Emmanuel Bouvier ist seit Juli 2018 kaufmännischer Leiter des Elektroauto-Geschäfts von Renault und damit verantwortlich für den Teil des Autokonzerns, der gerade das dynamischste Wachstum aufweist – und auf dem die Franzosen ehrgeizige Absatzziele verfolgen. Mit der Zoe ist die Marke aktuell in 44 Ländern weltweit und bald auch in Südkorea vertreten, mit dem City-Flitzer Twizy, dem Kleinlieferwagen Kangoo und dem Transporter Master sind in Europa drei weitere Modelle mit Elektroantrieb im Angebot. In China wurde kürzlich der Verkauf des elektrischen City-SUV K-ZE gestartet, der unter der Marke Dacia – und hoffentlich einer anderen Modellbezeichnung – ab 2021 auch in Europa angeboten werden. Schon früher geht eine Elektroversion des Twingo an den Start. Und weitere sieben Modelle sollen noch bis 2022 folgen. Jede Menge Arbeit also für den Betriebswirt, der seit über 20 Jahren für Renault tätig ist. Wir trafen ihn in Paris, wo Renault einer exklusiven Runde vorab die Modellneuheiten des Genfer Automobilsalons (5.-15. März) vorstellte – und ein spektakuläres Konzeptauto.

Herr Bouvier, viele Experten sind der Meinung, dass 2020 Schaltjahr wird, das Jahr, in dem das Elektroauto den Durchbruch erlebt. Teilen Sie die Einschätzung?

Durchaus. In den zurückliegenden zwei Jahren haben wir bereits eine steigende Nachfrage nach Elektroautos erlebt. Allein im vergangenen Jahr betrug das Absatzplus in Europa 75 Prozent. Wir haben jetzt einen Punkt erreicht, an dem einige der Barrieren, die das Wachstum in der Vergangenheit gebremst haben, wegfallen. Deshalb erwarte ich, dass sich der Markt weiterhin dynamisch entwickeln wird.

Die wachsende Zahl von Elektroautos wird vor allem in den Städten zum Problem, belegen aktuelle Zahlen zum Ausbau der Ladeinfrastruktur. Der Verband der Automobilindustrie schlägt bereits Alarm. Laden

Welche Barrieren gab es denn aus Ihrer Sicht bisher?

Die wichtigste war technischer Art: Die eingeschränkte Autonomie aufgrund begrenzter Reichweiten von Elektroautos. Mit der neuen Batterie in der neuen Zoe gibt es eigentlich keine Reichweitenangst mehr, kommen Sie bis zu 400 Kilometer weit. Das schlägt sich auch in der Nachfrage nieder. Im Januar haben wir insgesamt 22 Prozent mehr Elektroautos verkauft als im Vorjahresmonat. Bei der Zoe, die wir in 44 Märkten weltweit anbieten, betrug das Auftragsplus sogar 140 Prozent. Der Trend zeigt also klar nach oben. Nicht nur in Europa: Der Verkauf des elektrischen City-SUV K-ZE in China ist sehr vielversprechend gestartet: Wir haben auf Anhieb einen Marktanteil von 5 Prozent in dem Segment erobert.

Das gestiegene Interesse an Elektroautos führen Sie im Wesentlichen auf die verbesserten Leistungsdaten der Fahrzeuge zurück?

Natürlich hilft auch die Unterstützung der Antriebstechnik durch die Politik. In vielen Märkten werden Elektroautos inzwischen gefördert. Hinzu kommt, dass die Ladeinfrastruktur deutlich an Sichtbarkeit gewonnen hat. Das schafft Vertrauen, baut ebenfalls Barrieren ab. Und ich denke, das steigende Interesse an Elektroautos ist auch darauf zurück zu führen, dass das Fahrzeugangebot wächst und Interessenten inzwischen mehr Wahlmöglichkeiten haben. Und das auch in ganz unterschiedlichen Marktsegmenten.

Nämlich?

Bis zum vergangenen Jahr waren wir, um nur einmal Renault zu nehmen, mit der Zoe nur im B-Segment und mit dem Kangoo im Markt für kompakte Nutzfahrzeuge unterwegs. Wir haben damit aber nur etwa 25 Prozent des Gesamtmarktes abgedeckt. Wir werden in diesem Jahr unser Angebot mit dem Twingo Z.E sowie mit einem kleinen SUV von Dacia nach unten ins A-Segment erweitern, um auch Menschen mit einem kleinen Budget eine Möglichkeit zu geben, weiterhin mit dem Auto in die Innenstadt zu gelangen.

Das Klein- und Kompaktwagensemgent hätten Sie damit ganz gut abgedeckt. Andere Hersteller fokussieren sich auf die Mittel- und Oberklasse, weil dort ganz andere Gewinnspannen zu erzielen sind. Dort ist Renault seit dem Produktionsstopp für den Fluence Z.E. 2014 nicht mehr vertreten.

Aktuell nicht. Aber das Konzeptauto Morphoz ist nicht nur eine Design-Studie. Sie gibt auch einen konkreten Hinweis daraus, in welche Richtung wir unser Angebot an Elektroautos mit Hilfe der neuen modularen CMF-EV Plattform für die Allianz mit Nissan und Mitsubishi weiterentwickeln wollen.

Wann werden wir das erste Auto auf der neuen Plattform sehen?

Schon im kommenden Jahr, also schon morgen. Die Plattform wird uns helfen, über Skaleneffekte die Kosten massiv zu reduzieren. Das ist wichtig, denn die Förderung von Elektroautos durch staatliche Incentives wird in den kommenden Jahren sinken. Zudem erlaubt sie uns, unseren Kunden funktionale Vorteile zu bieten – zum Beispiel ein größeres Platzangebot. Und wir können Fahrzeuge unterschiedlicher Radstände, mit unterschiedlichen Karosserieformen und auch Batteriekapazitäten leichter und schneller darstellen. Dadurch können wir unseren Kunden zusätzliche Anreize bieten, sich für ein Elektroauto zu entscheiden.

Erstes Auto auf der neuen Plattform
Mit dem Konzeptauto Morphoz will Renault demonstrieren, wie einfach es ist, Elektroautos mit unterschiedlichen Batteriegrößen auf einer intelligenten Plattform zu realisieren. Foto: Renault

Das Morphoz-Konzept sieht nicht nur vor, das Platzangebot je nach Bedarf und Einsatzzweck zu variieren. Es spielt auch mit der Idee, die Reichweite des Fahrzeugs durch einen Batterietausch temporär zu vergrößern. Wollen Sie etwa das Wechsel-Batterie-Konzept von „Better Place“ reaktivieren?

Das Batterie-Wechselsystem von Better Place war ein Experiment. Die Kunden, die vor zehn Jahren an dem Versuch teilnahmen, waren von der Idee sehr angetan. Einige wollten ihr Auto nicht mehr zurückgeben, als wir das Experiment im Jahr 2013 aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit beendeten und die Wechselstationen in Israel stilllegten. Um Ihre Frage zu beantworten: Zu Better Place wollen wir nicht zurück. Wir wollen mit dem Morphoz-Konzept nur demonstrieren, dass es sehr einfach ist, auf der Basis einer intelligenten Plattform Elektroautos mit unterschiedlichen Batteriegrößen zu realisieren.

Ohne Einschränkung Stadt-tauglich
Der neue Renault Twingo Z.E. hat eine Batterie mit 21 Kilowattstunden Speicherkapazität an Bord. Bis zu 250 Kilometer können damit emissionsfrei zurückgelegt werden. Foto: Uli Sonntag

Was uns zur Frage bringt: Wie groß sollte die Speicherkapazität der Batterie für ein Elektroauto sein. Sie bieten die Zoe mit zwei Akkugrößen von 40 und 50 Kilowattstunden an. Volkswagen wird sein Kompaktauto ID.3 mit Batterien anbieten, die zwischen 45 und 77 Kilowattstunden Strom speichern können. Weil es mehr Reichweite bringt, aber auch mehr Prestige. Werden Sie dem Trend folgen?

Nein, dieses Wettrüsten machen wir nicht mit. Wenn wir größere Batterien anbieten, dann nicht aus Prestigegründen. Wir müssen aber in jedem Segment ein glaubwürdiges Angebot machen und die Erwartungen der Kunden erfüllen. 350 Kilometer Reichweite ist für die meisten Käufer eines Elektroautos im B-Segment mehr als genug. Im C-Segment, bei einem Auto mit einem vergleichsweise großzügigen Platzangebot, werden wir vermutlich mehr bieten müssen, eine Reichweite von 400 oder auch 500 Kilometer, weil das Auto häufiger für längere Strecken genutzt werden wird. Aber eine Reichweite von 1000 Kilometer sicher nicht. Das wäre ineffektiv, nicht nur von den Kosten her, sondern auch wegen der Verschwendung von Ressourcen. Es wird also wichtig sein, die richtige Größe zu finden. Auch mit Blick auf die Ladezeiten: Je größer die Batterie, desto länger steht man an der Ladesäule. Und für den, der wirklich 1000 Kilometer an einem Stück fahren möchte, bieten wir bessere Lösungen: Wir bauen bekanntlich gerade unser Angebot an Plug-in-Hybriden deutlich aus.

E-Tech im Gepäck
Den Kompakt-SUV Captur bietet Renault ab Sommer auch als Plug-in-Hybrid an, mit einem innovativen Getriebe und einer elektrischen Reichweite von über 50 Kilometer. Foto: Uli Sonntag

Das klingt sehr pragmatisch.

Das sind wir auch. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen der Kunden. Was nicht heißt, dass wir  Elektroautos ausschließen,  die Spaß machen, sich sportlich bewegen lassen. Aber es werden immer erschwingliche Volumenfahrzeuge sein, keine exklusiven Prestigefahrzeuge. Das wäre auch für unseren CO2-Fußabdruck nicht gut.

Vor dem Hintergrund wundere ich mich allerdings, warum Sie den Twingo erst jetzt mit einem Elektroantrieb bringen. Das Schwestermodell Smart Forfour gibt es bereits seit 2017 als Stromer. War es eine strategische Entscheidung, dem Partner Daimler in dem Segment den Vortritt zu lassen?

Nein, damit hat das nichts zu tun. Der eigentliche Grund ist, dass wir vor drei, vier Jahren bereits die Zoe auf dem Markt hatten mit einer Batterie von 22 Kilowattstunden und einer Reichweite von 200 Kilometer. Ein kleineres Stadtauto mit ähnlicher Performance hätte da keinen Sinn gemacht – die beiden Modelle hätten sich nur gegenseitig kannibalisiert. Inzwischen ist die Zoe einerseits erwachsener und auch langstreckentauglich geworden. Und auf der anderen Seite wird es aufgrund der Umweltgesetze immer schwerer, mit einem Verbrennungsmotor in die Städte zu kommen. Deshalb ist heute die Nachfrage nach kleinen Elektroautos heute wesentlich größer als damals, als wir uns zum ersten Mal mit der Frage beschäftigten. Und deshalb ziehen wir jetzt die Karte.

„Erwachsener geworden“
Renault Direktor Emmanuel Bouvier vor der neuen Renault Zoe.

Den Preis für den Twingo haben Sie noch nicht bekannt gegeben. Wollen Sie erst noch die weitere Entwicklung des Marktes abwarten?

Der Twingo ist heute schon aufgrund seiner Wendigkeit der „König der Stadt“, der auch mit Benzinantrieb schon viele Anhänger hat. Diese Fans wollen wir weiter bedienen – wir werden den Twingo auch weiterhin als Benziner anbieten. Den optimalen Preisspot zu finden für die Variante mit Elektroantrieb, ist da keine einfache Sache. Und, na klar, müssen wir auch sehen, was der Wettbewerb in der Zwischenzeit macht.

Was würden Sie sagen: Wann wird Renault mehr Elektroautos als Verbrenner verkaufen?

Ich habe leider keine Glaskugel, die mir das sagen könnte. Wir wollen bis 2022 auf einen Anteil der Elektroautos am Gesamtabsatz von 15 Prozent kommen. Aber wir können auch nicht unseren Kunden vorschreiben, was sie zu kaufen haben. Trotzdem hoffe ich natürlich, dass wir bald auf über 50 Prozent kommen werden. Denn das würde sich deutlich auf meinem Konto niederschlagen (Lacht).

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