Im November 2024 hat Jaguar ein vielfach beachtetes Rebranding gestartet: Die Schriftart wurde grundlegend modernisiert und die klassischen bildlichen Jaguar-Logo – der Leaper und der Growler – gegen ein Monogramm eingetauscht – eine Entwicklung, die in den letzten Jahren auch bei zahlreichen Modemarken zu beobachten war. Jaguar scheint sich komplett von seiner Heritage abnabeln zu wollen. Medial wird dieses Vorgehen überwiegend sehr kritisch aufgenommen.

Jonas Wagner, 46
Der 46-jährige Diplom-Kaufmann und Marketing-Experte ist Partner bei Berylls by Alix Partners und Geschäftsführer von Berylls Mad Media. Seit mehr als 20 Jahren ist er beratend in der Automobilindustrie tätig. Wagner begleitet die Strategie- und Organisationsentwicklung führender Automobilhersteller in der Transformation Ihres Vertriebs und Marketing. Vor seiner Tätigkeit bei Berylls war er bei der Strategieberatung Oliver Wyman für Automobilhersteller im In- und Ausland tätig. Foto: Berylls

Konkrete Pläne von Audi sehen ebenfalls einen Bruch mit der Markentradition vor: Der deutsche Hersteller hat eine Submarke speziell für den chinesischen Markt entwickelt. Sie heißt zwar AUDI, verzichtet aber auf die tradierten vier Ringe. Die Produkte, die AUDI unter dieser Marke ab 2025 verkauft, werden vom chinesischen Partner SAIC entwickelt und lokal produziert – ein radikaler Shift in der Wertschöpfung.

Audis Abkehr von der eigenen Geschichte

Durch den Verzicht auf die vier Ringe versucht AUDI seinen Markenkern Vorsprung durch Technik zu bewahren. Dieser Kern soll nicht direkt mit den von SAIC entwickelten Fahrzeugen in Verbindung gebracht werden. Gleichzeitig legen Sie diesen Anspruch bewusst ab, um sich im chinesischen Markt als Marke neu positionieren zu können. Ein radikaler Schritt, der aber nicht nur auf Skeptiker stößt.

Vier Buchstaben statt vier Ringe 
Mit dem in China vorgestellten Konzeptfahrzeug zeigt Audi bereits heute, dass es dem Unternehmen um weit mehr geht als eine Neuausrichtung der Marke. Das traditionelle Markenemblem der Auto-Union aus den 1930er-Jahren fehlt hier völlig. Foto: Audi
Vier Buchstaben statt vier Ringe
Mit dem in China vorgestellten Konzeptfahrzeug zeigt Audi bereits heute, dass es dem Unternehmen um weit mehr geht als eine Neuausrichtung der Marke. Das traditionelle Markenemblem der Auto-Union aus den 1930er-Jahren fehlt hier völlig. Foto: Audi

Diese Beispiele illustrieren, dass das Thema Heritage für geschichtsträchtige Autohersteller durchaus eine Bürde darstellen kann. In kritischen Situationen, beispielsweise wenn die Verkaufszahlen abstürzen, kann es gute Argumente für eine Abkehr von (großen) Teilen der Geschichte geben.

Rebranding als Ausdruck des Turnarounds

Beide Marken sehen Ihre Zukunftsfähigkeit in Gefahr: Sowohl Jaguar als auch Audi kämpfen – global und insbesondere in China – seit Jahren gegen dramatischen Absatzrückgang. Der Jaguar-Marktanteil ist von guten zwei Prozent in den frühen 2010er Jahren auf nur noch 0,08 Prozent desaströs eingebrochen. Audi verzeichnete in China im vergangenen Jahr Absatzeinbrüche im zweistelligen Prozentbereich.

Das radikale Rebranding (gepaart mit einer neuen Fahrzeugsubstanz) soll den Abwärtstrend stoppen, bestenfalls umkehren und zeigt, dass beide Hersteller ihre Geschichte als Last und weniger als Chance werten, bei Audi vorläufig nur in China. Der Markenshift ist der für jeden Kunden sichtbare Ausdruck des Turnarounds eines Herstellers. Ziel ist es ein frischeres, jüngeres und zukunftsfähiges Bild zu erzeugen, um eine positive Bewertung der eigenen Innovationsfähigkeit und lokalen Nähe zu schaffen. Audi belegt durch das vorgestellte Konzeptfahrzeug bereits heute, dass es um weit mehr geht als die Neuausrichtung der Marke. Auch Jaguar hat eine vollständig neue vollelektrische Produktausrichtung und Marktpositionierung angekündigt, bei gleichzeitigem Stopp der aktuellen Produktion.

Neue Zeiten
Das Werbevideo von Jaguar, das eine bunte Schar von extravagant gekleideten Menschen aller Hautfarben mit schrägen Haarschnitten, aber kein einziges Auto zeigte, traf in den Sozialen Medien auf heftige Reaktionen. Foto: Jaguar
Neue Zeiten
Das Werbevideo von Jaguar, das eine bunte Schar von extravagant gekleideten Menschen aller Hautfarben mit schrägen Haarschnitten, aber kein einziges Auto zeigte, traf in den Sozialen Medien auf heftige Reaktionen. Foto: Jaguar

Der eingeschlagene Weg von Jaguar kann – trotz aller Kritik – durchaus zum Erfolg führen. Er hat das Potenzial, vor allem in China neue Zielgruppen mit seiner Radikalität zu erschließen. Jaguar kann hier Kunden erreichen, die die Marke und ihre Historie noch gar nicht erlebt haben. Das provokante Design der ersten Studie gibt einen Ausblick darauf, wie sehr sich Jaguar als ausdrucksstarkes, modernes Statussymbol positionieren wird.

In einem Markt, den heimische BEV-Hersteller dominieren, wird der Markteintritt allerdings keinesfalls einfach. Gleichzeitig muss sich Jaguar global als Marke neu erfinden und muss in allen Regionen seine Zielgruppe identifizieren und weitestgehend neu erobern. Denn traditionelle Jaguar-Kunden äußern sich bisher eher negativ zum Markenshift. Dass sie verloren gehen können, nimmt Jaguar mit der Neuausrichtung der Marke billigend in Kauf.

Andere Automobilhersteller zeigen auf unterschiedlichste Weise, wie sie ihre Geschichte mit Zukunft verknüpfen und in wichtige Touchpoints mit dem Kunden einbinden. Mercedes-Benz baut seit Jahren seine Geschichte stark in die Kommunikation ein: Dazu gehört auch, die regelmäßige Selbstreferenz als Erfinder des Automobils oder das Remake ikonischer Modelle wie dem Vision One-Eleven. Diese Tendenz findet ersten Einzug in die Produktlinien: Die G-Klasse wird um den vollelektrischen EQG und Mini-G zu einer ganzen Produktfamilie erweitert. Das ikonische Fahrzeug-Design wird somit weiter „ausgeschlachtet“, obwohl die Eigenschaften dieser neuen Modelle weit von den (mit der Produktmarke „G“ unwiderruflich verbundenen) Kompetenzen der ursprünglichen G-Klasse entfernt sind; kein ungefährlicher Spagat zwischen Wahrung der Heritage und Ausdruck der Zukunft.

Gewagter Spagat 
Das ikonische Design des G-Modells von Mercedes-Benz bleibt erhalten, obwohl die Eigenschaften der neuen Elektroautos mit den Kompetenzen der ursprünglichen G-Klasse nicht mehr viel gemein haben. Foto: Mercedes-Benz
Gewagter Spagat
Das ikonische Design des G-Modells von Mercedes-Benz bleibt erhalten, obwohl die Eigenschaften der neuen Elektroautos mit den Kompetenzen der ursprünglichen G-Klasse nicht mehr viel gemein haben. Foto: Mercedes-Benz

Bei Porsche spiegelt sich die Heritage ebenfalls sehr stark im Produktportfolio wider. Das ikonische Design des 911 wird bewusst in jedem weiteren Produktionsmodell des Herstellers zitiert. Jeder Kunde, unabhängig davon, welches Porsche-Modell er kauft, erwirbt ein Stück Zuffenhausener-Sportwagengeschichte. In Form der 911er-Modellreihe bettet Porsche seine Heritage über limitierte Sondermodelle oder Hommage-Ausstattungen vielfach direkt ins aktuelle Produktportfolio ein. Über viele Jahre erfolgreich, ist aber auch dieses Vorgehen kein Allheilmittel: Der Fahrzeugabsatz wird nicht automatisch zum Selbstläufer, so zeigen die jüngsten Absatzherausforderungen, insbesondere in China. Hier spielen die Rennsiege der Vergangenheit bei den oft sehr jungen Kunden keine Rolle.

Heritage als Chance

Heritage kann eine Chance sein und wertstiftend in Wachstum und Zukunftsgeschichte einer Marke eingeflochten werden. Auch jenseits der Automobilbranche gibt es zahlreiche Beispiele, wie starke Marken konstant Brücken zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Heritage und Innovation schlagen. Für den Erfolg braucht es jedoch einen „organischen“ Zusammenhang, der vom Kunden verstanden wird. Für einen solchen Erfolg sind das starke Bewusstsein für die eigene Herkunft, positive Erfahrungen im Umgang mit dieser sowie eine klare strategische Ausrichtung unabdingbar.

Eine Marke wie Jaguar könnte Elemente aus der Vergangenheit bewusst und explizit im Produktdesign aufgreifen. Auch in der Kommunikation könnte Jaguar regelmäßig ikonische Markenmomente zitieren und die Marke prägende Fahrzeuge oder Ereignisse einbinden. Viele erfolgreiche Marken im Luxussegment stellen die Balance zwischen Heritage und Zukunft sicher, indem sie sowohl beim Produkt als auch in der Kommunikation bewusst zwischen explizit retro und hoch innovativ wechseln.

Luxus-Audioschmuck
Mit einer Halskette, die nicht nur Schmuckstück ist, sondern auch eine Uhr sowie Kopfhörer sowie ein Mikrofon mit Fernbedienungsfunktion integriert, steigt das Modehaus Chanel in den boomenden Markt von Wearables ein. Foto: Chanel.

Gerade jenseits der Automobilbranche ist diese Verbindung von Tradition und Innovation ein bewährtes Rezept. Louis Vuitton forciert auf der einen Seite ihre Heritage als Kofferhersteller – in Produktlinien, in den Namen der Produkte oder mit dem ikonischen LV-Pattern. Gleichzeitig engagieren Sie richtungsweisende Designer wie Virgil Abloh oder Pharell Williams, um die Marke immer neu zu erfinden.

Chanel wagte sich jüngst in das Design von Tech Wearables. Dennoch vergeht kaum eine Kollektion ohne eine Referenz auf das weltweit bekannte Chanel Tweedkostüm.

Das Urteil fällt der Kunde

Das abschließende Urteil über den Umgang mit der Heritage fällen die Endkunden, die entweder Vertrauensverlust und Missverständnisse mit ihrem Kaufverhalten abstrafen oder zu Fürsprechern und Fans der Marke werden.

Ein radikaler Umbruch kann einer am Abgrund stehenden Marke zum wirtschaftlichen Aufschwung verhelfen. VW hat es geschafft: Der frontgetriebene kantige Golf konnte seinerzeit das Unternehmen retten, als sich mit dem rundlichen heckgetriebenen Käfer kein Geld mehr verdienen ließ. Auch Audi-Partner SAIC durfte sich bereits als Retter einer untergegangenen Marke verdient machen, hat mit der Tochter MG einer ehemaligen britischen Marke neues Leben eingehaucht. Immerhin haben die Chinesen MG das vertraute achteckige Logo belassen, als kleine Reminiszenz an längst vergangene glorreiche Tage.

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