Die Internationale Energieagentur (IEA) sieht angesichts der steigenden Nachfrage nach Elektrizität die Kernkraft vor einer weltweiten Renaissance. „Wir erwarten für 2025 einen historischen Höchststand bei Atomstrom“, sagte IEA-Chef Fatih Birol in Paris, wo er den Sonderbericht „The Path to a New Era for Nuclear Energy“ vorstellte.

Das Interesse an der Atomenergie sei so groß wie seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren nicht mehr, heißt es in dem Bericht. Mehr als 40 Länder strebten einen Aus- oder Neubau von Kernkraftwerken an. Zu erwarten sie eine Verdopplung der Kapazität bis 2050. Weltweit seien 70.000 MW an neuen Kernkraftkapazitäten im Bau, eine der höchsten Zubauzahlen der letzten 30 Jahre.

China setzt auf Kernkraft
Im Bau befindliche Kernkraftwerkskapazitäten nach Region und nationaler Herkunft der Technologie, Stand: Dezember 2024. Grafik IEA

Zurzeit sind weltweit 420 Reaktoren am Netz. Die meisten davon befinden sich laut dem Bericht in fortgeschrittenen Volkswirtschaften, aber viele dieser Anlagen seien vor Jahrzehnten gebaut worden. In der Zwischenzeit verändere sich die globale Landkarte der Kernenergie. So würden mehr als die Hälfte der Projekte in China gebaut, das auf dem besten Weg sei, die Vereinigten Staaten und Europa bei der installierten Kernkraftkapazität bis 2030 zu überholen. Auch Russland sei ein wichtiger Akteur auf dem Gebiet der Kerntechnik. Von den 52 Reaktoren, die seit 2017 weltweit in Bau gingen, seien 25 chinesischer und 23 russischer Bauart. Europa habe der Kernenergie den Rücken zugekehrt, kritisierte Birol. In den 1990er-Jahren sei Europa mit einem Anteil von 35 Prozent Atomstrom noch ein Leader gewesen; heute betrage der Anteil weniger als 25 Prozent. Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr wurde hier mit Flamanville 3 lediglich ein neuer Reaktor in Betrieb genommen. In Deutschland hingegen waren im Frühjahr 2023 die letzten drei Kernkraftwerke vom Netz genommen worden. Ob übereilt und allein aus ideologischen Gründen, untersucht derzeit ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags.

Mini-Reaktoren mit großes Wachstumspotenzial

Die IEA gründet ihre Erwartungen an eine Renaissance der Kernkraft auf von ihr erhobene Daten zum steigenden Strombedarf. Sowohl klassische Industriezweige als auch neue Bereiche wie die Produktion und der Betrieb von Elektroautos sowie Klimaanlagen benötigten viel Strom. Auch die fortschreitende Digitalisierung mit ihren riesigen Datenzentren vergrößere den weltweiten Hunger nach Strom. Wegen Letzteren seien kleine modulare Reaktoren (SMR) im Kommen, denn die Datenzentren bräuchten eine unterbrechungsfreie Stromversorgung.

In Kooperation mit dem Branchendienst energate.

„Nuklearenergie ist eine sichere und saubere Energiequelle“, sagte Birol. SMRs seien leichter zu bauen als große Kernreaktoren und bekämen leichter Zugang zu Privatkapital. Die Staaten sollten den Investoren in Kernenergie mit De-RiskingMaßnahmen zur Erschließung von Finanzmitteln unter die Arme greifen, lautet eine Schlussfolgerung in dem Bericht. Die Europäische Investitionsbank ist diesbezüglich noch zurückhaltend, obwohl die EU-Kommission das Klimaziel für 2040 auch mit SMRs erreichen will.

Birol räumte zwar ein, dass die Kosteneinsparungserwartungen der IEA bei Mini-Reaktoren weniger optimistisch seien als die der Gesellschaften wie Rolls-Royce oder GE Hitachi, die derartige SMRs planen. Die IEA-Kostenschätzung für SMR von 60 bis 80 Dollar pro MWh lasse aber doch eine Wettbewerbsfähigkeit von SMR gegenüber Wasserkraftwerken und Offshore-Windanlagen vermuten. Sie würden in 15 Jahren so teuer sein wie große Wasserkraftwerke und Offshore-Windanlagen heute, so Birol.

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