Die Internationale Energieagentur (IEA) hat in einem Bericht skizziert, wie die Welt bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreichen kann. Die wichtigste Botschaft: Es darf ab sofort keine Neuinvestitionen in Projekte zur Förderung von Kohle, Öl und Gas mehr geben, wenn dieses Ziel erreicht werden soll.

Für die Energieagentur ist der Bericht eine deutliche Kehrtwende. In der Vergangenheit wurde der Organisation, die nach der Ölkrise 1974 gegründet wurde, vorgeworfen, zu sehr auf fossile Energie zu setzen und das Potenzial von erneuerbaren Energien kleinzurechnen.

Mit dem jetzt vorgestellten Bericht stellt die IEA ein Szenario vor, mit dem sie eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad für möglich hält – allerdings nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Der Großteil der Energie würde demnach künftig aus Solar- und Windenergie kommen. Viele Sektoren, die heute direkt mit fossilen Rohstoffen betrieben werden, müssten ihren Energiebedarf künftig elektrisch decken. Auch Wasserstoff würde eine wichtige Rolle spielen, etwa 20 Prozent des Stroms würde zum Betrieb von Wasserstoff-Elektrolyseuren genutzt.

Zweieinhalb mal so viel Strom im Jahr 2050

Für den Strombedarf hieße das, dass dieser 2050 zweieinhalb mal so groß wäre wie heute. Die Solar- und Windenergie müsste schnell ausgebaut werden – noch deutlich schneller, als das bisher passiert. Ab 2030 müssten demnach jährlich 630 Gigawatt an Solarleistung und 390 Gigawatt an Windkraft weltweit ans Netz gehen. Das ist etwa viermal so viel wie im vergangenen Jahr – und 2020 war bereits ein Rekordjahr.

Kohlekraftwerke sollen in Industrieländern 2030 stillgelegt werden, weltweit soll dies 2040 der Fall sein. Sowohl für die Nutzung von Kohle als auch von Öl sinkt der Verbrauch ab sofort und wird die bisherigen Höchstwerte nicht mehr erreichen.

Bei Erdgas sieht die Energieagentur noch einen Anstieg für wenige Jahre, Mitte der 2020er Jahre soll aber auch der Erdgasverbrauch sinken. Damit verbunden wäre auch ein baldiger Abschied von der Idee, dass Erdgas als Brückentechnologie noch eine vorübergehende Rolle im Klimaschutz spielen kann.

Keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr ab 2035

Der Absatz von Elektroautos steigt in dem Szenario in den nächsten zehn Jahren auf das 18-Fache, spätestens ab 2035 dürfte es weltweit keine neuen Verbrenner-Autos mehr geben. Sogenannte E-Fuels, also mithilfe von Strom hergestellte Kraftstoffe, spielen im Straßenverkehr in dem Szenario keine Rolle und würden aufgrund ihrer hohen Kosten vor allem im Flugverkehr eingesetzt. Im Schiffsverkehr soll Ammoniak eine wichtige Rolle als Treibstoff spielen.

Eine wichtige Rolle sieht die Energieagentur auch bei Verhaltensänderungen, vor allem im Verkehrsbereich. Flüge unter einer Stunde sollen nach Möglichkeit vermieden werden, wenn es alternative Zugverbindungen gibt, der Langstrecken-Flugverkehr soll nicht über das Niveau von 2019 wachsen.

Städte müssten weitgehend autofrei werden

Ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde wird ebenfalls vorgeschlagen. In Städten soll ein Großteil des Autoverkehrs durch öffentliche Verkehrsmittel sowie Rad- und Fußverkehr ersetzt werden. Das ist laut Energieagentur trotz des Umstiegs auf Elektromobilität sinnvoll, um den Gesamtenergieverbrauch zu senken.

Völlig vermieden werden Treibhausgasemissionen in dem Szenario nicht. Um Restemissionen auszugleichen, sollen Negativemissionstechnologien entwickelt werden. Dafür stehen im wesentlichen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: die Nutzung von Biomasse in Kombination mit der Carbon-Capture-and-Storage-Technologie, also der unterirdischen Einlagerung von Kohlendioxid, oder Direct Air Capture, die direkte Filterung von Kohlendioxid aus der Luft.

Die IEA galt als Sprachrohr der fossilen Industrie

Die Internationale Energieagentur galt lange eher als Sprachrohr der traditionellen Energieindustrie. Der Chef der IEA, Fatih Birol, startete seine Karriere in der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC). In den letzten Jahren wurde der IEA vor allem vorgeworfen, das Potenzial von Solarenergie massiv zu unterschätzen. Immer wieder veröffentlichte die IEA Prognosen, die im folgenden Jahr von der Realität überholt wurden.

Der jetzt veröffentlichte Bericht wird daher von vielen als Wendepunkt in der Politik der Energieagentur gesehen. Viele Klimaschützer loben den Bericht. „Wir sollten nie wieder einen IEA-Bericht sehen, in dem behauptet wird, dass Investitionen in neue Öl- und Gasversorgung notwendig sind“, kommentiert etwa die Organisation Oil Change International.

Kritik gibt es trotzdem vereinzelt. Der Energiewissenschaftler Mark Jacobson von der Universität Stanford bemängelt etwa, dass die Energieagentur weiter auf CCS und Atomkraft setze. Das führe nur zu noch mehr Kosten und Risiken.

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2 Kommentare

  1. Kurt Werner

    Technisch sind die genannten Ausbaugrößen machbar. Bisher waren aber große Widerstände vorhanden. Nicht zuletzt durch die Politik. Gerade von der Seite kommt immer wieder das Argument der „Dunkelflaute“. Was im Prinzip ein Argument gegen die Energiewende als solche ist. Wenn das ein unüberwindbares Hinderniss wäre, dann wäre die Energiewende vom Prinzip her nicht möglich. Bin gespannt wie dises Argument im beginnenden Wahlkampf genutzt wird.

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  2. Der Diktator

    „Ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde wird ebenfalls vorgeschlagen. “
    Ich würde Autos komplett abschaffen und nur noch Eselskarren erlauben. So spart man noch mehr CO2 ein und hat gleichzeitig Dünger für den Ökoanbau.
    Vor diesem radikalen Schritt, empfehle ich die Geschwindigkeit bei der Bahn zu drosseln. Ein langsamer Zug ist sparsamer und leiser als ein schneller. ICE nur noch mit Tempo 100 (ggf. später durch Esellokomotive antreiben)!
    Flugzeuge durfen nur noch per von Eseln gezogener Winde in die Luft gebracht werden. Dann dürfen diese in Richtung Ziel schweben. Ggf. müssen Zwischenlandungen erfolgen um den Flieger wieder in die Luft zu bekommen.

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