„Autofahren nervt doch nur noch.“ Und das sagt einer, der es eigentlich besser wissen müsste. Denn Marko Pejković ist einer der besten Freunde und dienstältesten Mitarbeiter von Mate Rimac, der mit dem Nevera quasi aus dem Stand den schnellsten Elektrosportwagen der Welt gebaut und der eiligen Elite gerade den neuen Bugatti Tourbillon beschert hat.

Natürlich weiß auch Pejković, dass einen 1914 elektrische Pferdestärken im Nevera oder 445 km/h Höchstgeschwindigkeit im Bugatti über so manches Ärgernis hinweg trösten können. „Doch in der Stadt macht individuelle Mobilität nun wirklich keinen Spaß“. Und wenn es nach ihm geht, muss sich da auch bald niemand mehr durchbeißen. Denn sein Kumpel Mate hat ihn zum Chef seines jüngsten Abenteuers gemacht, das unter dem Namen „Verne“ genau wie der französische Vater der Science Fiction-Literatur dem Stadtverkehr der Zukunft Gestalt geben soll.

Refugium auf Rädern 
Mit „Verne“ will Mate Rimac das Robotaxi zur Realität und Uber & Co. überflüssig machen.
Refugium auf Rädern
Mit „Verne“ will Mate Rimac das Robotaxi zur Realität und Uber & Co. überflüssig machen.

Nur, dass es diesmal nicht 20 000 Meilen unter das Meer geht oder in 80 Tagen um die Welt. Sondern mit „Verne“ will die kroatische Antwort auf Elon Musk das Robotaxi zur Realität und Uber & Co. überflüssig machen. Und zwar nicht in ferner Zukunft, sondern quasi morgen: Schon 2026 soll sein Dienst in Zagreb starten und kurz darauf in einem knappen Dutzend weiterer Städte, vor allem in Deutschland, in Großbritannien und in den Emiraten.

Stylisher Zweisitzer statt „Toaster auf Rädern“

Über all dort soll dann eine Flotte neuartiger Vehikel durch die Stadt surren, die ihre Welt mit drei Langstrecken-Lidar-Sensoren und sechs für kurze Distanzen sowie 13 Kameras sehen und mit einer Software von Mobileye ihren eigenen Kurs finden. Und zwar bei jedem Wetter, zu jeder Tages- und Nachtzeit und sehr schnell auch im gesamten Stadtgebiet, stellt Pejković in Aussicht.

Zwar gibt es solche Projekte schon zuhauf, auch wenn bislang keines – weder Google-Tochter Waymo noch General Motors-Ableger Cruise – bislang den kommerziellen Durchbruch geschafft hat. Doch Rimac macht es – natürlich – ein bisschen anders als die anderen. Im Gegensatz zu Großserienherstellern wie VW mit Moia oder Chevrolet mit Cruise muss er kein bestehendes Basisfahrzeug umrüsten. Und anders als die meisten Zulieferer will er keinen Kleinbus für die maximale Anzahl an Menschen auf minimalem Raum, die Designer Adriano Mudri nur abschätzig „Toaster auf Rädern“ nennt.

Autopilot von Mobileye

Rimac hat das Robotaxi vielmehr auf einem weißen Blatt Papier entworfen und dabei nichts anderes im Sinn gehabt als den wirtschaftlichen Betrieb, den coolen Look und den maximalen Freiraum für höchstens zwei Passagiere. Und er vertraut dem Autopiloten seines Technologiepartners Mobileye so sehr, dass er nicht mal mehr für die Anfangsphase oder den Notfall auf Nebensächlichkeiten wie Pedale oder ein Lenkrad setzt.

Mischung aus Supersportwagen und Spaceshuttle 
Mate Rimac (r.) erläutert unserem Autor das Konzept des Robotaxis "Verne", das schon bald an den Start gehen könnte.
Mischung aus Supersportwagen und Spaceshuttle
Mate Rimac (r.) erläutert unserem Autor das Konzept des Robotaxis „Verne“, das schon bald an den Start gehen könnte.

Das Ergebnis ist ein gute vier Meter lange Mischung aus Supersportwagen und Spaceshuttle, die trotzdem erstaunlich gegenwärtig aussieht. „Schließlich soll keiner Angsthaben, sich auf dieses Abenteuer einzulassen“, sagt Designchef Adriano Mudri. Und wenn man erst einmal durch die nach vorne öffnenden Schiebetüren ist, dann ist ohnehin alles anderes, was man je vom Autofahren gelernt hat.

im „Oasis Mood“ durch die Rushhour

Denn mit so viel Freiraum wie sonst nur in S-Klasse oder Rolls-Royce hat Rimac nur zwei Sitze in die Kabine gestellt und davor unter die großzügige Scheibe einen noch großzügigeren Bildschirm geschraubt. Dazu gibt’s noch ein paar Ablagen in der Mittelkonsole, ein winziges Touchpad für die Bestätigung der Fahrt darüber, kabellose Ladeschalen und Cupholder, Haltegriffe, mit denen auch schwerfällige Kunden bequem einsteigen können. Und im Dach gibt es eine Art Bullauge, durch das man seine Stadt mit ganz neuen Augen sieht, wenn man in den „Oasis-Mood“ wechselt und im Liegen durch die Rushhour chauffiert wird. 

Für Unterhaltung ist gesorgt 
Statt Gespräche mit dem Taxifahrer zu führen, können sich die Passagiere im "Verne" Filme ansehen, ihre Mail checken oder Musik anhören. Ihre Accounts bei Netflix und Spotify werden beim Einsteigen automatisch mit dem Auto verbunden.
Für Unterhaltung ist gesorgt
Statt Gespräche mit dem Taxifahrer zu führen, können sich die Passagiere im „Verne“ Filme ansehen, ihre Mail checken oder Musik anhören. Ihre Accounts bei Netflix und Spotify werden beim Einsteigen automatisch mit dem Auto verbunden.

Bestellt und bedient wird das Robotaxi mit der Verve-App, die aus dem Auto für die Allgemeinheit ein ganz persönliches Refugium auf Rädern macht. Denn über sie gibt man nicht nur das Ziel ein, sondern speichert vom Klima über die Farbe der Ambientebeleuchtung bis hin zur bevorzugten Playlist alle individuellen Einstellungen Und sobald das Handy im Auto liegt, ist es automatisch verbunden, sind die persönlichen Accounts bei Netflix, Instagram & Co freigeschaltet. Schon laufen die E-Mails ein – und die bevorzugte Serie startet genau da, wo man bei der letzten Fahrt aufgehört hat.

Smart Stromern mit bis zu 130 km/m

„Und das alles, ohne dass aus den Boxen die Musik des Fahrers plärrt, jemand deine Telefonate mithört oder dir ein Ohr abkaut“, verspricht Pejković die maximale Privatsphäre. Und wer partout einen Restauranttipp braucht oder eine Empfehlung zum Shopping, der kann sich auf Knopfdruck mit der Zentrale verbinden lassen und bekommt dort persönliche Ansprache – und eine ganz individuelle Beratung.  

Damit das alles läuft, wie es soll, hat Rimac eine ebenso haltbare wie komfortable Konstruktion mit robustem Leiterrahmen und isolierter Kabine entwickelt, einen Motor mit knapp 210 PS Leistung für Fahrgeschwindigkeiten von bis zu 130 km/h installiert und eine gleichermaßen bezahlbare wie langlebige Lithium-Eisen-Phosphat-Batterie eingebaut, die mit 60 kWh Kapazität einen Aktionsradius von 240 Kilometern garantieren soll.

Das Dampfhaus
Designchef Adriano Mudri (l.) und Projektleiter Marko Pejkovic haben nicht nur das Robotaxi „Verne“ entwickelt, sondern auch die zugehörige Infrastruktur konzipiert - die elektrischen Robotoxen wollen regelmäßig geladen werden. Fotos: Rimac
Das Dampfhaus
Designchef Adriano Mudri (l.) und Projektleiter Marko Pejkovic haben nicht nur das Robotaxi „Verne“ entwickelt, sondern auch die zugehörige Infrastruktur konzipiert – die elektrischen Robotoxen wollen regelmäßig geladen werden. Fotos: Rimac

Und vor allem hat er die Idee vom „Mothership“ geboren – einem zentralen Hub, an dem die Autos mindestens einmal am Tag geladen und vor allem gereinigt werden. Und weil alle Teile im Grifffeld entsprechend clever konstruiert sind, lassen sich auch Polster oder Konsolen minutenschnell austauschen. Schließlich weiß Pejković, dass es das Erlebnis ist, das den Unterschied zum Taxi oder zum Uber ausmacht.

EU als Partner an Bord

Und neben der ungestörten Privatsphäre und dem Cocoon des eigenen digitalen Lebensumfelds sind das Banalitäten wie Konsolen, die man ohne Ekel anfassen kann, Polster, auf denen man unbesehen Platz nehmen will und Scheiben, die ungehinderten Durchblick bieten. Vom neutralen oder am besten nach persönlichem Gusto parfümierten Duft statt kaltem Rauch und abgestandenem Essen ganz zu schweigen. 

Schon den Bugatti hat Rimac als verrücktes Projekt bezeichnet, weil seit dem seligen Ettore und vielleicht seit Ferdinand Piëch nie mehr jemand so ein unvergleichliches Auto gebaut habe – egal ob man jetzt den 16-Zylinder-Sauger nimmt, das Plug-In-Modul mit 800 PS oder das Cockpit wie ein Luxusuhrwerk mit 600 Teilen aus Titan und Edelstein.

Luxus-Taxi
Mit drei Langstrecken-Lidar-Sensoren und sechs für kurze Distanzen, mit 13 Kameras und einer Software von Mobileye soll der Elektro-"Verne" fahrerlos seinen Weg durch die Stadt finden und seine beiden Passagiere komfortabel ans Ziel bringen.
Luxus-Taxi
Mit drei Langstrecken-Lidar-Sensoren und sechs für kurze Distanzen, mit 13 Kameras und einer Software von Mobileye soll der Elektro-„Verne“ fahrerlos seinen Weg durch die Stadt finden und seine beiden Passagiere komfortabel ans Ziel bringen.

Doch selbstkritisch räumt Rimac ein, dass Verne noch viel verrückter und herausfordernder ist. Weil es mehr Millionen-, nein Milliardensummen verschlingt als der Bugatti, selbst wenn der Kroate potente Partner und nebenbei auch noch die EU sowie den eigenen Staat ins Boot geholt hat. Weil die technischen Herausforderungen beim autonomen Fahren größer sind. Und weil schon Uber & Co kaum Geld machen mit ihren Services und noch kein autonomer Fahrdienst je einen Euro, Dollar oder Yuan eingespielt hat.

Robotaxi-Fabrik in Zagreb

Warum er dann trotzdem ein Gros seiner knappen Zeit in das Projekt steckt, eine Finanzierungsrunde nach der anderen dreht und bei Zagreb sogar eine eigene Fabrik für das Robotaxi baut, in der bis zum Ende der Dekade die ersten zehntausend Autos vom Band gerollt sein sollen?

„Weil die Idee zu groß und zu verführerisch ist, um sie zu verwerfen,“ sagt Rimac. Mit Verne könne er anders als mit Nevera und Tourbillion nicht nur das Leben von ein paar wenigen Multimillionären bereichern, sondern unser aller Alltag verändern. Auch weil Autofahren – zumindest in der Stadt – doch ohnehin keinen Spaß mehr macht. Aber vor allem, weil er wie einst Jules Verne die Zukunft erfinden und gestalten will. Nur diesmal nicht im Roman, sondern in der Realität. 

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