Mein allererstes Fahrrad bekam ich mit sechs Jahren. Kein Puky Steel oder ähnlichen Kinderkram, sondern ein richtiges Sportrad, von Peugeot mit einem Rennlenker und feinster Metallic-Lackierung in Bordeauxrot. Ein echter Jungentraum. Und wenn ich mich recht entsinne und den Berichten der Familie glaube, dann habe ich schnell gelernt, damit zu fahren. Schnell und sicher. Nicht gleich am ersten Tag. Aber nach ein paar Übungsstunden im Rheinpark hatte ich den Dreh raus, konnte ich mit meinem Vater erste Fahrradtouren unternehmen.

Seitem habe ich alle möglichen Fahrräder genutzt und ausprobiert. Rennräder, Tourenräder, Gravelbikes, auch viele Mountainbikes, gerne auch mit elektrischer Trittunterstützung. Auch ein Liegerad hatte ich schon unterm Hintern. Allerdings ein Trike, mit zwei Rädern vorne und eines im Rücken. Das fuhr sich praktisch von selbst. Sorge bereiteten mir damit nur die Absperrpfähle auf manchen Radwegen: Ich war mir nie sicher, ob der Abstand zwischen den Stangen für mein zweispuriges Fahrrad ausreichend groß sein würde.

Als ich im Frühjahr auf einer Fahrradmesse das schnelle Elektro-Liegerad „Speedmachine“ von HP Velotechnik das erste Mal sah, fasste ich spontan den Beschluss: Das musst du mal ausprobieren. Nicht auf dem abgesperrten Messegelände, sondern in freier Wildbahn, sprich im Alltagsverkehr. Die Konstruktion sah interessant aus, der kräftige Antrieb versprach atemberaubende Fahrerlebnisse. Beschleunigungen von 0 auf 45 km/h in etwas mehr als acht Sekunden, viel Schub auch am Berg dank eines Radnabenmotors von Neodrives mit einer Spitzenleistung von 1200 Watt und einem maximalen Drehmoment von 40 Newtonmetern. Dazu eine 30-Gang-Kettenschaltung und ein Akku unterm Sitz mit 651 Wattstunden Speicherkapazität. Mit Scheibenbremsen rundum, einer Steuerkopf-Federgabel und vielfältig verstellbarer RockShox-Luftfeder. Schon die technischen Daten machten viel Appetit.

Testbike für 11.075 Euro

Was soll ich sagen? Ein paar Wochen später stand der schicke Einspurer tatsächlich bei mir in der Hofeinfahrt, in gelb-schwarzer Wespenoptik, mit Heckgepäckträger und Schutzblechen, Schalensitz und Aerolenker. Über 11.000 Euro ruft HP Voltechnik für eine Speedmachine in dieser Ausstattung auf – zu viel für mich. Aber immerhin durfte ich sie testen.

Ingenieurskunst 
Bei HP Velotechnik haben sie sich einiges einfallen lassen, um die Kette von Kettenblatt und Tretlager weit vorn sauber wie geräuscharm nach bis zu Kettenschaltung und Radnabenmotor zu führen. Der Akku sorgt für einen tiefen Schwerpunkt.
Ingenieurskunst
Bei HP Velotechnik haben sie sich einiges einfallen lassen, um die Kette von Kettenblatt und Tretlager weit vorn sauber wie geräuscharm nach bis zu Kettenschaltung und Radnabenmotor zu führen. Der Akku sorgt für einen tiefen Schwerpunkt.

Was allerdings einfacher gesagt als getan war. Die Sitzposition war ebenso ungewohnt wie die Position des Lenkers, der die Bewegungen der Kniegelenke nach rechts und links begrenzte. Und nach oben in die Luft tritt man auf einem Fahrrad eher selten, eher nach unten Richtung Erde. Wer zum Teufel hat sich so etwas nur einfallen lassen?

Harte Begegnungen mit der Asphaltdecke

Paul Hollants und Daniel Pulvermüller lautet die Antwort – die Gründer der Liegerad-Manufaktur aus Kriftel bei Frankfurt. 15 Liegeradmodelle haben die beiden Ingenieure in den zurückliegenden 30 Jahren schon konstruiert – die Speedmachine ist das weltweit (!) erste Einspur-Liegerad der schnellen Klasse, den sogenannten S-Pedelecs. Also der E-Bikes, die hierzulande als Kleinkraftrad eingestuft sind und nicht auf den Radweg dürfen. Vermutlich, weil die Bürokraten in der Zulassungsbehörde davon ausgehen, dass ein solches Fahrrad ausschließlich mit der Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h bewegt wird. Ein Versicherungskennzeichen ist deshalb ebenso Pflicht wie eine Hupe und das Tragen eines Schutzhelms.

Lenken durch Gewichtsverlagerung 
Die Koordinierung von Kniebewegungen von Lenkerhaltung will gelernt sein. Gewöhnungsbedürftig sind auch die Positionen von Füßen und kleinem Vorderrad. Fotos: Rother
Lenken durch Gewichtsverlagerung
Die Koordinierung von Kniebewegungen von Lenkerhaltung will gelernt sein. Gewöhnungsbedürftig sind auch die Positionen von Füßen und kleinem Vorderrad. Fotos: Rother

Bei mir kamen nach den ersten Fahrversuchen noch Knie- und Ellbogenschützer hinzu. Denn es dauerte eine geschlagene Woche, ehe ich einigermaßen sicher im Schalensitz saß und mich ohne Gefährdung von Fußgängern und Autofahrern – und meiner selbst – über die Landstraßen bewegen konnte. Mein Sohn hatte den Dreh schnell raus – ich erst nach ein paar harten Begegnungen mit der Asphaltdecke. Dabei lernte ich den vielleicht wichtigsten Vorteil eines Liegerads kennen: Dem Boden ist man deutlich näher als auf einem Mountainbike, Aufprallgeschwindigkeit und Verletzungsgefahr sind entsprechend geringer.

Tiefflieger im Wohngebiet

So musste ich erst lernen, dass ein große Aerolenker bei einem Liegerad in erster Linie der Bequemlichkeit und als Haltestange dient, aber nur für leichte Lenkbewegungen gedacht ist. Richtungswechsel werden auf der Speedmachine nämlich vornehmlich durch Gewichtsverlangerungen eingeleitet. Und mit den Füßen voraus in tiefer Lage zu fahren, erhöht nicht unbedingt die Übersicht: Als ich in unserem Wohngebiet einmal um die Ecke flog, kam mir ein Pkw entgegen, deren Fahrerin gerade noch nach rechts ausweichen konnte. Ich ließ mich parallel dazu nach rechts in eine Hecke plumpsen – vorsichtshalber.

30 Gänge und fünf Unterstützungsstufen 
Das vollgefederte Speedmachine S-Pedelec von HP Velotechnik ist auch für Bergtouren bestens gerüstet. Der Hecknabenmotor von Neodrives kann bis zu 1000 Watt mobilisieren, um den Fahrer zu unterstützen.
30 Gänge und fünf Unterstützungsstufen
Das vollgefederte Speedmachine S-Pedelec von HP Velotechnik ist auch für Bergtouren bestens gerüstet. Der Hecknabenmotor von Neodrives kann bis zu 1000 Watt mobilisieren, um den Fahrer zu unterstützen.

„Ihr werde euch wohl nie miteinander anfreunden“, lästerte eine Nachbarin schon, die meine Fahrversuche an einen alten Kinofilm erinnerten: In der Komödie „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ versuchten sich allerlei schräge Typen an der Überquerung des Ärmelkanals mit Doppeldeckern und anderen Flugmaschinen. Einige scheiterten schon beim Start, andere gingen während des Wettflugs spektakulär baden.

Blinkeranlage wäre gut

Aber da hatte die gute Frau sich sowohl in mir wie auch der Speedmachine getäuscht. In Woche zwei wusste ich den in fünf Stufen regulierbaren Heckantrieb schon besser für das Anfahren und die Fortbewegung in der hüheligen Topographie des Wohnorts zu nutzen. Auch die Rekuperation (in zwei Stufen) hatte ich entdeckt und in Bergab-Passagen zu nutzen verstanden. Es lief vor allem auch immer besser mit dem Anfahren: Das rechte Pedal samt Fuß auf dem oberen Drehpunkt, beide Bremsen gedrückt und den Blick auf den Horizont (oder die nächsten zehn Meter) gerichtet. Dann die Bremsen gelöst und gleichzeitig feste Tritte in die Pedale – schon nimmt die Speedmachine Fahrt auf. Und das auch auf Schotter. Na also, geht doch.

Hören und Sehen 
Als S-Pedelec verfügt die "Speedmachine" über eine lichtstarke Beleuchtungsanlage von Busch & Müller sowie eine Hupe.
Hören und Sehen
Als S-Pedelec verfügt die „Speedmachine“ über eine lichtstarke Beleuchtungsanlage von Busch & Müller sowie eine Hupe.

Erntete ich in der ersten Woche viel Spott und mitleidige Blicke ob meiner anfangs noch recht unbeholfenen Fahrversuche, wurde ich in der zweiten Woche zu so etwas wie dem Schrecken der Region – ob meiner rasanten Fahrten in Tieflage und immer wagemutiger werdenden Schräglagen in Kurven. Auch traute ich mich nun auch in die City und in den quirrligen Feierabendverkehr. Mit einer Begrenzung auf Tempo 30 und ein Fahrrad-Überholverbot ist unsere Innenstadt das perfekte Revier für E-Bikes aller Art. An die Begegnung mit Autos auf Scheinwerferhöhe musste ich mich allerdings erst gewöhnen. Und für die Anzeige der Fahrtrichtungsänderung an Kreuzungen hätte ich mir eine Blinkeranlage gewünscht – auch einhändiges Abbiegen will erst einmal gelernt sein.

Wunderwerk der Technik

Und es wurde nicht nur immer besser. Ich wurde auch immer schneller. Irgendwann zeigte mir der kleine digitale Tacho an der Lenkerstange Tempo 50, später auf leicht abschüssiger Straße und entsprechender Übersetzung des Antriebs sogar 60 km/h an. Den Helm hatte ich da ebenso pflichtschuldig wie vorsichtshalber immer noch auf dem Kopf, die Knieprotektoren aber längst abgelegt, was das Strampeln in Schräglage deutlich erleichterte. In den Fußspitzen spürte ich dafür nach längerer Fahrt ein leichtes Kribbeln: Auch die Blutströme in den Beinen mussten sich an die neue Art der zweirädrigen Fortbewegung erst einmal gewöhnen.

E-Bike im Stadtverkehr Moderne E-Bikes sind populär - und viel besser als ihr der Ruf, den sie noch unter traditionellen "Bio-Bikern" genießen. E-Bikes

Entsprechend zwiespältig fällt mein Fazit nach drei Wochen mit der Speedmachine von HP Velotechnik aus. Zum einen: Das schnelle Liegerad ist ein kleines Wunderwerk der Technik. Allein die Konstruktion der aufwendigen Kettenführung dürfte die Entwickler einige Wochen gekostet haben. Auch das Ansprechverhalten des Antriebs sowie die die Abstimmung des Radnabenmotors mit der Schaltung ist den Ingenieuren aus Kriftel wunderbar gelungen. Da gibt es nichts zu meckern.

Schaltzentrale 
Mit einer Fülle von Informationen versorgt der Bordcomputer am Lenker den Fahrer. MancheAnzeigen sind allerdings sehr klein und bei Sonneneinstrahlung auch nur schwer abzulesen.
Schaltzentrale
Mit einer Fülle von Informationen versorgt der Bordcomputer den Fahrer. MancheAnzeigen sind allerdings sehr klein und bei Sonneneinstrahlung auch nur schwer abzulesen. Wünschenswert wäre ein größeres Display auch mit Navi-Funktion

Auch ist die Stabilität des schnellen Gefährts aufgrund des tiefen Schwerpunkts durch die Lage von Fahrer und Akku ganz ausgezeichnet – wenn man denn das Liegerad erst einmal zu beherrschen gelernt hat. Dann machen sich auf die Geschwindigkeitsvorteile bemerkbar, die sich aus der – gegenüber einem „normalen“ Fahrrad – besseren Aerodynamik ergeben. Und natürlich der hohe Sitzkomfort: Weder an den Handgelenken noch im Rücken kann hier irgendetwas zwicken.

Auch S-Pedelecs sind Radweg-tauglich

Die Federung ist allerdings noch verbesserungsfähig: Unebenheiten im Fahrbahnbelag teilen sich dem „Popometer“ recht unmittelbar mit. Und Fahrten über unbefestigte Feldwege können schnell zur Qual werden, da im Unterschied zu einem konventionellen Fahrrad keine Möglichkeit besteht, aus dem Sattel/Sitz zu gehen, um die Schläge mithilfe der Beinmuskulatur auszugleichen.

Jetzt müssen wir den Bürokraten nur noch beibringen, dass leistungsstarke E-Bikes durchaus auch langsam bewegt werden können und somit sehr wohl Radwege-geeignet sind. S-Pedelecs und speziell Liegeräder wären dann perfekte Pendlerfahrzeuge, zumindest an sommerlichen Tagen. Und die Autofahrer hätten auf den Landstraßen einen Störfaktor mit Aufregungspotenzial weniger.

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3 Kommentare

  1. Jennss

    Stürze hatte ich in meiner intensiven Liegeradzeit (1995 bis 2007) nur einen: Auf der Radbahn, als mir jemand im Stundenrennen in die Heckverkleidung gefahren ist. Ansonsten finde ich Liegeradfahren doch sehr einfach. Bisschen dran gewöhnen, klar, aber Stürze müssen echt nicht sein. Das klingt hier im Text zu schwierig. Knieschützer auf dem Liegerad… 😀

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  2. banquo

    Ich fahre seit 2,5 Jahren S-Pedelec und fahre zur Arbeit auf Landstraße. Da ich dann auch ein Tempo um die 40km/h halten kann werde ich eher selten von Autofahrer (die den parallel verlaufenden Radweg sehen) angehupt. Wenn ich mit meiner Frau Ausflüge mache fährt sie ein max. 25km/h E-Bike. Dann fahren wir auf Radwegen und ich fahre angepasst.

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  3. Jan

    Da bin ich anderer Meinung.
    S-Pedelecs (genauso wie e-Lastenträger) haben m.M. nichts auf Fahrradwegen zu suchen. Denn leider gibt es zu viele Menschen (die meisten) die damit nicht langsam fahren werden, sondern die anderen Verkehrsteilnehmer weghupen würden. Mit fast 50 Sachen ohne Knautschzone kann das schnell tödlich werden. Da hilft auch kein Helm.
    Warum ich das glaube? Beobachtungen aus der Lüneburger Heide in den letzten Wochen. Die Wanderwege sind voller Fußgänger, darunter Senioren wie Kinder, aber die Pedelecfahrer machen sich keine Mühe abzubremsen, klingeln und ballern mit 25 Sachen da durch.
    Nun möchte ich nicht behaupten, dass das nur Pedelecfahrer betrifft, nein auch Bioradler sind da nicht besser. Jedoch kommen die, zumindest in der Heide, selten so weit, schaffen selten die Geschwindigkeit und sind deswegen einfach viel seltener.

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