Wer hat sich nicht beim Kauf eines Gebrauchtwagens schon einmal darüber geärgert? Das Auto in der Fahrzeugbörse ist ein echter Traumwagen, doch es fehlen ein oder zwei Sonderausstattungen, die einem wirklich wichtig sind. Vielleicht ist es der Abstandstempomat oder die so beliebte Sitzheizung. Eine Nachrüstung der Features ist oft unmöglich oder bestenfalls sehr teuer. Doch diese Zeiten sind nunmehr vorbei.
Tesla war einer der ersten Autohersteller, der es durch seine Funkupdates (over the Air) möglich machte, Extras nachträglich zu ordern. Sukzessive bieten nun immer mehr Autohersteller bei den neuen Modellen an, gegen Zahlung einer Gebühr kurzzeitig oder dauerhaft bestimmte Ausstattungsdetails nachzurüsten – durch ein Software-Update nach dem Crippleware-Prinzip: Kunden erwerben ein Produkt mit theoretisch maximalem Leistungsumfang, der jedoch mittels einer Software künstlich beschnitten („verkrüppelt“) wird. Nur wer etwas dazu bezahlt, kann bestimmte Optionen anschließend nutzen. Die Vorteile kommen aus dem Softwarebereich und somit aus dem Dienstleistungsland USA. Die US-Versicherung Liberty Mutual wirbt schon seit einiger Zeit mit dem Slogan „Zahl nur für das, was Du brauchst“.
In der Theorie klingt das System bei den Automobilen simpel: Der Fahrer erwirbt ein Extra per Abo oder gegen Einmalgebühr in einem Webshop oder bezahlt es direkt („In-Car“) über das Infotainment-System des Autos. Die gewünschte Funktion wird dann freigeschaltet oder per Software-Download drahtlos („Over the Air“) in das System des Fahrzeugs heruntergeladen. Denn die Hardware ist dort bereits eingebaut, nur noch nicht in Funktion.
Verkaufsplattform im Internet
Mit diesen Zukaufs-Angeboten schlagen die Hersteller mehrere Fliegen mit einer Klappe. Sie reduzieren die Variantenvielfalt in der Produktion und damit ihre Herstellkosten. Außerdem stellt sich der Verkaufspreis für das Fahrzeug etwas günstiger dar, da weitere Aufpreise erst einmal im Webstore versteckt sind. Auch für die Autofahrer hat der Blumenstrauß an Nachbuchungsoptionen Vorteile. Denn man zahlt nur dann für ein Extra, wenn man es wirklich haben möchte. Allerdings muss man dann bei der Bestellung des Autos genau nachschauen, was serienmäßig an Bord ist. Sonst drohen weitere unvorhergesehene Extra-Kosten.
Volkswagen hat das neue Geschäftsmodell ebenfalls umgesetzt und im Webshop jeweils eine Verkaufsplattform für die vollelektrische ID-Flotte sowie die Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor – vor allem den VW Golf 8 – aufgebaut. Für den ehemaligen Identitätsstifter der Marke stehen auf der „We Connect“-Plattform mehr Systeme zur Auswahl als für die ID-Modelle. Zum Beispiel die Sprachbedienung für 269 Euro.
Gutscheine zum Geburtstag
Im Gegensatz zu anderen Autoherstellern favorisiert der niedersächsische Autobauer allerdings Einmalzahlungen anstelle von Abo-Modellen. Wer seinen Liebsten eine Freude machen will, kann auch einen Gutschein erwerben, der dann im „We Connect“-Shop eingelöst werden kann. Frei nach dem Motto: „Schatz, ich schenke Dir die automatische Distanzregelung ACC zum Geburtstag.“ Für 385 Euro. Auf die Reaktion des Empfängers dieses Präsents darf man auf alle Fälle gespannt sein.
Bei BMW kann man über den Connected Drive-Store verschiedene Extras freischalten lassen. Wie bei den anderen Autobauern meistens über einen begrenzten Zeitraum oder permanent. Die eingangs erwähnte Sitzheizung kostet hier 17 Euro pro Monat. Soll sie das ganze Jahr über funktionieren, werden 170 Euro fällig, bei drei Jahren Laufzeit 270 Euro. Bucht man den Popowärmer für eine unbegrenzte Nutzung, zahlt man 385 Euro.
150 Euro für neue Sounds
Um die neusten Karten für das Navigationssystem zu bekommen, muss man jedes Jahr 89 Euro nach München überweisen – ohne Wenn und Aber! Eine Lenkradheizung kostet mindestens zehn Euro im Monat. Wenn das Auto automatisch einparken können soll, sind 18 Euro fällig. Und wer beim Fahren mit akustischen Effekten unterhalten werden möchte, blättert 150 Euro auf den virtuellen Tisch. Interessant ist, dass BMW für eine Apple CarPlay- Vorbereitung schon 300 Euro verlangt. Das ergibt aus Sicht der Münchner Sinn, denn begeisterte App-Navigierer pfeifen ohnehin auf einen festeingebauten Lotsen.
Vor allem die deutschen Premium-Hersteller haben das nachträgliche Freischalten als Einnahmequelle entdeckt. Gutes Licht beispielsweise ist für viele Autofahrer essenziell. Wer sich also einen Porsche Taycan für mindestens 88.399 Euro kauft, sollte auch die 1.479 Euro für das LED-Matrix-Licht mit dem wohlklingenden Namen „Porsche Dynamic Light System Plus“ in der Tasche haben. Aber auch unter den Zuffenhausenern Elektro-Jüngern mag es manche geben, die erst einmal knausern – und sich dann später weitere Extras gönnen, je nach aktueller Kassenlage.
Funktionen „on Demand“
Wenn man sich also im Porsche „Connect Store“ für das Monatsabo in Höhe von 36 Euro entscheidet, könnte man 44 Monate (die ersten drei Monate sind kostenlos) mit Extra-Ausleuchtung unterwegs sein, also drei Jahre und acht Monate. Porsche lässt sich auch seinen Routenoptimierer „Porsche Intelligent Range Manager“ (PIRM) mit elf Euro pro Monat oder einmalig 419 Euro bezahlen. Selbst eine der Stärken der Modelle aus Zuffenhausen – die adaptive Servolenkung Plus, die sich der Geschwindigkeit anpasst – kostet im Taycan Connect Store einmalig 329 Euro.
Ganz ähnlich sieht es bei Audi aus. Jedoch setzen die Ingolstädter in ihrem Online-Portal „Functions on Demand“ auf noch mehr Individualität und Flexibilität. Die Auswahl variiert je nach Modell, und auch die Laufzeiten sind anders als bei den Zuffenhausenern: Neben einem Testmonat für einen Euro kann man beim Audi Q4 e-tron das Virtual Cockpit für sechs Monate (ab 17 Euro), ein Jahr (32 Euro), drei Jahre (ab 86 Euro) oder unbegrenzt freischalten. Übrigens ist die nachträglich gebuchte Ausstattung fahrzeugbezogen und bleibt bei einem Verkauf des Autos an Bord.
Dacia macht sich über Trend lustig
Wesentlich volksnäher geht Opel noch das Nachzahlgeschäft an. Bei Autos wie dem Corsa e ist die „e-Connect“-App, mit der man diverse Funktionen drahtlos abrufen beziehungsweise steuern kann, serienmäßig. Dazu gehört beispielsweise der Status der Batterie. Die App meldet sich auch, wenn die nächste Wartung ansteht. Sobald man ein Navigationssystem für mindestens 600 Euro ordert, bittet der Rüsselsheimer Autobauer seine Kunden nach 36 Monaten zur Kasse, wenn weiterhin Live-Daten zur Verkehrslage im Navi aufscheinen sollen. Ähnlich läuft es bei Citroën und Peugeot ab. In den nächsten Jahren wollen alle Stellantis-Marken in ihren Fahrzeugen Vorkehrungen für die neuen Bezahldienste schaffen, um so eine neue Einnahmequelle zu erschließen.
Außen vor bleibt bislang nur ein Autohersteller: Dacia. Die britische Vertriebsgesellschaft der Renault-Tochter machte sich kürzlich sogar über den Trend lustig: In den Handelsbetrieben des Unternehmens auf der insel konnten sich Autofahrer jeder Marke eine Wärmflasche abholen – als „Heated Seat Saviours“, zur Rettung der beheizten Sitze. „Unsere ‚Heated Seat Saviours‘ sind ein kleiner Scherz, aber sie zeigen die Richtung auf, in die die gesamte Branche in Bezug auf den abonnementbasierten Zugriff auf Funktionen geht“, sagte Vertriebschef Luke Broad.
Kunden für etwas zur Kasse zu bitten, was serienmäßig bereits im Fahrzeug verbaut sei, laufe dem Selbstverständnis der Marke Dacia zuwider. „Wir glauben an Einfachheit und bieten unseren Kunden Technologien, die das Fahren bequemer und komfortabler machen – mit Funktionen, die im Anschaffungspreis eines Autos enthalten sind.“ Mal schauen, wie lange die Muttergesellschaft in Paris diese Linie noch unterstützt.
(Mit Ergänzungen von Franz Rother)