ketten aus, da die Elektromotoren direkt in die Naben der Vorderräder eingebaut worden waren.
Porsches Radnabenmotor leistete damals 2,5 PS bei 120 Umdrehungen pro Minute und einem Wirkungsgrad von 83 Prozent. Für eine Viertelstunde war sogar eine Spitzenleistung von 7 PS drin. Der hohe Wirkungsgrad erlaubte es zudem, das Fahrzeug leichter auszuführen als eines mit elektrisch angetriebenen Achse. So reichte ein 44-zelliger Akkumulator mit 300 Amperestunden Kapazität und 80 Volt Spannung aus, um den Lohner-Porsche 50 Kilometer weit fahren zu lassen.
Das radikal neue Antriebskonzept begeisterte das Pariser Publikum, bescherte Lohner eine Goldmedaille – und machte den damals erst 25-jährigen Ferdinand Porsche über Nacht berühmt. Lkw und Busse, Feuerwehrwagen und auch schwere Zugmaschinen für militärische Einsätze wurden in den folgenden Jahren mit Porsches patentierten Radnabenmotoren gebaut. Aber ein Verkaufsschlager wurde keines der Elektrofahrzeuge: Aufgrund der eingeschränkten Reichweite und der langen Verweildauer an den (wenigen) Ladestationen verloren die Stromer schnell die Gunst des Publikums, mussten sie die Konkurrenten mit Verbrennungsmotor vorbei ziehen lassen.
Elektromotor und Scheibenbremse als Einheit
Doch jetzt, 125 Jahre später, könnte der Radnabenmotor eine Renaissance erleben. Dass Otto- und Dieselmotoren mit ihren hohen Emissionen und geringen Wirkungsgraden kaum mehr mit Umwelt- und Klimaschutz in Einklang zu bringen sind, hat inzwischen anerkannt. Die Zukunft fährt elektrisch – und da eröffnen Radnabenmotoren aufgrund ihres geringeren Gewichts und ihrer kompakten Bauweise zahlreiche Möglichkeiten, das Gesamtsystem Elektromobil weiter zu verbessern.
Gorazd Gotovac, der Technikchef CTO des slowenischen Autozulieferers Elaphe Propulsion Technologies aus Ljubljana kriegt beim Stichwort Lohner-Porsche jedenfalls glänzende Augen. Das Fahrzeug und seine Geschichte kennt der promovierte Elektrotechnik-Ingenieur bestens. Denn mit Radnaben-Motoren beschäftigt er sich schon seit über fünf Jahren Jahren. Das Ergebnis präsentierte er kürzlich während der Tech-Messe CES auf dem Stand von Italdesign: Den weltweit ersten, direkt angetriebenen Radnabenmotor Sonic.1, der samt Hochleistungsbremsen in eine 21 Zoll große Felge integrierbar ist. An dem Vorderrad eines Sportwagens kann er eine Dauerleistung von 221 kW und eine Spitzenleistung von 255 kW mobilisieren, an der Hinterachse noch deutlich mehr.
Volles Drehmoment in vier Millisekunden
Ein allradgetriebener Supersportwagen könnte damit eine Gesamtleistung von einem Megawatt oder 1360 PS auf die Straße bringen, wobei das maximale Drehmoment von 1700 Newtonmetern schon nach vier Millisekunden anliegen würde. Das von Elaphe selbst entwickelte Traktionskontrollsystem ermögliche eine bis zu 10 Prozent schnellere Beschleunigung, um 15 Prozent kürzere Bremswege und eine bis zu 15 Prozent höhere Querbeschleunigung eines Fahrzeugs mit Torque Vectoring im Vergleich zu herkömmlichen Elektroantrieben, bei denen ein Motor auf die Achsen wirkt, werben die Entwickler. Zudem sei das Gesamtsystem um einige Kilogramm leichter und effizienter.
Der Antrieb des Lohner-Porsche sei seinerzeit viel zu schwer und zu schwach gewesen, erklärt Gotovac auf die Frage von EDISON, warum sich der Radnabenmotor bis heute nicht durchgesetzt habe. Auch habe das Problem der Steuerung der Energieströme seinerzeit die Ingenieure überfordert. Erst mit den heutigen 800 Volt Siliziumkarbid-Wechselrichtern – die Elaphe vom Formel-E-Ausrüster McLaren Applied bezieht – sei es möglich, die Kräfte so zu bändigen, dass die Reifen nicht bei jeder Beschleunigung in Rauch aufgehen. „Noch in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als man sich bei Elaphe erstmals mit dem Radnabenmotor beschäftigte, beherrschte man das noch nicht“, erklärt Gotovac.
Erste Anwendung im Hybridauto
Der Radnabenmotor biete nach Ansicht des jungen Ingenieur indes eine Vielzahl von Vorteilen, in Batterieautos, aber auch in Fahrzeugen mit Hybridantrieb, da er sehr leicht in bestehe Plattformen integriert werden könne. „Gerade in Hybridautos spart das eine Menge Kosten“ – auch wenn die Motoren selbst aktuell geringfügig teurer sind. Na klar, statt einer E-Maschine an der Achse sitzen dann zwei in den Rädern. 2027, verspricht Gotovac, werde man den Sonic.1-Radnabenmotor erstmals als Frontantrieb bei einem in Kleinserien produzierten Pkw mit Hybridantrieb erleben können. Den Namen des Fahrzeugherstellers mochte er allerdings noch nicht preisgeben.
Und er ist davon überzeugt, dass sich die Technologie durchsetzen wird, ab etwa 2029 auch bei reinen Batterieautos: „Die Elektroantriebe herkömmlicher Machart bieten den Fahrzeugherstellern zu wenig Möglichkeiten zur Differenzierung vom Wettbewerb, sie sind zu teuer, ineffizient – und bietet zu wenig Fahrspaß.“ Zudem gebe der Radnabenmotor Autodesignern und Ingenieuren Freiheiten, Plattformen und Fahrwerke ganz neu auszulegen.
Donut Lab legt Antrieb in die Felge
Und mit der Ansicht steht der Elaphe-CTO nicht allein. Auf der CES präsentierte mit Donut Lab aus Finnland ein zweites Start-up einen elektrischen Radnabenmotor. Sogar eine ganze Familie von fünf Motoren unterschiedlicher Leistungsfähigkeit für unterschiedlichste Anwendungen, in Pkw und Lkw, an Motorrädern – aber auch Spezialfahrzeugen der Rüstungsindustrie für Einsätze an Land und in der Luft.
„Herkömmliche Antriebssysteme haben Elektroautos nicht nur teuer gemacht, sondern auch das Fahrzeuggewicht erhöht und die Komplexität des Gesamtsystems erhöht“, kritisierte Marko Lehtimäki im Gespräch mit EDISON die Fokussierung der Autoindustrie auf elektrische Achsantriebe. Ein direkt ins Rad – hier in die Felge – integrierter Donut-Motor hingegen machen die Technik zur Kraftübertragung komplett überflüssig. Elektroautos würden darüber nicht nur leichter, sondern auch preiswerter und weniger komplex. „Unsere Motoren sind nicht nur ungewöhnlich leicht. Sie verfügen auch über die höchste Leistungsdichte weltweit, wodurch deutlich mehr Leistung und Drehmoment auf kleinerem Bauraum untergebracht werden können, ohne dass das Fahrzeuggewicht leidet.“
Tatsächlich sind die Felgenmotoren aus dem hohen Norden wahre Kraftpakete. Der in Las Vegas vorgestellte Pkw-Motor für die Integration in ein 21 Zoll großes Rad kann bei einem Gewicht von nur 40 Kilogramm bis zu 630 kW Leistung bei einem maximalen Drehmoment von 4300 Newtonmetern mobilisieren. Die 21 Kilogramm schwere Antriebseinheit für Motorräder mit einem 17-Zoll großen Rad ist für eine Spitzenleistung von 150 kW und ein maximales Drehmoment von 1200 Newtonmeter ausgelegt. Eine 12-Zoll-Version für E-Scooter hievt sogar nur acht Kilogramm auf die Waage. Noch kleiner und leichter ist ein „Minidonut“ genannter Antrieb für Einsätze etwa in elektrischen Kampfdrohnen: Bei einem Durchmesser von nur 120 Millimetern und einem Gewicht von 1,5 Kilogramm leistet die Maschine 3 kW bei 20 Newtonmeter Drehmoment.
Ungefederte Massen kein Problem mehr
Gegen Radnabenmotoren wurde in der Vergangenheit oft ins Feld geführt, dass sie die ungefederten Massen erhöhen und damit die Beanspruchung der Räder erhöhen und den Fahrkomfort reduzieren. Für Lehtimäki hält das Problem bei seinen Donut-Motoren für gelöst: „Durch das hohe Drehmoment und die Leistungsdichte kann das relative Gewicht des Motors so gering ausfallen, dass das Problem der ungefederten Massen zum ersten Mal irrelevant sei.
Bereits zum Einsatz kommt der patentierte Donut-Motor bereits seit zwei Jahren Jahr beim finnischen Elektromotorrad-Hersteller Verge in die Maschinen der Typ TS Pro und Ultra. Die eine verfügt über eine Leistung von 102 kW und ein maximales Drehmoment von 100 Newtonmeter, die andere ist 150 kW stark und bringt bis zu 1200 Newtonmeter auf das Hinterrad. Die Begeisterung der ersten Käufer des Super-E-Bike hält sich allerdings in Grenzen: Beklagt werden unter anderem „klackernde“ Motorengeräusche.