Die BMW Group ist auf der Erfolgsspur. Letztes Jahr verkaufte der Automobilhersteller mehr als 2,5 Millionen Fahrzeuge. Eine halbe Million davon war elektrifiziert. Damit sind die Bayern Nummer eins im Premiumsegment – noch vor Mercedes-Benz. Um erfolgreich zu bleiben, fährt das Unternehmen weiterhin einen klaren Kurs und strukturiert sein weltweites Produktionsnetzwerk seit ein paar Jahren grundlegend um, mit dem Ziel, es möglichst krisenfest zu machen.

EDISON sprach am Rande der jährlichen Logistikkonferenz der Bundesvereinigung Logistik (BVL) und des Verbands der Automobilindustrie (VDA) in Wörth am Rhein mit Michael Nikolaides, dem Leiter Logistikmanagement der BMW Group und globale Strategie, über die Herausforderungen gerade für deutsche Automobilhersteller in der Zukunft.

Michael Nikolaides
Der promovierte Physiker leitet seit Februar 2022 das Logistikmanagement der BMW Group und ist für die globale Strategie und den Betrieb des Automobilherstellers verantwortlich, einschließlich der Transformation auf ein hochgradig vernetztes, nachhaltiges und vorausschauendes Lieferkettenmanagement.
Michael Nikolaides
Der promovierte Physiker leitet seit Februar 2022 das Logistikmanagement der BMW Group und ist für die globale Strategie und den Betrieb des Automobilherstellers verantwortlich, einschließlich der Transformation auf ein hochgradig vernetztes, nachhaltiges und vorausschauendes Lieferkettenmanagement.

Nikolaides beschreibt vor allem vier Kriterien als zukünftig wettbewerbsentscheidend: die Fähigkeit der Integration, zu Resilienz, Digitalisierung und anderen Innovationen. „Die Logistik“, sagt der promovierte Physiker, der vor seiner jetzigen Position viele Jahre als Senior Vice President für Motoren- und elektrifizierte Antriebsstränge zuständig war, „ist vom Möglichmacher zum Wettbewerbsentscheider geworden.“

Herr Nikolaides, spielt bei Ihnen die Elektromobilität keine herausragende Rolle?

Natürlich tut sie das. Nur haben wir uns als BMW produktseitig bewusst mit dem ‚Power of Choice’ Ansatz platziert. Das bedeutet: Wir nennen kein Ausstiegsdatum für den Verbrennungsmotor. Wir glauben vielmehr an die Parallelität der Technologien. Wir möchten unseren Kunden die Wahl überlassen und stellen unsere Produktion daher sehr flexibel auf.

A propos Flexibilität. Wie kriegen Sie die hin?

Ich verantworte bei BMW die globale Logistik inbound wie outbound und gleichzeitig auch die Gestaltung und Steuerung des gesamten globalen Produktionsnetzwerks. Das zeigt schon, welche Bedeutung wir in der Bündelung dieser beiden Funktionen dem Thema Logistik und der Beherrschung der Supply Chain beimessen.

„Wir glauben an die Parallelität der Technologien. Wir möchten unseren Kunden die Wahl überlassen und stellen unsere Produktion daher sehr flexibel auf.“

Klingt einleuchtend, aber wie stellen Sie sich konkret auf, um resilient gegen Krisen zu sein angesichts globaler makroökonomischer sowie geopolitischer Imponderabilien und einer insgesamt diffusen Fülle von Parametern?

Eigentlich kommen wir aus einer Historie, wo die Logistik ein Möglichmacher war und oft unter Effizienzaspekten betrachtet worden ist. Durch die Krisen der letzten Jahre, aber auch durch die Volatilität und die eigentlich nicht mehr vorhandene Möglichkeit für Prognosen sehen wir: Wenn man die Steuerung des Produktionsnetzwerkes inklusive der Gesamtlogistik, die dazugehört, beherrscht und wenn man die Resilienz auch gegen Schwankungen aufstellt, dann wird das zu einem zentralen Wettbewerbsvorteil. Auch für ein globales Automobilunternehmen.

Gibt es Faktoren, die man nicht beeinflussen kann?

Das ist ja genau die Welt, die sich abzeichnet. Wir können einfach nicht mehr vorhersagen, was passiert – sowohl produktseitig als auch produktionsseitig. Letzteres wegen geopolitischer Verwerfungen. Wir haben uns als BMW produktseitig bewusst mit dem ‚Power of Choice’ Ansatz positioniert.

Und wie steht es mit der Elektrisierung?

Unsere Devise impliziert überhaupt nicht, dass die Elektromobilität bei uns nicht zentral ist. Wir haben im letzten Jahr weltweit 375.000 rein elektrische BMW verkauft. Und über eine halbe Million mit elektrifizierten Antrieben, also reine BEV und PHEV. Trotzdem sehen wir, dass für viele Jahre mit Sicherheit noch die Parallelität der Antriebe da ist. Das gesamthaft zu beherrschen, das ist eine logistische Herausforderung. Denn damit haben Sie im Vergleich zu früher unterschiedlichste Produktions- und Produktgenerationen, die Sie parallel haben müssen.

Hommage an die Historie
Ab 2025 will BMW mit der sogenannten Neuen Klasse wie einst in den 1960er Jahren ein neues Kapitel aufschlagen.

Wie wollen Sie das meistern?

Wie Sie beispielhaft an unserem Stammwerk in München sehen, fahren wir genau deshalb integriert in einem Produktionssystem alle Antriebsarten. Und am Ende ist die Logistik an der Stelle die Disziplin, die ein solches Produzieren ermöglicht. Wir können sehr schnell auf Schwankungen reagieren. Wenn zum Beispiel die Nachfrage nach elektrischen Modellen sinkt, dann können wir mit unserem Logistiksystem sofort reagieren und die schwankende Nachfrage bedienen.

Das heißt also, Verbrenner produzieren oder die Produktion gar zu drosseln?

Gemeint ist die Umstellung zum Beispiel auf Verbrenner. Aktuell laufen all unsere Werke unter Volllast, und dies ist auch für 2024 prognostiziert. Daher gilt bislang das Gegenteil von drosseln, da die Nachfrage nach wie vor sehr hoch ist. Zudem bauen wir unser Stammwerk München ja derzeit um für die Produktion der Neuen Klasse.

Was passiert da?

Die Neue Klasse ist einerseits eine Hommage an die Historie. Die 1960er Jahre waren ein Neuanfang für BMW – zu der Zeit war es nicht gut bestellt um das Unternehmen. Damals hat man ‚die neue Klasse“ etabliert, die dann die Basis war für die BMW Dreier und Fünfer Limousine. Davor gab es die sogenannten Barockengel. Wunderschön, aber sehr teuer – und die Isetta sehr klein. Mit der neuen Klasse kam damals die Basis für neue Limousinen in den Sechziger-Jahren. Diese Neue Klasse hat damals den Konzern in eine neue und erfolgreiche Ära gebracht. Und genauso wie damals stehen wir jetzt an einem Wendepunkt. Deswegen haben wir die Neue Klasse als neue Fahrzeugarchitektur ab 2025 verkündet – und sie wird im Prinzip in die komplette Modellpalette ausgerollt werden.

Verraten Sie uns, wo diese Fahrzeuge gebaut werden?

Jetzt kommt genau das Prinzip zu tragen, das wir local for local nennen. Doch der Reihe nach: Diese neue Klasse wird auch in München eine Heimat bekommen. Dafür bauen wir unser Stammwerk komplett um, investieren über 650 Millionen Euro. Also ein klares Bekenntnis zum Standort Deutschland. Andererseits ist es eine logistische Großherausforderung – es ist eine Operation am offenen Herzen, weil es im laufenden Betrieb geschieht. Allein in München produzieren wir täglich tausend Fahrzeuge und bereiten flankierend den neuen Standort vor. Diese Integrationsfähigkeit, wie wir es nennen, wird über die Logistik ermöglicht. Das ist der eine Punkt, wo die Logistik unserer Meinung nach eine zentrale Rolle spielt als Wettbewerbsvorteil.

„Wir sehen, dass Disruptionen zunehmen.“

Aber was ist nun local for local?

Unser local for local beantwortet für die Logistik die zentrale Frage, sich resilient in der Welt aufzustellen.

Stichwort Lieferkette?

Exakt. Wir sehen, dass diese Disruptionen zunehmen. Was wir auch sehen – und das betrifft dann den gestalterischen Aspekt der Logistik, der wichtig wird: Wir müssen leider damit rechnen, dass geopolitische Spannungen zunehmen werden. Mit anderen Worten: Die Zeit der 1990er Jahre, als wir von barrierefreiem Welthandel ausgehen konnten, wird es auf absehbare Zeit so nicht mehr geben.

Wie reagieren Sie darauf?

Wir haben zentral in unserer Logistikstrategie den Ansatz local for local verankert. Er gilt für alle unsere Produktionsstandorte, also für Europa, den amerikanischen und den asiatischen Wirtschaftsraum. Wir halten es für geboten, die Supply Chain zu entflechten.

Wendige Schnellboote statt eines schwerfälligen und störungsanfälligen Tankers an schlimmstenfalls einem Hauptsitz allein?

So könnte man es umschreiben. Man sieht das sehr schön an der Neuen Klasse. Heißt: Die sechste Generation unserer eDrive Technologie und damit der neue Elektroantrieb wird in alle Fahrzeugwerke kommen. Dabei geht es um die Frage: Wo wird die neue zentrale Komponente, der Energiespeicher, produziert?

Nämlich?

Wir werden in der Nähe jedes Werks eine Produktionsstätte für unsere Akkus haben. Dieser Logik folgend entsteht in Woodruff in South Carolina seit letztem Sommer ein Produktionsstandort für die Energiespeicher, die dann in unserem großen Werk in Spartanburg verbaut werden. Woodruff ist gerade mal sechs Meilen von Spartanburg entfernt. Genau das ist der Ansatz von local for local. Das gilt genauso für San Luis in Mexiko – auch dort wird die Neue Klasse produziert. Und auch dort haben wir rund 800 Millionen Euro in ein neues Montagezentrum für Hochvoltbatterien investiert und um die Modelle der Neuen Klasse zu integrieren. Entsprechendes gilt für die Neue Klasse in China am Produktionsstandort Shenyang. Die Neue Klasse wird dort ab 2026 gebaut. Nicht zu vergessen Bayern – da sind wir als BMW besonders stark vertreten, in München, Dingolfing und Regensburg – und bald auch in der Nähe von Straubing. Dort etablieren wir unser neues Produktionswerk für Hochvoltspeicher. Das gibt uns Resilienz gegen Schwankungen.

Local for Local
Visualisierung des neuen BMW-Batteriewerks Woodruff. Ab 2026 werden hier Hochvoltbatterien für die Elektroautos produziert, die im nahegelegenen US-Werk Spartanburg gebaut werden.
Local for Local
Visualisierung des neuen BMW-Batteriewerks Woodruff. Ab 2026 werden hier Hochvoltbatterien für die Elektroautos produziert, die im nahegelegenen US-Werk Spartanburg gebaut werden.

Andere sprechen vom Metaverse, BMW vom Omniverse. Wie kommt das bei BMW ins Spiel?

Wichtig für eine gesunde Logistik sind neben dem oben Genannten natürlich auch Innovationen und Digitalisierung. In der Krise haben wir gesehen, wie wichtig Echtzeitfähigkeit und Datentransparenz sind. Und gerade wenn man über neue Konzepte nachdenkt, ist etwas ganz entscheidend vor Inbetriebnahme eines Werks. Das hat bei uns dazu geführt, dass wir, bevor wir ein neues Werk in Betrieb nehmen, dieses schon zu einhundert Prozent digital abbilden.

Sie bauen also gewissermaßen am Computer einen digitalen Zwilling.

Genau. Ein gutes Beispiel ist das neue Werk in Ungarn, das derzeit entsteht. Bevor es wirklich physikalisch läuft, läuft es schon im Omniverse. Wenn Sie einen digitalen Zwilling haben von Ihren Anlagen, Ihrer Fabrik, Ihrer ganzen Logistik, dann können Sie sehr viel vorab testen. Sie können zum Beispiel so einen autonomen Trailer einsetzen und sehen, was da passiert. Tatsächlich nutzen wir die sogenannten smart transport robots, also voll autonomische elektrische Transportplattformen, die wir in der Intralogistik einsetzen. Als BMW haben wir im Jahr 2020 die Tochter Idealworks dafür gegründet. Über 600 dieser autonomen mobilen Roboter namens iw.hub haben wir bereits im Einsatz. In Dingolfing und Regensburg kann man sie erleben. Diese Transportplattformen bringen natürlich Effizienzpotential. Und weil der Fachkräftemangel ein immer drängenderes Problem wird, kann eine solche Innovation bestimmte Aufgaben übernehmen.

BMW schaut also trotz zunehmender Konkurrenz auch aus Asien optimistisch in die automobile Zukunft?

Wir glauben in der Tat, auf gutem Weg zu sein, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Wichtig ist mir bei alledem zu betonen, dass uns als BMW die Nachhaltigkeit sehr am Herzen liegt. Da muss die Logistik natürlich ihren Part leisten – mit all den alternativen Verkehrsträgern und mit Partnern. Das reicht vom LNG-, Wasserstoff- und Elektro-Truck bis zur globalen Schifffahrt. Auch da müssen wir nachhaltig und CO2 frei werden.

Herr Nikolaides, vielen Dank für das Gespräch.

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