Lommel, Belgien. Abgesperrte Teststrecke von Ford. Vor uns steht der F-150 Lightning. Was für ein Monster von Pick-up-Truck. 5,91 Meter lang, fast zwei Meter hoch, drei Tonnen schwer. Mehr Pick-up geht nicht. Der Ford F-150 ist seit fast fünf Jahrzehnten das meistverkaufte Auto in den USA. Groß, robust, zuverlässig und vielseitig. Es gibt keine Gegend, in dem nicht ein Modell am Straßenrand steht. Es ist quasi der VW Golf unter den Pick-up-Trucks in den USA.
Und jetzt gibt es den F-150 auch als F-150 Lightning vollelektrisch. Und das Team Edison bei Ford unter Leitung des Briten Darren Palmer dachte konsequent elektrisch und stattete den Pick-up nicht nur mit einem elektrischen Antrieb aus, sondern gleich mit mehreren Steckdosen für externe elektrische Verbraucher. Nicht nur reine USB-Ports, sondern richtige Haushalts- oder Werkstattsteckdosen. Damit wird er im Notfall zur Powerstation. Aber zunächst stellt sich mal die Frage: Wie fährt sich der Truck im XXL-Format?
Auf der 3,2 Quadratkilometer großen Teststrecke in Lommel gibt es einige Strecken, die sind wie gemacht für den F-150: 80 Kilometer Teststrecke, steile Berge, matschige Wege, sandige Pisten, Waldstücke und ein paar Feldwege. Eine wahre Spielwiese.
Ein Ruck an dem massiven Griff und die schwere Tür öffnet weit, ein Fuß stützt sich auf das breite Trittbrett und mit dem anderen geht es gleich ins Innere. Hoch thronen die Passagiere über dem Verkehr, blicken über eine nicht enden wollende Fronthaube. Innen begrüßt der Ford die Passagiere mit viel Platz, einer breiten Mittelkonsole und reichlich Kunststoff. Mit einem heftigen Rück schließen wir die Türen, fühlen uns in Belgien wie in den USA. Ein Blick auf die riesigen Außenspiegel, den massiven Blinker nach unten gedrückt, geht es über eine kleine Handlingsstrecke los.
Konservatives Design ohne Firlefanz
Auf den ersten Metern fallen neben der Ruhe, dem vibrationsfreien Rollen auch die riesige Armlehne in der Mittelkonsole mit einem noch riesigeren Fach darunter auf. Per Knopfdruck versenkt sich der Automatikwählhebel und eine breite Platte lässt sich ausklappen. Dafür findet dann ein Laptop Platz. Infos übers Auto sehen wir uns über das 15,5-Zoll-Hochkantdisplay an, eine Reihe tiefer befindet sich der Schalter für den Drive-Modus. Neben Eco und Hillclimb gibt es auch Sport. Sport?
Das weich abgestimmte und komfortable Fahrwerk passt dazu nicht wirklich, auch nicht die schlabbrige Lenkung mit dem großen Spiel. Doch ausreichend Power besitzt der F-150. Je nach Antrieb verteilt der Ford 377 kW/ 452 PS über alle vier Räder, in der Topversion leistet der F-150 Lightning satte 580 PS und 1050 Newtonmeter Drehmoment. Damit kann der Lightning sportlich – wenn man ihn nur lässt.
Ein Tritt aufs Pedal und ein gewaltiger Schub setzt ein: Der Hinterkopf drückt sich fest an die Kopfstütze und Ford sprintet von 0 auf 100 km/h in rund 4,5 Sekunden. Die E-Maschinen reagieren direkt auf den Gasbefehl, bieten sofort die volle Power. Dass die Höchstgeschwindigkeit bei 165 km/h liegt, dürfte in den USA weniger entscheidend sein, üblicherweise sind dort maximal 85 mph erlaubt, also höchstens 137 km/h. Auch die hohe Wankneigung bei Kurvenfahrt sind eingefleischte Pick-up-Fahrer und Cowboys gewohnt.
Auf dem kleinen Handlingskurs beschleunigen wir auf einer kleinen Gerade. Die grobstolligen Reifen fangen an zu Wummern, das Lenkrad zittert leicht, vor der nächsten Kurve geht es voll in die Eisen, bis die Front leicht in die Federn einsackt. Mit Schwung geht es durch die erste Kurve. Die Fahrkabine neigt sich stark zur Seite, richtet sich auf der nächsten Gerade ebenso schnell wieder auf – nichts für Beifahrer, die schnell unter Reisekrankheit leiden. Genug auf Asphalt gespielt, wir wollen dahin, wo der F-150 hingehört – ins Gelände.
Stark im Gelände – und als Werkzeug
Wir baggern uns im Kriechgang durch den matschigen Untergrund, hören nur das Schmatzen des Schlamms in den Reifen und der Federn. Leise krabbeln wir eine 50-Prozent-Steigung hoch, streifen mit den Außenspiegeln ein paar Äste und schauen bald nur noch in den Himmel. Von dem hohen Gewicht keine Spur, von Traktionsverlust noch weniger. Bei Bergabfahrt bremst das elektronische System uns ab, verhindert so ein Rutschen oder Schlingern. Lässig steuern wir den Ford durch den Parcours, als wären wir mit einem kleinen Geländewagen unterwegs. Seine wahre Stärke liegt eben im Gelände und im Arbeitsbereich. Das dürfte dann auch den letzten Cowboy überzeugen.
Und ein paar nette Features. Statt eines Verbrenners sitzt unter der großen Fronthaube eine große schwarze Schale mit rund 400 Liter Fassungsvermögen. In dem Frunk – ein Akronym aus Trunk (Kofferraum) und Front (vorne) – passen Werkzeug, Camping-Ausstattung oder Gepäck. Darin lässt sich erstmals bei einem Pick-up-Truck empfindliche Ladung einschließen und schützen – bisher ein Argument für ein SUV und gegen einen Pick-up. zudem gibt es bis zu elf Steckdosen fürs Camping, den Heimwerker, Handwerker oder als Notversorgung für Zuhause.
Übertrieben? Im Land der Hurrikans und Schneestürme ist ein Stromausfall über Tage keine Seltenheit und ein Notstromaggregat gehört zur Pflichtausstattung jedes Hauses auf dem Land. Je nach Ausstattung und Nutzung kann der Lightning einen Haushalt etwa drei Tage mit Strom versorgen. Der Standard-Akku fasst mindestens 98 kWh, der große Akku bei der Topversion 131 kWh. Damit soll der Truck bis zu 560 Kilometer weit fahren. Fürs schnelle Zwischenladen liegt das 400-Volt-Bordnetz bereit, die DC-Schnellladung verträgt allerdings lediglich maximal 150 kWh, einmal vollladen von 15 auf 80 Prozent dauert dann allerdings rund 40 Minuten.
F-150 Lightning auch für Europa?
Der Lightning beginnt bei knapp 40.000 Dollar, bietet vier Ausstattungsvarianten an, die Topvariante kostet mit allen Extras mehr als 90.000 Dollar. Einen großen Unterschied zu den Versionen mit Verbrennungsmotor macht Ford nicht. Während Teslas Cybertruck und Rivian R1T durch ihr futuristisches Design eine neue Avantgarde ansprechen, setzt Ford auf ein konservatives Design ohne Firlefanz. Außer einem LED-Bogen an Bug und Heck, ein paar blitzigen Schriftzügen und der Ladeklappe für die Steckdose unterscheidet sich der Pick-up-Truck optisch von seinen Verbrennern kaum. Damit eröffnet Ford der Elektromobilität eine neue Zielgruppe und bahnt ihr den Weg in die Mitte der Gesellschaft – die der eher konservativen Autofahrern in den USA.
Wenn Kunden ihn denn überhaupt bekommen. Denn die für dieses und nächstes Jahr vorgesehenen Einheiten sind schon längst vergriffen. Nach 200.000 unterzeichneten Kaufverträgen gab es erst einmal einen Bestellstopp, denn Ford kann nur 150.000 Fahrzeuge pro Jahr im Rouge Electric Vehicle Center in Dearborn bauen. Und das, obwohl sie bisher rund 700 Millionen Dollar in das neue Werk in Michigan investiert haben.
Bis 2030 will Ford hier komplett elektrisch werden. Derzeit bereitet Ford in Dearborn eine elektrische Variante des SUV Explorer für den Serienstart vor. Und die so wichtigen Nutzfahrzeuge sollen bis spätestens 2035 folgen. Ob die elektrische Variante des F-150 nach Deutschland kommt, steht noch nicht fest. Aber der praktische elektrische Pick-up wäre eine Alternative zu Transportern mit Verbrennern.