Ein 5,19 Meter mächtiger Roadster mit endlos langer Motorhaube… Audi stellt ihn auf riesige 23-Zoll-Räder und öffnet ein Fenster zur Designphilosophie künftiger Modelle. Ein visionärer, mit emotionalen Designmerkmalen aufgeladener Zweisitzer steht vor uns, mit Proportionen eines Achtzylinder- oder gar Zehnzylinder-Hochleistungsroadsters. „Was soll das?“, fragen wir Audi-Chefdesigner Marc Lichte. Gerade ist Audi doch auf die Überholspur Richtung Elektromobilität abgebogen…

Lichte hebt die Augenbrauen, gestikuliert in seiner unverkennbaren Art und weckt unsere Neugier: Dieses Konzeptfahrzeug wird von einer E-Maschine über die Hinterrädern angetrieben, leistet 465 kW (632 PS) und entwickelt 750 Nm Drehmoment.

Karosserie streckt sich auf Knopfdruck um 25 Zentimeter

„Batterie-elektrische Audi müssen ebenso emotional ansprechen wie es Verbrenner taten und aktuell noch tun“, führt Lichte aus. Das „Skysphere“ getauften Konzeptfahrzeugs fasziniert den Betrachter zunächst mit erlernten Roadster-Proportionen. Doch diese sind variable zugunsten zweier Nutzungsprofile: Für Selbstfahrer misst der Roadster 494 cm in der Länge, für autonomes Fahren streckt er sich auf 519 cm. Eine ausgeklügelte Mechanik mit verschiebbaren Karosserie- und Rahmenteilen, gesteuert von elektrischen Stellmotoren, bewegt dafür den Vorderwagen in Längsrichtung und der Radstand variiert um 25 Zentimeter. Neben den zu erwarteten veränderten Fahreigenschaften – handlich, sportlich mit kürzerem und komfortabler mit längerem  Radstand – fokussiert Lichtes Team insbesonders auf die Variabilität des Interieurs.

Audi streck Dich
Audi-Designchef Marc Lichte (links) erläutert dem Autor das Konzept des knapp fünf Meter langen Elektro-Roadster, dessen Radstand sich auf Knopfdruck und im Modus „Autonomes Fahren auf Level 4 um 25 Zentimeter verlängern lässt. Foto: Audi

Dahinter steckt die Idee, den Roadster mit kurzem Radstand und Lenkrad einschliesslich Pedalerie auszustatten. Verlängert sich der Radstand für den Fahrmodus „Autonomes Fahren nach Level 4“, verschwinden Lenkrad und Pedalerie aus dem Aktionsfeld der Insassen. Sie fahren unter den Armaturenträger, der sich gleichfalls von den Passagieren entfernt. Dadurch entsteht ein üppig dimensionierter Innenraum, ein sphärisches, nach oben offenes Raumgefühl, das der Studie den Namen verleiht.

Audi-Designer haben für die IAA drei neue Konzeptautos entwickelt. Einen vollelektrischen Sportwagen, ein Stadtauto und eine Luxuslimousine. Welches schafft es wohl bis auf die Straße? Elektroauto

In diesem sogenannten „Grand Touring“-Modus geniesst der Fahrer maximale Beinfreiheit und eine Fülle von Unterhaltungsfunktionen des digitalen Ökosystems, das der riesige LED-Bildschirm abbildet. Beide Insassen können jetzt im Web surfen, Videokonferenzen folgen oder Streamingdienste nutzen. Der verglaste Bildschirm erstreckt sich nahtlos über die gesamte Breite des Interieurs. Eine clevere Lösung, mit der Lichte die Trommel für ein neues Verständnis von Luxus in Zeiten der Elektromobilität rührt.

Inspiriert vom Horch 853 Sportcabrio aus 1935

Bedient werden die Funktionen per Sprachbefehl. Nur die Klimaanlage steuern die Insassen über kapazitive Bedienflächen in den Türen. Selbstverständlich sind auch nachhaltige Materialien verbaut. Das Designer-Mobiliar ist mit entsprechend hergestelltem Mikrofasergewebe bezogen. Es kommt ökologisch zertifiziertes Eukalyptusholz und synthetisches Ledersurrogat zum Einsatz.

„Warum greifen Sie, um die zwei Charaktere des Fahrzeugs darzustellen, auf Retro-Proportionen zurück?“, wollen wir wissen. Und wieder winkt Lichte heftig ab: „Am Skysphere ist nichts retro!“ Allein die Verkehrsfläche ähnele dem luxuriösen Roadster Horch 853 aus den 1930er Jahren, der in 2009 beim Concours d’Elegance in Pebble Beach/Monterey den Schönheitswettbewerb gewann. Nur sie diene als Referenz, weil der Skysphere dort in wenigen Tagen erstmals das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

Traumwagen der 1930er Jahre für Selbstfahrer
Das zweitüriges Horch 853 Sportcabriolet von 1935 hatte einen Reihenachtzylinder mit 120 PS Leistung unter der langen Motorhaube. Auf Wunsch wurde es schon mit elektrischen Fensterhebern geliefert. Foto: Audi Tradition

Tatsächlich folgt das Exterieur-Design modernen Audi-Merkmalen, überhöht diese teilweise dramatisch. Ein riesiger Singleframe beherrscht die zwei Meter breite Front. Nicht als Kühlergrill, sondern Bühne für visuelle Effekte, die die Aussenwelt über den jeweiligen Fahrmodus informiert. Das der aerodynamischen Idealform folgende Heck trägt ebenfalls eine LED-Fläche über die gesamte Breite. Sie wird für allerlei Lichtspielereien genutzt. An den Flanken fallen kraftstrotzende Radhäuser auf. Dazwischen breite Seitenschweller, die dem beweglichen Vorderwagen als Gleitschienen dienen.

Wir verstehen, dass Lichtes Team zur gleichzeitigen Darstellung des sportlichen Charakters eines Fahrerauto sowie des üppigen Luxus eines autonom fahrenden Autos einen Roadster gewählt hat, den Audi Skysphere Concept. Doch an eine Serienfertigung diese Verwandlungskünstlers glauben wir nicht. Statt zuzustimmen, verweist Marc Lichte auf ein weiteres Konzeptfahrzeug, das er für die IAA 2021 in München verspricht. Der Audi Grandsphere Concept werde den Interieur-Luxus auf die Spitze treiben – als Limousine. Und in 2022 dürfte Lichtes Team mit dem Audi Urbansphere und dessen Luftigkeit eines autonom fahrenden Stadtfahrzeugs für Diskussionsstoff sorgen.

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