Komisch, beim Thema Tiguan fällt uns immer sofort das Thema Mainstream ein. Genau, diese nette Umschreibung für den kulturellen Geschmack der Mehrheit. Massengeschmack. Igitt, damit wollen wir nun wirklich nichts zu tun haben. Und trotzdem kaufen wir am Ende sicherheitshalber meist das, was alle kaufen. Eben zum Beispiel einen Tiguan von VW, dem Bestseller (über 7,6 Millionen abgesetzte Exemplare seit dem Debüt im Jahre 2007) unter den kompakten Hochsitzern, der bislang offenbar immer alles richtig gemacht hat. Zwar kein optischer Aufreißer, aber irgendwie der Musterschüler unter den SUV.

Und nun startet in diesen Tagen die dritte Neuauflage des kompakten Fünfsitzers. Natürlich kann die, wenn wir den schönen Erklärungen des VW-Marketings und unseren eigenen angenehmen Testerlebnissen trauen, alles viel besser als bisher. Immerhin macht dieses Auto schon mit dem neuen Design, das VW ein wenig übertrieben „charismatisch“ nennt, sichtbar mehr Alarm. Wirkt aber, speziell in der sportlichen R-Line-Version, in der Frontpartie deutlich zackiger und gefräßiger als bisher. Auch die neue LED-Querspange hinten ist ganz hübsch.

"Charismatiker" 
Mit dem neuen Design gewinnt der VW Tiguan deutlich an Profil. Auch die neue LED-Querspange hinten weiß zu gefallen.
„Charismatiker“
Mit dem neuen Design gewinnt der VW Tiguan deutlich an Profil. Auch die neue LED-Querspange hinten weiß zu gefallen.

Und dann diese aufrüstbaren Scheinwerfer. Der neue Tiguan ist laut VW das erste MQB-Modell (sprich: Modularer Antriebs-Baukasten), das mit „IQ.LIGHT HD-Matrix-Scheinwerfern“ auf den Markt kommt. Ein interaktives Lichtsystem (495 Euro Aufpreis in der Elegance-und R-Line-Ausstattung), das es auch im Oberklässler Touareg gäbe. HD? Steht für „High Definition“, gemeint ist eine hohe Auflösung der Lichtquellen. Im Fall des Tiguan sind es insgesamt 38.400 Multipixel-LEDs (jeweils 19.200 Multipixel-LEDs pro Scheinwerfer), die die Straße und das Umfeld auf einem völlig neuen Level ausleuchten sollen.

Kofferraumvolumen wächst kräftig

So genau wollten Sie das jetzt vielleicht gar nicht wissen, aber das haben wir einfach ignoriert. Dafür fliegen wir mal etwas schneller durch die übrigen technischen News. Top, mit der neuen Front hat sich der cw-Wert von 0,33 auf 0,28 verbessert. Und bei den Außenmaßen hat der Neue nur in der Länge zugelegt – um rund drei Zentimeter auf 4,54 Meter. Breite und Höhe bleiben mit 1,84 und 1,64 Meter nahezu gleich. So passt der Tiguan vermutlich immer noch in die deutsche Standardgarage. Apropos passen: In den Radhäusern lassen sich jetzt Räder bis zum 20-Zoll-Format unterbringen. Kein Highlight für den Abrollkomfort, aber manche Leute brauchen diese fetten Monsterschuhe unbedingt fürs persönliche Ego.

Lademeister 
Zwischen 652 und 1650 Liter passen in den Kofferraum des neuen Tiguan. Bei den Plug-in-Hybriden sind es wegen der Batterie 160 Liter weniger.
Lademeister
Zwischen 652 und 1650 Liter passen in den Kofferraum des neuen Tiguan. Bei den Plug-in-Hybriden sind es wegen der Batterie 160 Liter weniger.

Wo wir gerade bei netten Zahlen sind: Das Kofferraumvolumen des Tiguan ist um 37 auf nun 652 Liter (bei Beladung bis Höhe der Rücksitzlehnen) gewachsen, und bei umgelegten Lehnen sind es üppige 1650 Liter. Lob, Lob. Klar, schon folgt die Einschränkung: Bei den beiden neuen Plug-in-Hybriden, zu denen wir gleich kommen, fehlen hier nämlich jeweils rund 160 Liter Ladevolumen, da bleiben 490 und 1486 Liter.

Der Grund: Die stärkere, aber im Format nicht gewachsene Batterie versteckt sich hinter der Rückbank, der 45-Liter-Benzintank unter dem Ladeboden. Trotzdem reicht der dadurch verkleinerte Stauraum auch hier für einen ausführlichen Familienurlaub oder den Tagesausflug zum Baumarkt, wo man immer was fürchterlich Sperriges zum Mitnehmen findet. Zumal sich die Rücksitzbank-Teile um 18 Zentimeter längs verschieben und die Neigungen der Lehnen vielfach verstellen lassen.

Bis zu 2,3 Tonnen dürfen an den Haken

Und die Anhängelasten? Da sind Vollstromer und Plug-in-Hybride naturgemäß etwas schwächer auf der Brust. Aber keine Angst: Während die Verbrenner-Versionen des Tiguan in der gebremsten Variante je nach Motorisierung zwischen 1600 und 2300 Kilogramm an den Haken nehmen dürfen, haben die beiden Teilzeitstromer hier immerhin noch 1800 und 2000 Kilogramm zu bieten. Ungebremst sind es in beiden Fällen 750 Kilogramm.

Auch das Interieur des Tiguan kommt komplett neu zu uns. Alles schick und fein mit schönen Materialien. Und, typisch VW, sehr akkurat verarbeitet. Das schwer zu bedienende Sensor-Touchgedöns am Lenkrad ist weg, es gibt wieder richtige haptische Tasten, die fast blind zu treffen sind. Digitale, vorbildlich entspiegelte Instrumente im 10 Zoll großen Fahrerdisplay hinterm Lenkrad sind generell inklusive, da können wir, was die Grafik betrifft, sogar zwischen Classic, Progressive, Navigation oder R-Line auswählen. Lustige Spielerei.

Klare Perspektiven 
Das schwer zu bedienende Sensor-Touchgedöns am Lenkrad ist weg, es gibt wieder richtige haptische Tasten. Der mittige, große Touchscreen gefällt mit einer neuen Menüstruktur.
Klare Perspektiven
Das schwer zu bedienende Sensor-Touchgedöns am Lenkrad ist weg, es gibt wieder richtige haptische Tasten. Der mittige, große Touchscreen gefällt mit einer neuen Menüstruktur.

Und der mittige, große Touchscreen im 15-Zoll-Format (38,1-Zentimeter-Diagonale), die unser Testwagen (Elegance-Ausstattung) an Bord hat, gefällt mit der neuen Menüstruktur der Wolfsburger, die alles viel übersichtlicher und ohne Umwege erreichbar macht. Zum Beispiel die häufig genutzten Klima-Einstellungen in der unteren Digitalleiste („Bottom Bar“).

Auf Wunsch auch mit Head-up-Display

Spitzfindig wie wir sind, müssen wir jetzt unauffällig erwähnen, dass der schöne große Screen des Tiguan fest verzurrt ist, während man das digitale Pendant im gut zwanzig Zentimeter längeren chinesischen Vollstromer BYD Seal U auf Knopfdruck easy vom Quer- ins Hochformat drehen kann. Okay, auch der moderne Mensch muss nicht gleich alles haben, und wir freuen uns jetzt gerade unbändig darüber, dass es hier in der Mittelkonsole des Wolfsburgers für die Smartphones der Familie gleich zwei induktive Ladeschalen gibt. Und auch zwei USB-C-Schnittstellen mit jeweils flotten 45 Watt Ladeleistung. Was man eben so heute unterwegs zum Überleben so braucht.

Neu im Tiguan ist auf Wunsch nun auch ein Head-up-Display, das die wichtigsten Unterwegs-Daten in die Frontscheibe spiegelt. Und dann entdecken wir in der Mittelkonsole noch diesen praktischen, multifunktionalen „Fahrerlebnisschalter“. Ein Dreh-Drücksteller mit eigenem neckischen Mini-Bildschirm (OLED-Display), über den sich wahlweise die Fahrmodi, die Radiolautstärke oder auch die 30 Farben der Ambientebeleuchtung steuern lassen. Sogar diese von VW betitelte „Atmospheres“, die zum Beispiel abgestimmte Playlists des Streamingdienstes Spotify und Einstellungen der Ambientebeleuchtung mit unserer Stimmungslage kombinieren sollen. „Energetic“ macht zum Beispiel morgens alles bunter und rockiger, „Lounge“ alles gedämpfter und leiser.

Handschalter sind mega-out
Alle Tiguan-Modelle haben serienmäßig Schaltwippen hinterm Lenkrad und automatische Doppelkupplungsgetriebe, bei den Plug-in-Hybriden ist es die 6-Gang-Version.
Handschalter sind mega-out
Alle Tiguan-Modelle haben serienmäßig Schaltwippen hinterm Lenkrad und automatische Doppelkupplungsgetriebe, bei den Plug-in-Hybriden ist es die 6-Gang-Version.

Analog zu VWs stromernden ID.-Modellen und dem neuen Passat erfolgt die Wahl der Fahrstufe nun über einen Hebel rechts vom Lenkrad. Mit selbsterklärender Bedienung für Dummies: Nach vorn auf „D“ drehen zum Vorwärtsfahren, nach hinten auf „R“ zum Rückwärtsfahren, seitliches Drücken für die Parkbremse. Sämtliche Tiguan-Modelle haben serienmäßig Schaltwippen hinterm Lenkrad und automatische Doppelkupplungsgetriebe (DSG), bei den Plug-in-Hybriden ist es die 6-Gang-Version. Handschalter sind mega-out. Noch was? Ja, diese Touch-Slider (exakt unterm mittigen Bildschirm) für die Steuerung von Temperatur und Radiolautstärke, die wir noch nie so richtig mochten, sind nun wenigstens beleuchtet.

ChatGPT an Bord

Und Leute, die sich gern mit ihren Auto unterhalten, sollen mit dem neuen Tiguan besonders glücklich werden. Denn über seinen neuen Sprachassistenten IDA lassen sich diverse Fahrzeug- und Infotainment-Funktionen (wie Navigation oder Klimaanlage) „spielend einfach per natürlicher Sprache einstellen“. Funktioniert, wir haben es getestet, deutlich besser als früher. Und im Vergleich zum Vorgänger sei der Neue ohnehin die reinste Quasselstrippe, haben wir vor dem Start gehört. Denn weil der Hochsitzer ab Mitte Juni ChatGPT aufpreisfrei als Update an Bord hat, soll er uns jede noch so ausgefallene Frage beantworten können.

Haben wir an einem speziellen Test-Tiguan gleich ausprobiert. Schaltet sich erst ein, wenn IDA (natürlich können wir dem Sprachassistenten auch einen anderen Namen geben) mit dem Latein am Ende ist. Kann uns wunderbar touristische Highlights oder geschichtliche Zusammenhänge aus dem alten Rom erklären. Oder Kids erklären, warum das Meer immer blau ist: „Das Meer erscheint blau, weil es das Licht der Sonne absorbiert und reflektiert. Das Wasser absorbiert die langwelligen roten und gelben Lichtstrahlen, während die kurzwelligen blauen Lichtstrahlen reflektiert werden, was dem Meer seine blaue Farbe verleiht“. Alles klar? IDA scheitert allerdings am aktuellen Stand der Fußball-Bundesliga, weil der ChatGPT-Zugriff derzeit nur bis zum Januar 2023 reicht. Die „volle Dialogfähigkeit“ soll erst in einem zweiten Paket zum Jahresende nachgereicht werden.

Schöne Aussicht
Das elektrische Panorama-Ausstell-/Schiebedach, dessen Fläche bis in den Fond reicht, verlangt nach 1345 Euro.
Schöne Aussicht
Das elektrische Panorama-Ausstell-/Schiebedach, dessen Fläche bis in den Fond reicht, verlangt nach 1345 Euro.

So, sitzen Sie bequem? Wir ja, denn dieser Tiguan hat auf Wunsch diese neuen „ergoActive-Plus-Sitze“ mit pneumatischer 4-Wege-Lordosen-Einstellung und einer ebenfalls pneumatischen 10-Kammer-Druckpunktmassage. Richtig, für Leute mit Rücken oder viel Langeweile. Es lässt sich nämlich sogar programmieren, bei welchen Außentemperaturen automatisch die Sitzheizung oder die Sitzlüftung aktiviert wird. Gott, was uns da früher in der automobilen Steinzeit, als wir im Sommer noch wild an den Fenstern gekurbelt haben, so alles entgangen ist. Was vergessen? Ja, die stylischen Sportsitze der R-Line-Ausstattung des Tiguan kommen standesgemäß mit integrierten Kopfstützen.

Serienmäßig hat das Auto selbstverständlich alle gängigen Assistenzsysteme dabei. Neben „Side Assist“ (Spurwechselassistent), „Front Assist“ (Notbremssystem), „Lane Assist“ (Spurhaltassistent) und „Rear View“ (Rückfahrkamera) auch die Verkehrszeichenerkennung. Dazu offerieren sich diverse optionale Systeme, zum Beispiel der „Park Assist Plus“ fürs automatische Aus- und Einparken per Smartphone-Fernbedienung über eine Strecke von bis zu 50 Metern, was sich dann für den täglichen Gebrauch sogar speichern lässt. Oder der „Trailer Assist“ als digitaler Helfer in der Not beim unangenehm kitzligen Rangieren mit Anhänger.

Und wie fährt sich der neue VW Tiguan? Das erfahren Sie im zweiten Teil.

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