Ihre Witze sind nicht besser geworden. „Was essen Autos am liebsten?“ fragt Sprachassistentin „Eidee“ den Fahrer – und liefert im gleichen Atemzug auch schon die Antwort: „Parkplätzchen!“

Ha, ha, ha. Darüber konnte ich schon im ID.3 nicht so recht lachen. Im ID.4 hätte ich eigentlich ein größeres Repertoire erwartet. Aber wie „Eidee“ auf die Frage, ob sie neue Witze kenne, schon sagte: „Das haben mir die Entwickler eigentlich nicht beigebracht.“

Die natürliche Sprachbedienung „Hallo ID“ ist allerdings nur eines der vielen Highlights im neuen vollelektrischen SUV, den Volkswagen in diesen Tagen auf den Markt bringt. Und es ist ganz sicher nicht der wichtigste Kaufgrund für den ID.4, das zweite Modell auf der Architektur des Modularen E-Antriebsbaukastens (MEB) – nach dem kompakten „Golf-Zwilling“ (Volkswagen) ID.3, von dem im Werk Zwickau mittlerweile über 30.000 Einheiten produziert und bereits an Kunden ausgeliefert wurden.

Nun folgt ein halbes Jahr später gewissermaßen die zweite Zwillingsgeburt, die Entbindung des elektrischen Schwestermodells des jüngst erneuerten, noch mit Verbrennungsmotoren angetriebenen VW Tiguan. Freuen dürfen sich darüber all jene, die ein voll alltags- und familientaugliches Elektroauto suchen und nicht nur einen klimafreundlichen Zweitwagen für die Pendelei zum Arbeitsplatz. Denn der Jüngste der beiden Stromer ist aktuell auch der Größte – innen wie außen. Die Länge wuchs um 32 Zentimeter, die Breite um vier, die Höhe um sechs. Das Ergebnis ist ein deutlich luftigeres Gefühl im Innenraum.

Anhängerkupplung für 1000 Kilo Zuglast

Und obendrein ein deutlich größerer Kofferraum: 543 Liter bei voller Bestuhlung, 1575 Liter bei umgelegter Rücksichtbank. Da kommt der ID.3 (385/1267 Liter) einfach nicht mit. Zudem verfügt der ID.4 serienmäßig über eine Dachreling, an der sich mithilfe von entsprechendem Zubehör Ski oder Dachboxen, Surfbretter oder Fahrräder mit einem Gewicht von bis zu 75 Kilo Gewicht befestigen lassen. Und es gibt – endlich – gegen Aufpreis auch eine Anhängerkupplung für Anhängelasten von bis zu einer Tonne Zuglast.

Auch unterwegs präsentiert sich der ID.4 trotz gleicher Plattform und identischem Heckantrieb als das schon jetzt deutlich „erwachsenere“ Elektroauto. Für die erste Ausfahrt mit dem E-Weltauto, das bald auch in USA und China gebaut und angeboten werden soll, nehmen wir die Autobahnen und Landstraßen im ehemaligen Zonenrandgebiet zwischen Wolfsburg und Magdeburg unter die Räder. Es gibt dort immer noch jede Menge Buckelpisten und Kopfsteinpflaster, echte „Marterstrecken“ also für Fahrwerk und Karosserie. Doch unser 150 kW (204 PS) starker ID.4 Max zum Preis von 58.940 Euro gleitet souverän darüber hinweg. Kein Knistern oder Rumpeln stört den Reisekomfort, selbst bei der Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h ist der Fahrtwind dank einer Akustik-Windschutzscheibe im honiggelben Testwagen nur leise säuselnd zu vernehmen.

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Marterstrecken im Osten

Jenseits der ehemaligen Zonengrenze finden sich noch jede Menge Straßen mit Kopfsteinpflasterung. Der ID.3 gleitet souverän darüber hinweg.

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Bereit für den Familienausflug

Mit einer Länge von 4,85 Metern übertrifft der ID.4 seinen kleinen Bruder ID.3 um über 30 Zentimeter. Zugute kommt das vor allem den Passagieren auf der Rücksitzbank – und dem Kofferraum. Foto: Ingo Barenschee

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Sicher in allen Kurvenlagen

Der niedrige Schwerpunkt, adaptive Dämpfer sowie ein ausgefeiltes Fahrdynamik-Management sorgen dafür, dass der Hecktriebler kurvenreiche Strecken problemlos auch mit hohen Fahrgeschwindigkeiten meistert. Foto: Ingo Barenschee

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Kontrollzentrum mit Aufstellstange

Unter der Fronthaube hockt das Motormanagement. Der Elektromotor samt Getriebe und Inverter sitzen direkt an der Hinterachse. Geöffnet werden muss die Haube nur zum Nachfüllen von Bremsflüssigkeit und Scheiben-Waschwasser.

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Klare Ordnung

Zwölf Zoll groß ist das zum Fahrer geneigte Zentraldisplay im Topmodell. Die Fahrtinformationen werden über ein zweites, kompaktes Display direkt vor dem Lenkrad eingespielt – oder über ein Head-up-Display. Die Antriebsstufen werden über einen Knauf rechts hinterm Lenkrad eingelegt.

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Augmented Reality

Scheinbar auf die Fahrbahn vor dem Fahrzeuge projiziert werden Richtungshinweise, wenn das aufpreispflichtige Head-up-Display installiert ist. Foto: Ingo Barenschee

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Luftig und tierfrei

Sämtliche Bezüge im ID.4 bestehen aus so genannten tierfreien Materialien. Lediglich das Lenkrad ist mangels hochwertiger Alternativen noch mit Leder bespannt. Aufpreispflichtig ist das Microfasermaterial ArtVelours.

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Jede Menge Platz

Auf der Rücksitzbank können bis zu drei Kindersitze montiert werden. Aber auch drei Erwachsene finden hier reichlich Kopf- und Knieraum vor.

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Umzugshilfe

Bei umgelegter Rücksitzbank wächst das Stauvolumen des Kofferraum auf 1575 Liter. Bei voller Bestuhlung sind es immerhin 543 Liter – inklusive der Fläche unter dem Ladeboden. Foto: Ingo Barenschee

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Bis zu einer Tonne Zuglast

Die Anhängerkupplung zieht Laster von bis zu 1000 Kilo. Für einen Pferdeanhänger reicht das noch nicht, aber für kleinere Wohnanhänger – und jeden Fahrradträger.

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Schöne Aussichten

Fast über die gesamte Dachfläche erstreckt sich das optionale Panoramadach. Gegen zu heftige Sonneneinstrahlung schützt eine elektrische Jalousie. Foto: Ingo Barenschee

Die umfangreichen Arbeiten zur Verbesserung der Karosseriesteifigkeit und die Maßnahmen zur Geräuschdämmung zahlen sich hier spürbar und auch deutlich hörbar aus. Länge läuft, denkt man. Und stellt später bei einer Sichtung der Unterlagen fest, dass der ID.4 und ID.3 auf den Millimeter genau den gleichen Radstand (2,776 Meter) haben. So kann man sich täuschen.

Nachgebessert haben die VW-Ingenieure auch beim Betriebssystem VW.OS. Musste der ID.3 anfangs beispielsweise noch ohne die volle Funktionalität des Head-up-Displays und in Sachen Konnektivität auskommen, hat der ID.4 bereits ab Werk das Update ME.2 an Bord – das sich die ID.3-Besitzer der ersten Stunde nun in der Werkstatt aufspielen lassen können.

Volkswagen hat das lang erwartete Elektroauto endlich zu Testfahrten freigegeben. Nun denn: Wie schlägt sich der "Golf für das Elektro-Zeitalter" im Alltagsverkehr? Elektroauto

Information Overkill

Es schafft nicht nur die Möglichkeit, mit verschiedenen Farben unterschiedliche Stimmungen im Innenraum zu erzeugen. Eindrucksvoller und hilfreicher ist die Möglichkeit, Navigationshinweise und Warnsignale mithilfe von „Augmented Reality“ virtuell auf die Fahrbahn zu projizieren. Hellblaue Dreiecke, die je größer werden, desto näher man dem Abbiegepunkt kommt, weisen dem Fahrer den Weg. Zusätzlich zu den einfachen Pfeilen, die das Head-Up-Display in der Windschutzscheibe und das Display im Tacho anzeigt. Und zusätzlich zu dem blauen ID.Licht-Streifen, der in solchen Situationen, kurz vor der Kreuzung oder Abzweigung, unterhalb der Windschutzscheibe von einer Seite zur anderen wandert: Information Overkill.

Sparsam ist dagegen der Energieverbrauch, auch wenn er bei der gut 300 Kilometer langen Testfahrt bei sechs Grad Außentemperatur deutlich von den Werksangaben abwich. Im Stadtverkehr soll der ID.4 demnach mit durchschnittlich 17,7 Kilowattstunden (kWh) auf 100 Kilometer auskommen, unter Idealbedingungen im Drittelmix nach der Verbrauchsnorm WLTP mit 18,9 kWh. Mit dem großen Akku, der 77 kWh Strom speichert, sollen damit Reichweiten von bis zu 525 Kilometer dargestellt werden können. Wie, ist bei solchen Verbrauchswerten schleierhaft. Vielleicht im Eco-Modus,? Geschenkt.

Aufbruch zur Testfahrt
Der Autor am Steuer des VW ID.4, des neuen Familien-Stromers. Foto: Ingo Barenschee.

Tatsächlich pendelt der Bordcomputer zwischen Werten um die 25,3 und 28,8 kWh. Was unter den Bedingungen durchaus als gut zu bewerten ist – eine Renault Zoe saugt bei Höchstgeschwindigkeit 140 in der Winterzeit ähnlich viel Strom aus dem Akku. Der hohe Wirkungsgrad des Heckmotors von 90 Prozent macht sich hier ebenso bezahlt wie die Temperierung der der Batteriezellen sowie der (leider 1242 Euro teure) Wärmetauscher für die Beheizung des Innenraums.

Maximale Ladeleistung von 125 kW

Trotzdem ist bei uns schon nach 350 Kilometern Fahrstrecke Zeit für einen Ladestopp gekommen. 15 Kilometer Restreichweite zeigt der Bordcomputer an, als wir in Wolfsburg auf den Schnellladepark von Ionity zurollen. „Eidee“ hatte schon 50 Kilometer vor dem Ziel leichte Reichweitenangst überkommen. Mehrfach versuchte sie uns zu einem Abstecher zur Schnellladestation von Fastned in Hildesheim zu überreden – was wir geflissentlich überhörten.

Umso entspannter verläuft die Ladepause. Die Verbindung zur Säule ist über den CCS-Stecker schnell hergestellt. Und bei einem Ladestand (SoC) von nur noch fünf Prozent schlürft der ID.4 auch gleich mit der vollen Ladeleistung von 125 kW Gleichstrom (DC) aus dem Netz. Und das auch recht lange – erst jenseits von 60 Prozent SoC sinkt die Ladeleistung auf unter 100 kW. Wir bleiben 55 Minuten – um das Auto zu fotografieren und zu vermessen, aber auch mit neugierigen VW-Mitarbeitern zu fachsimpeln, von denen viele noch keinen Blick auf den ID.4 werfen konnten. Als ich den Ladevorgang stoppe, sind 73 kWh Strom aufgenommen und ist der Akku wieder zu 97 Prozent gefüllt.

Das würde bei etwas gemächlicherem Tempo locker reichen für die Heimfahrt ins Rheinland. Dann hätte ich auch noch Zeit, um „Eidee“ den einen oder anderen Witz zu erzielen. Aber das verschieben wir auf später. Vielleicht aufs Frühjahr. Dann wird Volkswagen den ID.4 auch mit Allradantrieb und einer Systemleistung von 225 kW (306 PS) anbieten. Das könnte noch mal spannend werden.

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