Dass die Chinesen die billigeren und vielleicht auch besseren Elektroautos bauen, damit haben sie auch in Zuffenhausen mittlerweile zu leben gelernt. Schließlich konnten sie sich dort noch immer damit trösten, dass ihnen Peking auf der Piste nicht gefährlich wird – und niemand bessere Sportwagen baut als Porsche. Doch jetzt wackelt auch dieser Thron und ausgerechnet ein Handyhersteller pulverisiert mit seinem automobilen Erstling die Porsche-Bestzeiten.
Und zwar nicht irgendwo, sondern auf der Nordschleife des Nürburgrings, die sie bei den Schwaben gerne ihr Wohnzimmer nennen, weil fast jede Baureihe dort schon eine Bestzeit eingefahren hat. Die des Porsche Taycan ist jetzt allerdings Geschichte und die des Porsche Panamera gleich mit. Denn nach seiner 7:04.957 Minuten-Runde ist nun der Xiaomi SU7 Ultra das schnellste serienmäßige Elektroauto und zugleich der schnellste Viertürer auf dem legendären Eifelkurs.
Kein Wunder, dass die Chinesen fast platzen vor Stolz und die Kunden dem Apple-Konkurrenten die Bude einrennen: Während der Taycan in China – genau wie die meisten Elektroautos aus Deutschland – in Shanghai und Peking steht wie Blei, hat Xiaomi vom Ultra in zehn Minuten fast 7000 Autos verkauft. Und nach zwei Stunden war die Jahresproduktion von 10.000 Exemplaren vergriffen. Und das, obwohl er mit einem Grundpreis von umgerechnet 67.800 Euro mehr als doppelt so viel kostet wie die Einstiegsversion. Aber anderseits ist selbst die vom Rekordrenner abgeleitete „Nürburgring-Edition“ mit gut 100.000 Euro nicht einmal halb so teuer wie der Taycan Turbo GT mit Weissach-Paket, der den Rekord bislang gehalten hatte.
Erst bei 350 km/h wird abgeregelt
Wer einen der raren Ultras ergattert, der kann sich auf was gefasst machen – wie wir bei einer Testfahrt in Peking erleben durften. Selbst wenn die volle Leistung von irrwitzigen 1139 kW oder 1548 PS vom Navi jenseits der Rennstrecke auf 476 kW (648 PS) gedrosselt wird und deshalb weder die fabelhaften 1,98 Sekunden von 0 auf 100 möglich sind noch die Höchstgeschwindigkeit von 350 km/h (für die man in China wahrscheinlich lebenslänglich bekäme), bringt der Ultra den Fahrer beim Kickdown an seine Grenzen. Und zwar gleich doppelt. Physisch, weil der Kopf dabei so heftig gegen den Sitz knallt, dass man am besten schon vorher ein paar Aspirin einwirft. Und auch mental – weil die Auffassungsgabe für so einen Blitzschlag aus heiterem Himmel gar nicht schnell genug ist.

Unser Autor durfte den Xiaomi in Peking im Straßenverkehr bewegen. Beim Kickdown kam er an seine Grenzen: Physisch, weil der Kopf heftig gegen den Sitz knallte. Und mental – weil die Auffassungsgabe für den Blitzschlag aus heiterem Himmel nicht schnell genug ist.
Für diesen Kraftakt hat Xiaomi jetzt noch einmal kräftig nachgelegt. Wo beim gewöhnlichen SU7 mit auch schon eher ungewöhnlichen 500 kW Schluss war, satteln sie jetzt noch einmal fast 670 kW oben drauf. Dafür bauen sie im Heck ihre euphemistisch „V8s“ genannten Elektromotoren ein, die mit bis zu 27.200 Touren schneller drehen als die allermeisten anderen E-Maschinen. Dazu gibt’s einen 800 Volt-Akku, der mit 93,7 kWh eine chinesische Normreichweite von 630 Kilometern ermöglicht.
Laden mit bis zu 489 Kilowatt
Und der beim Laden genauso Tempo macht wie auf der Nordschleife. Wer die entsprechende Schnellladesäule findet, kann mit bis zu 489 kW rechnen und schafft den Hub von 10 auf 80 Prozent so im besten Fall in elf Minuten. Weil sie es ernst meinen mit der Rennerei, haben sie auch den Temperaturhaushalt der Zellen, die Kühlung und die Lüftung optimiert: Zwei Runden auf der Nordschleife schafft der Ultra deshalb ohne zu überhitzen, versprechen die Entwickler. Über mehr müssen sie sich ohnehin keine Sorgen machen. Denn wenn nicht gerade ein Profi am Steuer sitzt, ist spätestens nach der zweiten Runde auch der Fahrer am Ende. Ach ja, und eine Goldmedaille haben sie ihm gleich auch noch umgehängt: Das Logo auf der Fronthaube hat 24 Karat.

Im Navi unseres Testwagens ist die Nordschleife des Nürburgrings abgespeichert – für alle Fälle. Fotos: Thomas Geiger
Doch die Chinesen wollen nicht nur bei der E-Technik punkten und mit spektakulären Quartett-Werten. Die Ingenieure haben sich auch in den klassischen Disziplinen ein paar Fleißkärtchen verdient: Mit fast sechs Quadratmetern Karbon in der Karosse wiegt er trotz des schweren E-Antriebs nur wenig mehr als zwei Tonnen. Das Zweikammer-Luftfeder-Fahrwerk ist verbindlich und vertrauenserweckend, die riesigen Karbonbremsen haben mehr Biss als ein chinesischer Drache im Zorn, das Flügelwerk garantiert die nötige Downforce und die Lenkung hält so eisern den Kurs wie früher die kommunistische Partei. Abweichungen sind ausgeschlossen.
Xiaomi kommt frühestens 2027 nach Europa
Obwohl der Xiaomi die Fahrleistungen eines Supersportwagens hat und diese auch ähnlich bestimmt auf die Straße bringt, ist er keine böse Bestie, die den Fahrer jederzeit fordert. Sondern er gleitet ganz gelassen und mit einem erstaunlichen Maß an Restkomfort über die Ringstraßen der chinesischen Hauptstadt. Selbst die Hinterbänkler in dem bei drei Metern Radstand vergleichsweise geräumigen Fond haben keinen Grund zur Klage.
Zwar ist Porsche genau wie die anderen deutschen Hersteller im China bei der Elektrifizierung langst in die zweite Reihe durchgereicht worden. Und mit dem Sensationserfolg des zweiten Xiaomi-Modells YU7, das sich bei der Premiere vor wenigen Tagen in nur drei Minuten über 200.000 Mal verkauft hat, droht jetzt dann bald die dritte Liga. Doch zumindest bei uns haben die alten Champions noch ein wenig Schonfrist: Vor 2027 will Xiaomi den Weg in den Westen nicht antreten.