In der Elektromobilitätsbranche und unter E-Auto-Fahrern derzeit heiß diskutiert: das bidirektionale Laden. Diese Technologie ermöglicht es, die Batterie eines E-Autos als Energiespeicher zu nutzen und den gespeicherten Strom zu einem späteren Zeitpunkt entweder in den eigenen Haushalt („Vehicle to Home“, kurz V2H) oder in das Stromsystem („Vehicle2Grid“, kurz V2G) zurückzuspeisen. Ist das Auto als mobiler Energiespeicher Hype oder Game Changer? Ich bin überzeugt: Bidirektionales Laden wird in der Elektromobilität eine große Rolle spielen.
Vehicle-to-Grid für Energiesystem und Klimaschutz
Im Durchschnitt bewegt sich ein Auto nur ein bis zwei Stunden pro Tag, die restliche Zeit steht es. Durch bidirektionales Laden kann das Elektroauto in dieser Standzeit Mehrwerte für seine Besitzer, für Stromkunden und für das Energiesystem schaffen. Die dafür notwendige Steuerung der Stromflüsse – in die E-Auto-Batterie und aus ihr heraus – passiert dabei intelligent und automatisiert.
Das Elektroauto könnte so am Energiemarkt eine aktive Rolle spielen: Es nimmt Energie auf und gibt sie wieder ab und kann dadurch ungeplante Schwankungen im Energieverbrauch und in der Stromeinspeisung ausgleichen. Der Besitzer des E-Autos bekäme für das zeitweise Zurverfügungstellen des Fahrzeugakkus eine Vergütung. Wir nehmen an, dass in wenigen Jahren ein Großteil neuer E-Autos bidirektional geladen werden kann. Bereits heute sind einige solcher Modelle auf dem Markt und es werden stetig mehr.
E-Autos werden zur Schwarmbatterie
Besonders interessant wird das Potenzial sein, das ein Verbund von mehreren Fahrzeugen, bzw. deren Speicherkapazität, bereithält. Stellt man sich bidirektionale Lösungen mit vielen tausenden E-Autos vor, kann eine Art Schwarmbatterie mit etlichen Megawattstunden Speicherkapazität entstehen – ein gewaltiger Hebel. Die smarte Nutzung so vieler Akkus böte die Möglichkeit, grünen Strom in großen Mengen dezentral zu speichern und zu verteilen, um so die Ökostromnutzung zu maximieren und das Stromnetz zu entlasten.
Wer jetzt denkt, dass das E-Auto dann gar keinen Strom zum Fahren mehr hat, muss keine Sorge haben: Denn nur ein vorher festgelegter Teil der Batteriekapazität wird für Vehicle-to-Grid beim bidirektionalen Laden genutzt werden und auch das nur, wenn die Fahrerin oder der Fahrer dem zustimmt und am jeweiligen Tag keine längeren Fahrten plant. Auch kleine nutzbare Energiemengen pro Elektroauto machen in Summe einen großen Unterschied für unser Energiesystem: Würde pro Fahrzeug nur ein Viertel der Batteriekapazität zur Verfügung gestellt werden, erreicht man Hochrechnungen zufolge bereits 2030 eine Gesamtspeicherkapazität, die doppelt so hoch ist, wie die aller Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland zusammen. Ein zusätzlicher Pluspunkt der Batteriespeichertechnologie: Die Energie ist in Sekundenschnelle abrufbar und kann sofort zur Verfügung gestellt werden.
Technologische und regulatorische Herausforderungen lösen
Durch die Integration von E-Autos in das Stromnetz könnte zum einen der Anteil erneuerbarer Energie am Gesamtenergiebedarf in Deutschland weiter erhöht werden. Zum anderen könnten die Autobatteriespeicher große Mengen Energie von Windkraft- und Solaranlagen gezielt aufnehmen und in Zeiten geringer Erzeugung wieder abgeben. Damit kann dann das Hochfahren von fossilen Kraftwerken mit den damit verbundenen CO2-Emissionen reduziert werden.
Bis der Einsatz von bidirektionalem Laden im breiten Markt verfügbar ist, müssen aber noch einige regulatorische, prozesstechnische und technologischen Herausforderungen gelöst werden. Erst dann können sich die Potenziale des bidirektionalen Ladens voll entfalten. Eine Voraussetzung ist beispielsweise die Verfügbarkeit von Lösungen, die auf gemeinsamen, offenen Standards basieren, damit Fahrzeug, Ladepunkt, Energiemanagementsystem und Netzanschlusspunkt miteinander „sprechen“ und funktionieren können. Dies erfordert eine standardisierte Kommunikation im gesamten Prozess, vom Fahrzeug bis ins Backend des Energieversorgers und bei der Einbindung des Netzbetreibers.
Die technischen, regulatorischen und organisatorischen Hemmnisse müssen abgebaut werden, damit bidirektionales Laden so bald wie möglich zu einem Bestandteil eines robusten und intelligenten Stromnetzes werden kann.
Gemeinsam den breiten Markt erreichen
Im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte arbeiten wir gemeinsam mit Partnern intensiv am Start des bidirektionalen Ladens im großen Stil. Dazu gehört das Forschungskonsortium „BDL Next“ – als Nachfolger des Projekts Bidirektionales Lademanagement (BDL). Das Ziel des Innovationsprojekts ist die Massenmarkttauglichkeit des bidirektionalen Ladens. Gefördert wird das dreijährige Vorhaben vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
E.ON übernimmt dabei die Integration des bidirektionalen Ladens in den Energiemarkt. Das heißt, die Flexibilitäten, also die verfügbaren Akkukapazitäten der gebündelten bidirektionalen Fahrzeuge werden an den Strommarkt angebunden, um sie dem Markt zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört auch ein transparentes und effizientes Abrechnungs- und Messkonzept.
Neben E.ON sind an dem Forschungsprojekt die FfE aus München als Projektleitung, BMW, Bayernwerk, TenneT, KEO und Compleo beteiligt. Die wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch das KIT, die Universität Passau und die EBZ Business School.
Die Zukunft des intelligenten Ladens ist bidirektional
Ich bin überzeugt: Bidirektionales Laden wird zukünftig eine bedeutende Rolle spielen. Was wir jetzt brauchen, sind Plug & Play-Lösungen für das bidirektionale Laden im breiten Markt, um so die großen Vorteile zu nutzen, die die Technologie uns Fahrerinnen und Fahrern, der Energiewende und der Umwelt bringen kann.