Nur keine Hektik. Sollen die anderen ruhig den Trends hinterher hecheln und Jagd auf die Zukunft machen. Ein Range Rover lässt sich nicht hetzen. Denn auch wenn die Mutter aller Luxus-Geländewagen in mittlerweile 55 Jahren reichlich Konkurrenz bekommen hat, wähnen sich die Briten weiter über den Dingen und leben wie es sich für den Adel gebührt in ihrer eigenen Zeit – egal ob im Schloss oder auf der Straße. Doch weil – wo sollten sie das besser wissen als im Vereinigten Königreich – auch die Monarchie nicht vom Wandel gefeit ist, flirten sie jetzt mit reichlich Verspätung ebenfalls mit der Elektromobilität und ersetzen beim Flaggschiff der Land Rover-Palette bald den Benzintank durch einen Batteriepack.

Am Polarkreis herrscht noch Winter. Auf Eis und kann der vollelektrische Range Rover zeigen, ob er seine Kräfte auch dosieren kann.
Zwar kommt der erste voll elektrische Land Rover erst zum Jahreswechsel auf den Markt. Doch weil Bentley, Rolls-Royce oder Aston Martin noch langsamer sind und ein BMW iX, ein Mercedes EQS SUV oder ein Audi Q8 e-tron nicht wirklich als Konkurrenten zählen, haben sich die Briten jetzt bei der Entwicklung schon mal über die Schulter schauen lassen.
Fast schon erschreckend dynamisch
Viel zu sehen gibt es dabei zwar nicht. Denn weil der Elektroantrieb neben Benziner, Diesel und Plug-in-Hybrid nur eine von vier Alternativen ist, nutzen sie die Plattform und die Karosserie weiter. Es sind nur ein paar aerodynamische Finessen, die den Unterschied machen. Und auch zu hören ist nichts, weil der elektrische Range gar vollends zum leisen Riesen wird und nun fast völlig geräuschlos durch die schwedische Winterlandschaft gleitet und so gar vollends zum Souverän wird.

Thomas Müller (l.) hat seit 2022 die Verantwortung für die technische Entwicklung aller Fahrzeuge von Land Rover und Jaguar. Der ehemalige Volkswagen-Ingenieur hat sich viel Mühe gegeben, die Kräfte des Luxusstromers zu bändigen. Bilder: Land Rover
Aber dafür ist umso mehr zu spüren – zumindest auf der Straße. Schließlich entwickeln die beiden E-Maschinen zusammen 405 kW oder 550 PS sowie 850 Nm Drehmoment und damit mehr Nachdruck als alle anderen Range Rover-Derivate diesseits des Sportmodells S.
Und man muss nur mal neben Entwicklungschef Thomas Müller auf Testfahrt gehen, dann kann man ein Lied von den Kräften singen, die den Koloss fast schon erschrecken dynamisch erscheinen lassen. Vor allem aber spürt man dabei die souveräne Mühelosigkeit, die dem Luxusliner zu eigen ist wie sonst allenfalls noch dem Rolls-Royce Spectre. Dumm nur, dass sich die Kollegen dort die Wortschöpfung „Waftability“ haben schützen lassen und die Range-Rover-Mannschaft sich deshalb mit „Effortlessnes“ begnügen muss.
Mit 800-Volt-Architektur und 117 kWh-Akku
Während die überbordende Kraft auf der Straße ein Segen ist, bringt sie Müller und seinen Dynamik-Chef Matt Becker auf Schnee, Sand oder Schotter bisweilen zum Schwitzen. Schließlich wollen die beiden nicht nur die gleichen Eckdaten für Wattiefe, Böschungswinkel oder Bodenfreiheit erreichen, sondern auch die gleiche Gelassenheit, die einen Range Rover im Gelände auszeichnet. Und da ist die fast explosive Kraftentfaltung der Elektromotoren bisweilen beinahe zu viel des Guten.

Der Range Rover Electric soll nicht nur die gleichen Eckdaten für Wattiefe, Böschungswinkel oder Bodenfreiheit erreichen, sondern auch die gleiche Gelassenheit, die einen Range Rover auch unter schwierigen Geländeverhältnissen auszeichnet.
Deshalb haben sich Müller und Becker hier oben im schwedischen Polarkreis viel Zeit gelassen und dafür den Steuergeräten Beine gemacht. Jetzt regeln sie den Kraftausbruch soweit herunter und verteilen das Drehmoment so feinfühlig zwischen allen vier Rädern, dass sich der Range Rover auch auf üblem Terrain und glatten Grund nicht aus der Ruhe bringen lässt.
Dass er dabei einen betont langen Atem beweist, liegt nicht zuletzt an der Kapazität der 800-Volt-Batterie: Obwohl sie in einer Verbrenner-Plattform gequetscht werden musste, bietet sie eine nutzbare Energiemenge von 117 kWh, mit denen im Normzyklus „sehr deutlich über 500 Kilometer“ drin sein sollen, verspricht Müller. Und weil sie sich auch beim Thermomanagement viel Mühe gegeben haben und etwa die Wärmepumpe schon ab-10 Grad arbeitet, sollen auch die Praxiswerte imponieren.
Schnelles Strom-Laden mit bis zu 350 kW
Das gilt auch fürs Laden: Denn obwohl einem Range Rover alle Eile fremd ist und die Kunden wahrscheinlich längst Herr ihrer eigenen Zeit sind, wenn sie es erst mal ans Steuer des Allrad-Adels geschafft haben, wird am Stecker nicht gebummelt: Wechselstrom zieht der Range Rover deshalb mit 22 und Gleichstrom sogar mit 350 kW.
Ja, sie haben lange warten müssen auf dieses Auto und sie werden bei Schätzpreisen weit jenseits von 150.000 Euro auf tief dafür in die Tasche greifen müssen. Und trotzdem wird der elektrische Range Rover Balsam sein auf die geschundenen Seelen anglophiler Besserverdiener. Schließlich ist er – allenfalls noch bedrängt von der Mercedes G-Klasse – der erste elektrische Edelgeländewagen und kommt damit Konkurrenten wie Bentley, Aston Martin und Rolls-Royce zuvor.
Vor allem aber beweist Land Rover mit dem elektrischen Range Rover nach der Schocktherapie der Schwestermarke Jaguar und ihrer fast schon verstörenden Studie Type 00, dass die Briten zum Neuanfang nicht immer eine Brechstange brauchen und dabei ihre Tradition über Bord werfen, sondern dass sie es auch – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – auch auf die leise Tour können.