68 Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms stammte im Juni aus erneuerbaren Quellen, aus Wasser- und Windkraftanlagen, auch aus der Verstromung von Biomasse. Mit knapp 24 Prozent lieferte laut „Electricity Maps“ allerdings die Solarenergie den größten Beitrag bei der Erzeugung von Grünstrom. Immerhin ist jetzt Sommer – und der Ausbau der Photovoltaik in Deutschland boomt.

Wer ein Eigenheim besitzt, über die nötigen finanziellen Mittel und technischen Möglichkeiten verfügt, montiert eine PV-Anlage auf dem Dach, um den Haushalt und das Elektroauto mit selbst erzeugtem Strom zu versorgen und von den großen Energieversorgern unabhängiger zu werden. Viele Fachbetriebe sind deshalb bis weit ins nächste Jahr hinein ausgebucht – und manche Netzbetreiber haben bereits Probleme mit dem Solarstrom, der von den Hausbesitzern nicht selbst verbraucht wird: Die Netze sind an manchen Tagen bereits bis zum Anschlag ausgelastet.

Melchior Schulze Brock 
Der frühere Investmentbanker hat Enviria 2017 gegründet - nachdem er beim Bauernhof seiner Eltern im Münsterland erlebt hatte, wie schwierig es sein kann, eine große Photovoltaik-Anlage auf einem Nichtwohngebäude genehmigt zu bekommen.
Melchior Schulze Brock
Der frühere Investmentbanker hat Enviria 2017 gegründet – nachdem er beim Bauernhof seiner Eltern im Münsterland erlebt hatte, wie schwierig es sein kann, eine große Photovoltaik-Anlage auf einem Nichtwohngebäude genehmigt zu bekommen.

Dabei ist das erst der Anfang. Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW Solar) rechnet damit, dass noch in diesem Jahr die Zahl der installierten Solaranlagen von drei auf vier Millionen steigt. Wegen des aktuellen Booms im Privatbereich, aber auch weil inzwischen viele Gewerbebetriebe unter dem Druck steigender Strompreise nun ebenfalls verstärkt in den Aufbau von PV-Anlagen investieren. „Die Potenziale sind riesig“, sagt Melchior Schulze Brock, Gründer und CEO des Solar-Startup Enviria.

Gewerbeimmobilien mit Nachholbedarf

Das Unternehmen aus Frankfurt hat sich auf die Montage und den Betrieb von Solaranlagen auf Nichtwohngebäuden – Büros, Werkstätten, Produktions- und Lagerhallen, aber auch Schulen und Verwaltungsgebäude – spezialisiert. Seit der Gründung 2017 hat der Jungunternehmer mit seinem „knapp 200“ Köpfe zählenden Team bundesweit 200 Projekte mit einer Gesamtleistung von über 70 Megawatt realisiert. Ein netter Anfang, aber Schulze Brock stellt das noch nicht zufrieden.

Montage von Solarmodulen auf einem Hausdach Über die Plattform Selfmade Energy können Hausbesitzer ermitteln, wie viel Sonnenstrom sie mit PV-Modulen gewinnen können - und was die Anlage kostet. Solarenergie

„Viel zu wenige Dächer von Gewerbeimmobilien“, klagt der frühere Investmentbanker, „werden aktuell für die Solarenergie genutzt.“ Dabei seien die Flächen, die dort zur Verfügung stehen, bis zu zehn Mal so groß wie die auf den Dächern von Privathäusern. Auch die Zahl der in Frage kommenden Gebäude sei weitaus höher als die der geeigneten Wohngebäude. Dass der Solarboom die Gewerbegebiete in Deutschland noch nicht erreicht hat, hat nach den Erfahrungen von Schulze Brock eine ganze Reihe von Gründen.

Schwierige Rahmenbedingungen

„Die Stromerzeugung zählt nicht zum Kerngeschäft der meisten Unternehmen. Und der Investitionsbedarf ist bei großen Anlagen mit mehreren hundert Quadratmetern Fläche ungleich größer als bei einem Privathaus“, erklärt Schulze Brock. Hinzu kommt: Viele Betriebsgebäude sind auch nur angemietet, nicht Eigentum der Gesellschaft. „Und der Eigentümer habe immer noch das letzte Wort bei der Frage, ob eine PV-Anlage aufs Dach kommt oder nicht.“ Da sei oft viel Überzeugungsarbeit nötig. Auch weil der mit der Anlage erzeugte Strom vorzugsweise im Unternehmen, also vom Mieter, genutzt werden soll.

Noch viel zu tun 
Die Dachflächen von Gewerbeimmobilien sind bis zu zehn Mal größer als die von Einfamilienhäusern. Bis zu 1000 Gigawatt Solarstrom ließen sich nach Schätzungen gewinnen, wenn alle Flächen mit Photovoltaik-Modulen belegt würden. Foto: Enviria
Noch viel zu tun
Die Dachflächen von Gewerbeimmobilien sind bis zu zehn Mal größer als die von Einfamilienhäusern. Bis zu 1000 Gigawatt Solarstrom ließen sich nach Schätzungen gewinnen, wenn alle Flächen mit Photovoltaik-Modulen belegt würden. Foto: Enviria

Gebremst werde der Ausbau im gewerblichen Bereich aber auch durch andere Faktoren. PV-Anlagen auf Nichtwohngebäuden werden nicht in gleichem Maße gefördert wie solche auf Wohngebäuden. Und die Bürokratie arbeitet nur sehr langsam, wenn es um die Genehmigung und den Anschluss großer Anlagen geht. „Für den Aufbau einer Solaranlage braucht es im Unterschied zu einer Freiflächen-Anlage keine Baugenehmigung. Da können wir schnell in die Umsetzung gehen. Die größte Herausforderung sind für uns die Verteilnetzbetreiber. Für jede Anlage müssen wir ein Netzanschlussbegehren stellen“, umreißt Schulze Brock das größte Problem, mit dem er derzeit zu kämpfen hat.

Bei den Netzbetreibern klemmt es

„Die Interaktion mit den Netzbetreibern ist sehr, sehr schwerfällig.“ Manchmal dauere es bis zu acht Wochen, bis Enviria eine Reaktion auf eine Anfrage erhalte, manchmal müsse man einen Antrag auf Netzanschluss auch mehrmals stellen „bis es schließlich passt.“ Und bis der Netzanschluss genehmigt sei, vergingen auch schon mal mehrere Monate. „Das ist nervig.“

Auch weil jeder Verteilnetzbetreiber die Regeln für einen Anschluss unterschiedlich auslegt. Mit dem Ergebnis, das der gesamte Prozess bis zur Inbetriebnahme sehr zäh verlaufe und die Kosten für den Netzanschluss sehr teuer werden könnten – bis zu 180.000 Euro für eine Anlage mit 0,5 Megawatt Leistung. „Da muss mehr Standardisierung, mehr Speed, auch mehr Digitalisierung rein“, findet der Enviria-Chef.

Enviria soll zum Vollversorger werden

Eine „knappe Million“ Quadratmeterfläche will er trotzdem noch dieses Jahr in Betrieb nehmen, in Deutschland, aber auch in Italien, Polen, Spanien und Österreich. Die schnelle Lieferung der Solarmodule sei durch Verträge mit großen Herstellern sichergestellt. Und Schulze Brock verfolgt noch andere ambitionierte Ziele: Enviria will es nicht beim Aufbau und Betrieb von Solaranlage auf den Dächern von Gewerbebauten belassen, sondern soll zum „Vollversorger“ werden. Die Kunden decken ihren Strombedarf über die PV-Anlage ab, speichern den überschüssigen Strom in Batterien oder speisen ihn ins Netz ein. Für sonnenarme Zeiten offeriert ihnen Enviria einen Reststromvertrag, der die Energieversorgung des Unternehmens etwa im Winter sichert. Ein ganzes Ökosystem hat Schulze Brock vor Augen. Und eine Vision: „Eine Solaranlage auf jedes Unternehmensdach.“ So wie seinerzeit auf die Dächer des elterlichen Bauernhofs im Münsterland.

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2 Kommentare

  1. DaHuaba

    Ja, jedes mal wenn ich eine Firmenhalle ohne PV sehe, denke ich an dieses ungenutzte Potential. Selbiges gilt für Kleinwindkraftanlagen an erhöhten Standorten, z.B. Signaltafeln der Bahn oder Strommasten.

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    • Franz W. Rother

      Danke für den Hinweis. Der Fehler wurde korrigiert.

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