China ist seit vielen Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner. Aktuell sind die Beziehungen jedoch etwas angespannt. Weil sich China nicht in die Anti-Russland-Front eingliedern mag, wegen des Taiwan-Konflikts, auch wegen angeblicher Menschenrechts-Verletzungen in Xinjiang, der westlichsten Provinz Chinas. Für den chinesischen Technologiekonzerns BYD – „Build your Dreams“ – dürfte es also nicht ganz einfach werden. Aber der aktuell weltgrößte Hersteller von Elektroautos, der im ersten Halbjahr mit einem Absatz von 641.000 Stromern selbst Tesla überflügelte, lässt sich dadurch nicht schrecken: Im Oktober startet der Daimler- und Toyota-Partner mit drei Elektroautos seine langgeplante Europa-Offensive. In Norwegen hat das Unternehmen mit dem SUV Tang Ende vergangenen Jahres bereits einen Pflock eingeschlagen – nun sollen unter anderem mit der Händlergruppe Hedin auch Kunden in Deutschland, Schweden, den Niederlanden und Dänemark für die E-Autos made in China gewonnen werden. Mit dem Tang, der Luxuslimousine Han, vor allem aber mit dem Familienauto Atto 3.
BYD feilt noch an der Preisliste
Die Voraussetzungen dafür sind – lässt man die politischen Rahmenbedingungen mal außen vor – eigentlich ganz gut. Allen drei Auto hat der ehemaligen Audi- und Alfa-Designchef Wolfgang Egger gefällige Karosserien geschneidert. Die Namen der Modelle mögen gewöhnungsbedürftig sein – die Fahrzeuge, die wir jetzt auf einem ehemaligen Militärflughafen im holländischen Valkenburg erstmals bewegen durften, wissen aber durchaus zu gefallen. Mit einer guten Verarbeitung, hochwertigen Materialien, einem ordentlichen Platzangebot und einer üppigen Serienausstattung. Um die Preise wird allerdings noch ein großes Geheimnis gemacht. Diese sollen erst nach dem Pariser Autosalon verraten werden.
In Norwegen wird der 4,87 Meter lange und siebensitzige Tang mit einer 86,4 kWh großen Batterie und einem 380 kW (517 PS!) starken Antrieb für umgerechnet rund 60.000 Euro angeboten. Die gleich starke, in der Topversion ebenfalls allradgetriebene und mit knapp fünf Meter etwas längere Limousine Han dürfte einige Tausend Euro teurer werden. Auch wegen seines luxuriösen Passagierabteils, das unverkennbar Anleihen bei Mercedes-Benz genommen hat. Kein Wunder: Interior-Designer Michele Domenico Jauch-Paganetti war in gleicher Funktion viele Jahre für die Stuttgarter tätig.
BYD Atto 3 vs. VW ID.4
Die größten Hoffnungen der Chinesen ruhen allerdings auf dem Atto 3. Das Wort stammt aus dem skandinavischen und steht für ein Trillionstel, die 3 verortet das „Familiy Car“ in der Kompaktklasse. Mit einer Länge von 4,45 Metern ist der frontgetriebene SUV fast so groß wie der VW ID.4 (4,58 Meter). Aber auch der Kia e-Niro und Hyundai Kona sowie der Renault Megane E-Tech Electric sind von den Marketingstrategen von BYD in der niederländischen Zentrale wohl als direkte Wettbewerber ausgemacht.
Um gegen die Konkurrenz bestehen zu können, hat der Atto 3 einen 150 kW (204 PS) starken Elektromotor sowie eine „Blade“ genannte „ultra-sichere“ und besonders temperaturfeste Lithium-Eisen-Phosphat (LFP)-Batterie mit einer Speicherkapazität von netto 60,5 kWh (65 kWh brutto) spendiert bekommen sowie – als erstes Elektroauto von BYD überhaupt – die nagelneue e-Plattform 3.0 sowie die 8-in-1 genannte Antriebseinheit mit einem Gesamtwirkungsgrad von angeblich 89 Prozent. Reichweiten von etwa 420 Kilometern lassen sich damit darstellen. Im reinen Stadtverkehr stromert der Atto 3 sogar bis zu 562 Kilometer, ehe er an eine Ladesäule muss.
DC-Laden mit maximal 85 kW
Theoretisch wäre mit dem Technikpaket auch problemlos eine 800-Volt-Architektur darstellbar, verkündeten die BYD-Strategen stolz bei der Präsentation des Fahrzeugs nahe Leiden. Doch wohl aus Kostengründen entschied sich die Konzernzentrale dafür, es vorerst bei einer Spannung von 400 Volt zu belassen – und den Atto nur mit einer maximalen DC-Ladeleistung von 85 kW nach Europa zu schicken. Immerhin soll die maximale Ladeleistung lange Zeit gehalten werden, so dass der Akku an einer Schnellladesäule innerhalb von 30 Minuten von 30 auf 80 Prozent gefüllt werden kann. Deutlich länger dürfte aber stehen, wer mit einer weitgehend entleerten Batterie vor der Ladesäule ausrollt.
Unsere Prognose: Die niedrige Ladeleistung dürfte das größte Handicap des Elektroautos auf dem deutschen Markt sein – bei VW und Renault fließt der Gleichstrom inzwischen an der DC-Säule mit 130 kW. Tendenz steigend. Dadurch sind immerhin auch Fernfahrten mit einem Stromer möglich.
Gitarrensaiten und ein schwenkbarer Monitor
Dass der Atto 3 hier nicht mehr bietet, ist umso bedauerlicher, als er ansonsten durchaus zu glänzen weiß. Mit einer tollen Sprachsteuerung, ordentlichen Fahrleistungen, einer großzügigen Ausstattung und einem ansprechenden Interieur, das vor allem bei einem jüngeren Publikum gut ankommen dürfte: Der Gangwahlhebel ähnelt dem Schubhebel eines Düsenjets. Das 15,6 Zoll große Zentraldisplay lässt sich per Knopfdruck am Lenkrad um 90 Grad schwenken. Und Gegenstände werden in den Seitentaschen von drei bunten Spanngummis fixiert – die wie Gitarrensaiten aufgespannt sind. Beim Transport von Kleinkindern auf der Rücksitzbank dürfte der Fahrer da starke Nerven brauchen: Die Verlockung, die Spanngummis zum Musizieren zu nutzen, ist einfach zu groß.
Wünschen würde man sich – neben einer höheren Ladeleistung an der Gleichstrom-Station – statt solcher Spielereien – ein Navigationssystem mit einer vorausschauenden Ladeplanung sowie die Möglichkeit, Ladevorgänge mithilfe des Plug&Charge-Standards weitgehend zu automatisieren. Beides ist beim BYD Atto 3 bislang nicht eingeplant. Dafür die Möglichkeit, eine Anhängerkupplung nachzurüsten.
Den Rest muss der Preis richten. In Australien bietet BYD den Atto 3 mit der 60 kWh-Batterie für umgerechnet 32.849 Euro an. Das wäre schon einmal ein Orientierungspunkt. In wenigen Wochen wissen wir mehr.
Leider aus China…